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O2 schickt mir ständig Rechnungen über einen Cent

"Können wir noch etwas für Sie tun?", fragt der Kundenservice.
Eine O2 Rechnung mit einem wütenden Meme
Collage: VICE

O2 will Geld von mir. Es geht um einen einzigen Cent, in Zahlen: 1. Also schickt O2 mir Rechnungen, bislang sind es fünf, mehr werden sicher folgen.

Die erste Rechnung über diesen einen Cent habe ich im Juni dieses Jahres erhalten. Ich habe sie nicht weiter beachtet, sondern als Absurdität abgetan. Bestimmt so ein Diese-Rechnung-wurde-maschinell-erstellt-und-ist-auch-ohne-Unterschrift-gültig-Bullshit. Ich zahle jeden Monat den gleichen Betrag für mein Internet. Dauerauftrag.

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Einen Monat später kam die zweite Rechnung. "Bitte überweisen Sie den offenen Betrag in Höhe von 0,01 Euro unter Angabe ihrer Kundennummer auf unser Konto." Brief, Überweisungsbeleg, Geschäftsbedingungen – drei Seiten Papier. Es muss ein Freitag gewesen sein, denn draußen protestierte gerade mal wieder "Fridays for future" durch Berlin. Alle Menschen, die keine kompletten Arschlöcher sind, waren sich zu diesem Zeitpunkt bereits einig, dass der Mensch den Planeten zu Grunde richtet. Und trotzdem wurde irgendwo auf dieser Welt ein Baum gefällt, zu Papier verarbeitet, bedruckt, weggeschmissen, als Recyclingpapier wiedergeboren und nach dieser transzendentalen Erfahrung mit der an mich gerichteten Aufforderung beschriftet, einen Cent zu überweisen, den ich O2 ganz sicher nicht schulde. What a world.


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Anbieter von Handyverträgen oder DSL-Tarifen haben ja bei so ziemlich allen Menschen einen ganz miesen Ruf. Völlig zu Recht. Wie ihr alle habe ich mich schon häufig mit diesen Firmen auseinandergesetzt. Am schlimmsten war's mit Alice. Erinnert ihr euch an die Werbung? Da macht so eine engelhafte Frau – blond, rotes Kleid, erlösendes Lachen – irgendwas, was solche Engel in Werbungen immer machen, es spielt keine Rolle, was sie tun, denn sie hauchen lautlos: I will take your pain away.

Ich habe mir mal extra einen Tag freigenommen, weil Alice einen Techniker vorbeischicken wollte, um endlich meinen DSL-Anschluss zu aktivieren, es kam dann aber niemand und ich stritt mich daraufhin so lange mit einem Alice-Mitarbeiter mit bärtiger Stimme, bis er allen Ernstes brüllte: "Stecken Sie sich den Finger in den Arsch!" – und auflegte.

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Dagegen ist O2 ein Knabenchor. 1 Cent. Die Chancen, etwas zurückzugeben, sind heute doch viel zu selten. Ja, ist denn heut' schon Weihnachten?

Ich weiß gar nicht, wieso mich diese Briefe so sehr beschäftigen, die O2 mir da schickt. Aber es liegt sicher auch daran, dass sie eben schriftlich kommen. Es gab ja mal diese Zeit, in der Menschen voller Erwartungen Briefe geöffnet haben, weil ihnen darin die Welt, die Liebe oder der Krieg erklärt worden sind, jedenfalls gewichtige Dinge, die heute auf anderen Wegen kommen, oder nie. Heute kommen per Post nur noch Rechnungen, und das ist nicht nur schlimm, weil es schlimm ist, sondern auch, weil es mich diese Tatsache so opamäßig bedauern lässt, und nichts lässt einen schneller altern als Gefühle von früher.

Es ging mir durch den Kopf, den Cent einfach zu überweisen. Klar, so eine O2-will-einen-Cent-von-dir-Forderung ist das Gegenteil einer Die-Ndrangheta-lötet-mir-die-Ohräppchen-hinterm-Kopf-zusammen-wenn-ich-bis-nächsten-Freitag-die-zehn-Riesen-nicht-zahle-Nummer. Man schiebt solche Schulden gerne auf die lange Bank. Zumal wenn sie nicht echt sind. Aber der Umwelt zu Liebe hätte ich zahlen sollen.

Stattdessen tat ich nichts. Das zahlte O2 mir heim. O2 handelte. O2 schickte mir erneut eine Rechnung. Ja: 1 Cent.

Ich spielte zu diesem Zeitpunkt ohnehin mit dem Gedanken, meinen Internetanbieter zu wechseln, weil mir mein Netz zu langsam erschien. Die 1-Cent-Rechnungen ließen mich erkennen, wie klug diese Idee doch war. Um die Details meines Ausstiegs zu besprechen, rief ich bei O2 an und dachte dabei an Mel Gibson in Payback.

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Gibson ballert sich als Porter, härtester aller Motherfucker, bis zur Spitze einer Mafia durch, um den Boss zu killen, und lässt sich unterwegs nicht einmal davon beeindrucken, dass seine Zehen mit einem Vorschlaghammer zu Matsch geschlagen werden. Einmal fordert Porter in einer Kneipe ein paar Cents Rückgeld wirklich zurück, die Bedienung ist mächtig sauer, aber Porter hat nichts zu verschenken, nie wieder, es ist Zahltag, ihr Penner.

Mit diesem Bild im Kopf kämpfte ich mich in der Warteschleife von einer automatischen zu einer menschlichen Stimme hoch.

Warteschleifen führen bei mir oft zu Gewaltfantasien.

Ich bin dran!

Ein vermutlich menschlicher O2-Mitarbeiter erklärt mir mit monotoner Stimme, dass diese ganzen Rechnungen an einer "Systemumstellung" und einem damit verbundenen "Systemfehler" liegen würden. Ich solle die Forderung nicht weiter beachten, sie auch nicht begleichen. Das Problem werde bald gelöst.

Ich stelle mir die künftige Welt als eine Abfolge absurder computergenerierter Fehler vor. Eine Ampel etwa, die nur für eine Sekunde grün wird, weshalb die Bewohner eines ganzen Straßenzuges von der Außenwelt abgeschnitten sind. Natürlich könnten sie einfach über Rot gehen, aber dann würden die automatischen Kameras sie erfassen und ihr Social Score würde so weit sinken, dass sie ohnehin zu Hausarrest verdonnert werden würden. Es gibt kein Entkommen.

Und dann trudelt tatsächlich die vierte Rechnung ein.

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Es ist Herbst 2019 und ich bin zu diesem Zeitpunkt nicht mal mehr O2-Kunde. Ich ahne, dass mein Problem dadurch kaum lösbarer wird. Anruf bei O2. Es geht erstmal darum, dem kafkaesken System zu erklären, was ich möchte. Das klappt nicht. "Können wir noch etwas für Sie tun?", fragt mich irgendwann eine digital motivierte Stimme.

Ich probiere es immer und immer wieder, will doch nur zu einem Menschen durchdringen, drücke 1 oder 2, erkläre, sage "Ja" und dann nochmal lauter "Ja", weil die Stimme sagt: "Entschuldigung, ich habe Sie nicht verstanden." Irgendwann sagt die Stimme: "Ihren gewünschten Aktivierungstermin am 11.8.2015 können wir bestätigen." Es ist Herbst 2019. Im Herbst werden ja viele Menschen leicht melancholisch. Auch computergenerierte.

Ich versuche eine Dreiviertelstunde lang, zu einem Menschen durchzukommen. Ich glaube, das scheitert auch daran, dass ich ja kein Kunde mehr bin, keine Rufnummer habe, kein persönliches Kennwort, kein gar nichts. Das einzige, was ich habe, sind vier Rechnungen über jeweils einen Cent von einer Mobilfunkfirma, die wie keine andere für Funklöcher steht, diese deutsche Version der Polarlichter. Ich glaube, wenn die Bundesregierung ankündigt, Milliarden zu investieren, um Funklöcher auszumerzen, fühlt sich O2 in seiner Existenz bedroht.

Es gab ja mal ziemlich viele Menschen, die daran geglaubt haben, dass wir zum Jahrtausendwechsel alle sterben würden. Der Millienium-Bug und so. Dann ist einfach mal nichts passiert. Die Computer haben alles bewältigt. Heute gibt es kluge Menschen, die behaupten, dass der Sozialismus in der Zukunft funktionieren wird, weil die Computer so leistungsstark werden, dass sie wirklich ausrechnen können, wie viele Socken oder Selfie-Sticks gerade gebraucht werden, während die freie Marktwirtschaft den Bedürfnissen naturgemäß immer nur zeitversetzt nachlaufen kann. Computer schaffen alles. Aber das Nik-schuldet-O2-genau-einen-Cent-Problem, das kriegen sie einfach nicht gelöst.

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Auf meine Presseanfrage an O2 zu dieser ganzen Sache kam keine Antwort. Ich hatte so ganz offiziell angefragt. Nada.

Ich habe mich einmal länger mit einer alten Dame unterhalten, für eine Reportage, aber wir sind abgeschweift, und sie hat irgendwann erzählt, dass sie sehr oft zum Frisör gehe, nicht wegen ihrer Haare, sondern weil das die einzigen Momente in ihren Leben seien, in denen jemand sie noch berühre, also mit Hautkontakt, so von Körper zu Körper. Wenn ich ein vereinsamter Rentner wäre, in einer Platte in Marzahn, bereits ahnend, dass Wochen vergehen werden, bis meine künftige Leiche geborgen werden wird, dann würden mich die Rechnungen von O2 vielleicht freuen. Immerhin, einer denkt noch an mich.

O2 hat kürzlich wieder an mich gedacht. Ja: 1 Cent.

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