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Noisey Blog

Wieso gewinnen nur alte Menschen den Schweizer Musikpreis?

Die jüngste Preisträgerin ist 36 Jahre alt und macht Musik zwischen Balkan-Traditionen und zeitgenössischem Schweizer Jazz. YAY!
Foto: Endo Anaconda by Michael Schär  | Pressebild

Jedes Jahr neue Diskussionen um den Schweizer Musikpreis: Während vergangenes Jahr der Sieg des Grand Prix Musik und die damit verbundenen 100.000 Franken Preisgeld für Sophie Hunger viel kritisiert wurden, kreiden wir dieses Jahr dem vom Bund zum vierten Mal verliehenen Musikpreis an, dass er unsere Generation nicht berücksichtigt. Das Durchschnittsalter der 15 Preisträger und Preisträgerinnen liegt bei 51 Jahren und keiner von ihnen macht Musik, die wirklich jemand unter 51 Jahren interessiert.

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Eigentlich sollte der Schweizer Musikpreis Künstler aus allen Sparten in Betracht ziehen – also auch etwa Rap-, elektronische-, Rock- oder Pop-Musik. "Von Jazz über zeitgenössische Musik, Chanson und klassische Musik bis hin zu Film-, Volks- und Improvisationsmusik – der Schweizer Musikpreis 2017 widerspiegelt das hervorragende und vielfältige Spektrum des Musikschaffens in der Schweiz", steht in der Pressemitteilung zu den 15 Gewinnern. Von einem Auge auf zeitgenössische Musik ist jedoch wenig zu sehen. Den einzigen Namen, den man unter den Gewinnern in der breiten Masse kennt, ist Endo Anaconda, der Sänger von Stiller Has. Jahrgang: 1955. Schlagzeuger Jojo Mayer dürfte dem einen oder anderen Musiknerd dank breiter medialer Berichterstattung über seinen Film Jojo Mayer – Changing Time, der 2016 erschien, ein Begriff sein. Jahrgang: 1963. Der Rest der Gewinner bewegt sich auf einer künstlerisch so gehobenen Ebene, dass der Pöbel von Noisey noch nie etwas von ihnen gehört hat – selbst nicht von der jüngsten Gewinnerin, Elina Duni. Jahrgang: 1981. Letztes Jahr waren mit Sophie Hunger, Tobias Jundt von Bonaparte und Peter Kernel wenigstens drei Künstler vertreten, die nicht nur unsere Eltern und Grosseltern ansprechen.

Dass es beim Schweizer Musikpreis schon im vierten Jahr nur noch um hochstehende Musik für alte Menschen geht, zeigt sich auch in den Begrifflichkeiten, mit denen die Gewinner umschrieben werden. Das Wort "Jazz" fällt in den fünfzehn Biografien sieben mal, "Volksmusik/-Lieder" vier mal, "Chanson" drei mal, "Tradition" vier mal, "Kunst" vier mal, "Klassik" ein mal und "Experment" zwei mal. "Rock" und "Elektro" sind die einzigen zwei Begriffe, die mit zeitgenössische Musik direkt zusammenhängen – und sie werden beide nur ein Mal genannt.

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Ich konfrontiere Martine Chalverat, Medienverantwortliche für den Schweizer Musikpreis, mit meiner Kritik, dass die musikalischen Interessen unserer Generation nicht berücksichtigt werden: "Das ist so nicht richtig. Viele von den Musikern sind sehr wichtig für die junge Generation. Sie sind Lehrer oder machen Musikprojekte mit jungen Menschen. Der Schweizer Musikpreis ist kein Sprungbrett für junge Künstler, sondern eine Auszeichnung für Musiker, welche bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad haben." Weiter erklärt sie, dass der Schweizer Musikpreis sich von anderen Awards abheben wolle, indem man kein Popularitätswettbewerb sei: "Dieses Jahr haben viele gute Nischenmusiker gewonnen, die aber mehr im Ausland als in der Schweiz bekannt sind. Dass wir nicht Mainstream-Künstler auszeichnen ist auch ein Punkt für den Preis. Wir wollen diese Künstler einem breiten Publikum präsentieren. Das Fehlen von Kategorien ist auch eine Eigenheit des Schweizer Musikpreises, an welcher wir festhalten, da es uns ermöglicht, die verschiedenen Eigenheiten, Meinungen und Zuhörer zu vereinen."

Wie die Gewinner ausgewählt werden, käme auch jeweils auf die Experten und die Jury in dem jeweiligen Jahr an, erklärt Chalverat. Die zehn Experten, welche je eine Musikrichtung und eine Sprachregion vertreten, würden jeweils fünf bis sieben Vorschläge einreichen, aus welchen die siebenköpfige Jury die Gewinner auswähle. Vielleicht liegt ja eben hier das Problem – die Besetzung dieser "eidgenössischen" Jury: Ein Entwicklungsconsultant, eine SRF2-Musikredaktorin, ein Musikethnologen, ein Musiker und Musikkritiker, ein Klarinettist im Tonhalle-Orchester Zürich, die Co-Direktorin des Moods und die Mitbegründerin und künstlerische Leiterin von Zuhören Schweiz. Durchschnittlicher Jahrgang: Kein Instagram-Profil. Die Zusammensetzung der Jury erklärt Chalverat folgendermassen: "Die Besonderheiten der eidgenössischen Musikjury sind die Schnittstellen: So vertritt jedes Mitglied eine Musikrichtung, muss aber auch in der Lage sein, eine Position gegenüber den anderen Stilrichtungen einzunehmen. Man spricht also von Personen, welche über ein sehr grosses Wissen in der Schweizer Musikszene verfügen."

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Jetzt könnte man sagen: Der Schweizer Musikpreis ist doch eh egal. Der Preis ist uncool, er wird vom Bund vergeben und interessierten tut's niemand. Ein Musikpreis, der mit 14 mal 25.000 Franken Preisgeld plus den Hauptpreis von 100.000 Franken dotiert ist, sollte aber nicht ignoriert werden. Jeder Schweizer Indiekünstler kann mit 25.000 Franken wahrscheinlich eine ziemlich geile Produktion eines Albums oder eine Auslandstour finanzieren. Zudem wird über diesen Preis geschrieben, also erhalten gute Musiker Publicity, was immer unterstützenswert ist und wenn der Bund junge, angesagte Künstler auszeichnen würde, färben die wiederum ihr Image positiv auf den Preis ab.

Vielleicht ist ja jemand der gleichen Meinung. Dann hier schon mal ein paar Namen, die mir spontan zum Thema "hervorragende und vielfältige Spektrum des Musikschaffens in der Schweiz" einfallen: Zeal & Ardor, JPTR, One Sentence. Supervisor, Odd Beholder, Jimi Jules, Faber, Jeans for Jesus, Lionaire, Zola, S.O.S, Kami Awori, Zayk, Velvet Two Stripes, Us & Sparkles, Fai Baba und Laskaar. Jahrgang: Mauerfall nicht bewusst miterlebt.

Auf alle Fälle: Der Schweizer Musikpreis wird am 22. September in der Kaserne Basel vergeben.


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