Schläger, Dealer, Gangmitglied: Der Rapper G-Mac lässt kein Klischee aus
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Gregor Lohrengel

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Thug Life

Schläger, Dealer, Gangmitglied: Der Rapper G-Mac lässt kein Klischee aus

Er will mit seiner Musik groß rauskommen, jetzt sitzt er erstmal im Knast.

An einer stillgelegten Tankstelle am Rand von Düren stehen Dutzende Männer in der Nacht, einige von ihnen tragen Sturmmasken. Der Rapper G-Mac dreht hier die letzte Szene für seinen Song "Kalash", als plötzlich ein Streifenwagen der Polizei im Schritttempo vorbeirollt. "Alle auf Haftbefehl sollten jetzt laufen", schreit einer, es klingt wie ein Scherz. Aber nur wenige Sekunden später rennen knapp zehn Männer in verschiedene Richtungen und verschwinden in der Dunkelheit. Auch G-Mac.

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Die Szene spielt sich im Frühjahr 2017 ab, damals liegen gegen G-Mac gleich drei Haftbefehle vor, sechs Monate lang versteckt er sich vor den Behörden. Mitte Juli fassen sie ihn schließlich. Jetzt sitzt er fast zwei Jahre im offenen Vollzug der JVA Bielefeld-Senne.

Ich begleite ihn vor seiner Festnahme wochenlang, weil ich wissen will: Warum wurde er zum Verbrecher? Ich lerne seine Freunde kennen, besuche mit ihm seine Eltern in Belgien. Als er beim Videodreh vor der Polizei wegläuft, renne ich mit.

G-Mac rappt über Rocker, Gangster und Drogendealer – über sich selbst. Sein Blick ist meist grimmig, unter seinem rechten Auge hat er eine tiefe Narbe. Sie stamme von einer Knastschlägerei, ein Mithäftling habe ihm ein Feuerzeug ins Gesicht geschmettert. Seitdem fehle ihm auch ein Schneidezahn.

Die meiste Zeit ist er von Freunden umgeben, die Fremden gegenüber skeptisch sind. Wenn sie sprechen, nutzen sie Synonyme, Zeichensprache und die im Bonner-Raum unter jungen Leuten verbreitete Bi-Sprache, bei der vor Vokalen ein "bi" eingeschoben wird, um das Gesprochene für andere schwerer verständlich zu machen. Wenn sie von "Drobigen" sprechen, meinen sie Drogen und wenn jemand "Bubillen" ruft, warnt er seine Freunde vor der Polizei. Erst nach Wochen kommt es zu einem Moment, in dem G-Mac und ich alleine sind. Er blickt zu Boden: "Ich habe mir dieses Leben nicht ausgesucht. Ich wollte nie ein Gangster werden."

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Die Autorin, Mac und seine Freunde (v.l.n.r)

G-Mac heißt mit bürgerlichem Namen Macgayver Ngangala und stammt aus Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Wie alt er genau ist, möchte er nicht sagen. Die Familie wandert in den 90er Jahren nach Deutschland aus, lebt zunächst in einem Asylheim bei Bonn, später in einen Plattenbau im Kölner Vorort Kerpen. Macs Eltern erhoffen sich dadurch eine schnellere Einbürgerung, denn dort leben bereits andere aus der Familie und Freunde, die ihnen mit Unterlagen und Behörden helfen. Weil die Mutter schwer krank ist, ernährt der Vater mit seinem Job als Lagerarbeiter die sechsköpfige Familie, die sich in einer Dreizimmerwohnung drängt. An diese Zeit erinnert sich Mac ungern. In den Hausfluren des Plattenbaus verticken Leute Drogen, vor dem Hauseingang werden kleine Streitigkeiten zu brutalen Schlägereien. Die Streifenwagen der Polizei gehören genauso zum Alltag wie Jugendliche, die auf den Straßen, statt in der Schule hängen. Damals träumt Mac davon, Musik zu machen, heute rappt er in seinem Song "Kriminell": "In meinem Block: Fick Cops, rauch Ott, Kampfsport – so wachsen wir auf." Als Jugendlicher schlägt Mac Polizisten, kifft und trainiert seinen rechten Haken im Boxverein.

Mac wohnt jetzt in Düren, alleine in einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Anfang März treffe ich ihn dort, vor seiner Haustür hält ein weißer Maserati mit roten Ledersitzen. Am Steuer sitzt sein Cousin Yves. Er fährt, weil Mac vergangenes Jahr seinen Führerschein abgeben musste, nachdem er bei einer Polizeikontrolle THC im Blut hatte. Wie viel der Maserati gekostet hat und wem er gehört, verraten sie mir nicht, Mac gehöre er aber nicht. Vom Beifahrersitz aus führt uns Mac zu den Orten seiner Jugend.

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Einer davon: der Bonner Stadtteil Neu-Tannenbusch. Massive Betonbauten reihen sich dort aneinander, auf den Gehwegen liegen Kippenstummel, Scherben zerbrochener Bierflaschen und Schalen aufgeknackter Sonnenblumenkerne. "Da hat die Polizei letztes Jahr einen guten Freund von mir gesucht und ist deshalb mit einem Linienbus voller Beamten angerückt", erzählt Mac. Er lacht, wie man über gute Freunde lacht, die Scheiße bauen. Wenn ich so über Freunde lache, dann weil sie am Wochenende besoffen auf der Clubtoilette gekotzt haben. Wenn Macs Freunde Scheiße bauen, ist am nächsten Tag ein Bild in den Medien von einer Hundertschaft bei einer Drogenrazzia. Passiert eben, zumindest in Macs Welt, die er selbst "Unterwelt" nennt.

Eine Stunde entfernt, in Düren, ist es vergleichsweise ruhig. Für das Jahr 2016 registrierte die Polizei dort insgesamt 17.739 Straftaten, bei rund 260.000 Einwohnern ist das weniger als der deutsche Durchschnitt, doch einige der begangenen Straftaten sind besonders brutal. Darunter die Tat eines Mannes, der im Oktober vor einem Jahr in einem Friseursalon auf seine Frau schießt, weil sie sich von ihm trennen will. Anschließend bringt er sich selbst um. Oder das Bezirksliga-Fußballspiel im vergangenen November, wo rund 30 vermummte Personen Spieler und Zuschauer mit Metallstangen und Baseballschlägern angreifen. Und den Streit um ein falsch geparktes Auto, nur sechs Tage später, bei dem ein 46-jähriger Mann und seine vier Söhne zehn Polizisten verletzen. Es gebe Personen, sagt Wolfgang Spelthahn, CDU-Politiker und Landrat des Kreises Düren, "die staatlichem, gemeinwohl-orientiertem Handeln ablehnend gegenüberstehen und versuchen, ihre persönlichen Interessen respekt- und rücksichtslos durchzusetzen".

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Damit könnte er auch Menschen wie G-Mac meinen. Fragt man den danach, warum er kriminell wurde, sagt er: "Ich war kein schlechter Schüler. Ich habe auch nicht aus Langeweile oder Gier nach dem großen Geld mit dem Dealen angefangen. Bei uns zu Hause war das Geld knapp. Jetzt frage ich dich: Was würdest du tun, wenn es dir am Nötigsten fehlt, der kleine Bruder warme Schuhe an den Füßen braucht, dafür aber kein Geld da ist?"

Aber ist einem eine kriminelle Zukunft sicher, wenn man in einem Problembezirk aufwächst und zu Hause das Geld fehlt? Oder ist das eine Ausrede? Die Journalistin Düzen Tekkal meint, dass viele Migranten die Opferrolle auch nur allzu gern annähmen. Als Mitglied des Kompetenzteams der CDU in Niedersachsen ist sie zuständig für das Thema Integration. "Mir sagen Jugendliche oft: 'Weil ich Achmed heiße, kann ich hier ja eh nichts werden'", sagt Tekkal, die selbst mit zehn Geschwistern als Kind kurdischer Flüchtlinge aufwuchs. "Und ich erwidere dann: 'Nee, weil du faul bist!'" Tekkal ist eine, die es geschafft hat; eine, die etwas geworden ist.

Mac beim Videodreh für seinen Song "Kalash"

Drogen zu verkaufen, bringt Mac mit 16 schnelles Geld. Es bringt ihm in den folgenden Jahren aber auch viele Anklagen, so viele, dass es ihm schwer fällt, sie alle aufzuzählen. Im Alter von 17 Jahren wird Mac zum ersten Mal angezeigt. Er schlägt fünf Polizisten und landet für vier Wochen im Jugendarrest. Warum er trotzdem nicht mit dem Dealen aufhört? "Die Gier, der Lifestyle, das hat mich blind gemacht", sagt Mac. Von Kopf bis Fuß in Markenklamotten gekleidet mietet sich Mac teure Autos, verzockt sein Geld im Casino. Er spendiert seinen Freunden Drinks und lässt sie auch mal ans Steuer der S-Klasse. "Je mehr Geld ich verdient habe, umso mehr habe ich mich in die Scheine verliebt", sagt Mac.

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Und je mehr Scheine in Macs Taschen landen, umso häufiger sitzt er auch auf der Anklagebank. Er erzählt: 2010 bekommt er für das Schmuggeln von Gras eine einjährige Bewährungsstrafe. Drei Monate später wird er erneut dabei erwischt und bekommt ein weiteres Jahr auf Bewährung. 2012 soll ihn sogar Interpol gejagt haben, der Vorwurf: räuberischer Überfall mit Geiselnahme in den Niederlanden. Mac soll eine Dealerin in ihrer Wohnung eingesperrt, gefesselt und ausgeraubt haben. Aus Mangel an Beweisen wird das Verfahren eingestellt. Im selben Jahr kommt er wegen angeblicher Schutzgelderpressung und Beihilfe zu schwerer Körperverletzung für zwei Jahre in Untersuchungshaft. Noch kein Jahr in Freiheit wird Mac 2014 erneut verhaftet, weil er einen Dealer bestohlen hat. Nach dem Überfall werden Macs Bewährungsstrafen widerrufen. Deshalb sitzt er heute hinter Gittern, im offenen Vollzug.

Zu den meisten Straftaten gibt es keine Medienberichte, auch bei der Polizei gibt man mir keine Auskunft. Weil Mac selbst seine Straftaten nicht mehr alle chronologisch aufzählen kann, bitte ich seinen Anwalt um Hilfe. Der lacht am Telefon, weil Macs kriminelle Vergangenheit so lang und seine Straftaten so schwer sind. Nicht einmal er habe alle Akten, es seien so viele.

Für ein nächstes Treffen mit Mac fahre ich im Frühjahr zum Bonner Hauptbahnhof. An der Ampel zwischen Taxistand und Busstation hält der weiße Maserati. Wir fahren zu Macs Eltern, die mittlerweile im belgischen Eupen wohnen. Seine Mutter öffnet uns die Tür, die Wohnung, die wir betreten, liegt nicht in einem Plattenbau, sondern in einem Mehrfamilienhaus, im Wohnzimmer stehen eine riesigen Ledercouch, ein Flachbildfernseher und eine Stereoanlage. All das kann sich die Familie heute leisten, weil Mac seinen Eltern immer wieder mit Geld ausgeholfen hat. Seine Mutter arbeitet als Reinigungskraft an einer Schule, der Vater ist Fußballscout, vermittelt junge Fußballspieler an Vereine. Wo genau Macs Geld herkommt, wissen die Eltern nicht. Ich frage seine Mutter, ob sie sich für die Knastaufenthalte ihres Sohns schämt. Sie weicht aus: "Ich bin stolz auf das, was Mac für unsere Familie geleistet hat." Mac sagt auch, dass die Eltern nicht von all seinen Aufenthalten im Gefängnis wüssten und nicht immer den wahren Grund für seine Verhaftungen kennen. "Meine Familie bedeutet mir alles", sagt er. "Warum soll ich ihnen unnötig Kopfschmerzen bereiten?"

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Auf dem Tisch stehen Kartoffelbrei, Kohl, Braten und Chickenwings, aber keiner fängt an zu essen, bevor die Mutter aus der Küche kommt und sich dazu setzt. Respekt beginnt in Macs Welt mit kleinen Gesten. Alle senken den Kopf, Hände gefaltet, Augen geschlossen. Mac und seine Familie sind gläubige Christen, der Vater spricht das Gebet.


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Derselbe Mensch, der hier am Tisch so friedlich wirkt, hat Dutzende Körperverletzungen in seinem Aktenberg stehen und einen anderen Menschen überfallen, als er Geld brauchte. Gewalt erlebte Mac schon, als er noch klein war, erzählt er. Kam es zum Streit mit anderen Kindern, habe sein Vater gesagt: "Du klärst das jetzt, eins gegen eins." Gab Mac Widerworte, habe der Vater mit Ohrfeigen geantwortet. Heute sitzt Macs Vater breitbeinig am Kopf des Tisches, um seinen Hals eine massive Silberkette. Der Sohn eines Soldaten strahlt solch eine Autorität aus, dass ich darauf achte, meine Ellenbogen nicht auf den Tisch zu legen. "Ich habe in Macs Erziehung viele Fehler gemacht", sagt er. "Ich würde ihn nie wieder anstiften, sich mit anderen Jungs zu schlagen."

Im Jugendarrest lernt Mac mit 17 die Männer kennen, die aus einem kleinkriminellen Schläger den Menschen machen, der heute immer mit einem Messer in der Tasche durch sein eigenes Viertel läuft: die Bandidos. Mac fängt beim Supporterclub MC Chicanos Düren an. Obwohl sie 2012 verboten werden, gibt es von 2012 bis 2015 rund 35 Ermittlungsverfahren gegen die Mitglieder des Clubs, unter anderem wegen schweren Diebstahls, gefährlicher Körperverletzung, Verstoßes gegen das Waffengesetz und illegalen Handels mit Kokain und Crack.

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Als Mac die Chicanos verlässt, ist er Anfang 20. Er gründet daraufhin die Dürener Straßengang Bantus mit. Das Wort Bantu steht für eine Sprach- und Völkergruppe aus der Mitte und dem Süden Afrikas. Mac wird bei den Bantus zum Sergeant, ihm zufolge hören rund 45 Mann auf seine Befehle. "Wir standen im Kontakt mit den Bandidos, hatten ein gutes Verhältnis", sagt Mac. "Aber ein offizieller Supporter-Club waren wir nicht."

Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen sieht das anders. Die Bantus seien ihnen seit dem Jahr 2013 bekannt, sagt deren Pressesprecherin Heidi Conzen gegenüber VICE. "Es handelte sich bei den Bantus um einen Supporter-Club des ehemaligen Bandidos MC Düren", sagt sie. In einem Schreiben der nordrhein-westfälischen Landesregierung vom November 2011 zur Entwicklung der Rockerkriminalität werden die Bantus auf lediglich sieben bis zwölf Mitglieder geschätzt. Welche Straftaten die Mitglieder begangen haben, wollten weder das Landeskriminalamt noch die Staatsanwaltschaft Aachen sagen. Mac erzählt mir von teils brutalen Taten, in einem Artikel will er sie aber nicht erwähnt sehen.

2013 verlässt Mac die Bantus, denn er ist mittlerweile Vater einer Tochter. Er wünscht sich ein besseres Leben für sie, ohne Drogen, ohne Gewalt. Auch sein Leben soll jetzt besser werden, mit dem Ausstieg bei den Bantus will er die Kriminalität hinter sich lassen und sich auf die Musik konzentrieren. Aber nur ein Jahr später muss er wieder ins Gefängnis, Beihilfe zum Raubüberfall. Noch bevor er erste Erfolge als Musiker erzielt, fällt er in die Kriminalität zurück. Seine Vergangenheit holt ihn immer wieder ein.

Mac war Dealer, Rocker und saß im Knast – all das war mir bewusst, bevor ich zum ersten Mal in den weißen Maserati mit den roten Ledersitzen stieg. Die brutalen Schlägereien kann ich nicht verstehen, auch nicht, dass sie immer Messer dabeihaben. Zwar hat nicht jeder die gleichen Möglichkeiten, aber er hat doch eine Wahl, ob er zuschlägt oder nicht, ob er Drogen verkauft, um teure Klamotten zu tragen und schnelle Autos zu fahren. Mac hat sich oft falsch entschieden. Aber dass er als Jugendlicher nie zum drogendealenden Gangster werden wollte, verstehe ich, und ich glaube ihm auch.

Mac wächst in Deutschland in der Rolle des ältesten Sohns auf, dessen Eltern als Einwanderer zunächst nicht arbeiten dürfen. Das Geld ist knapp, die Mutter wird krank. Und der Vater erzieht ihn besonders autoritär, lehrt ihn schon als Kind, Konflikte mit Gewalt zu lösen.

Mac und seine Freunde haben durch ihren kriminellen Lebensstil eine Perspektive geschaffen für sich und ihre Familien, so absurd das auch klingen mag. Sie haben Geld rangeschafft und passen heute auf, dass ihre Geschwister die Schule abschließen, sie erzählen ihnen, wie wichtig eine Ausbildung ist, und sorgen dafür, dass sie der Kriminalität fernbleiben. Stolz erzählen sie von Familienmitgliedern, die Abitur machen und Klassenbeste sind. Mac wünscht keinem seiner Brüder ein Leben als Gangster. Genauso wenig hat er es für sich selbst gewünscht.

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