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Verbindungen

"Heil Molestia!": Deutschland hat jetzt eine feministische Burschenschaft

Weder Satire noch Kunst, sondern bitterer Ernst – sagt die Frauenverbindung.
Einer der ersten Posts, mit dem die Münchner Burschenschaft Molestia an die Öffentlichkeit ging | Screenshot: Facebook

"Jetzt nehmen sie uns auch noch die Diskriminierung weg!"

Selbsternannte Männerrechtler müssen jetzt ganz stark sein und vielleicht ein Stoßgebet zum Heiligen St. Weinstein entsenden. Denn die Münchner Burschenschaft Molestia macht sich gerade in einer der letzten traditionellen Männerdomänen breit.

Seit dem 20. November findet man die reine Frauenverbindung auf Facebook, der erste Eintrag zeigt einen Fackelmarsch an der Münchner Ruhmeshalle. Auf den ersten Blick wirkt alles wie bei einer traditionellen Burschenschaft, die in Deutschland seit über 200 Jahren in altertümlichen Uniformen Trinkgelage veranstalten und teilweise deutschtümelnde bis rechtskonservative Gesinnungen vertreten. Auch die Burschenschaft Molestia trägt schwarz-weiß-gelbe Couleur. Doch spätestens beim Wappentier – einer Muräne – wird klar, dass hier einiges anders – und unterhaltsamer – laufen dürfte als bei anderen Verbindungen.

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Therese von Bayern, die die Verbindung angeblich bereits 1871 in München gegründet hat, habe insbesondere Nasenmuränen erforscht, die als Männchen zur Welt kommen und im Laufe ihres Lebens eine Geschlechtsumwandlung zum Weibchen durchliefen, heißt es auf der Facebook-Seite. In das Wappentier kann man also einen feministischen Hintergrund hineininterpretieren, abgesehen davon erklärt die Seite wenig über die Ziele und inhaltliche Ausrichtung der Verbindung – die ihren ersten Text auf Facebook mit "HEIL MOLESTIA!" unterschreibt. Einiges lässt sich aber womöglich daraus ableiten, dass sie sich auf die österreichische Burschenschaft Hysteria bezieht.


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Die österreichische Burschenschaft Hysteria ist seit Anfang 2016 auf ihrer Facebook-Seite aktiv und versucht, das Vaterland in ein Matriarchat zu verwandeln: Von ihren Mitgliederinnen erwartet die Hysteria aufeinander angeglichene Menstruationszyklen, für Männer will sie den Schleierzwang und deren Kastration, sollten sie eine Frau beim Sex nicht zum Orgasmus bringen. Dazu will sie günstige Abtreibungen und eine Frauen- und Transgender-Quote von 80 Prozent in öffentlichen Ämtern. Unterschrieben sind viele der Postings höchstseriös mit "KEINE SATIRE" – trotzdem fühlt sich so mancher Kommentator in seiner Männlichkeit verletzt, wenn die Hysteria schreibt: "Unsere Männer gehören uns!"

Die Forderungen der feministischen Burschenschaften mögen absurd und konstruiert sein – verfolgen aber eine gar nicht mal so unkluge politische Agenda: "Insbesondere der von Burschenschaftern vertretene Sexismus wird […] zugespitzt ins Gegenteil verkehrt", erklärte die Literatur- und Politikwissenschaftlerin Judith Goetz gegenüber VICE. Goetz hat sich als Mitglied der "Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit" mit Burschen- und Mädelschaften auseinandergesetzt und sieht die Arbeit feministischer Burschenschaften als "wichtige Kritik" traditionell-burschenschaftlicher Ideologien: "Die männerbündische Tradition der Burschenschaften verfolgt nicht zuletzt das Ziel, Frauen aus dem Bund wie auch der Sphäre der Politik fernzuhalten."

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Die Molestia (zu Deutsch: Belästigung) lehnte eine Interviewanfrage von VICE ab, sie stehe nicht für Pressegespräche zur Verfügung. "Die vermehrten Berichte über die Urburschenschaft Hysteria haben leider gezeigt, dass die Presse massiv mit Fake News arbeitet, und die Burschenschaft als Satire- oder Kunstprojekt bezeichnet", schreibt die Verbindung in einer Mail. Auch unser verzweifelter Verweis auf die in Paragraph 143 der Frankfurter Reichsverfassung erklärte Pressefreiheit konnte die deutschen Herzen der Burschenschafterinnen nicht erwärmen. Damit scheint die Molestia – ob nun ironisch oder bewusst, wissen wir nicht – den traditionell vorsichtigen Umgang männerbündlerischer Burschenschaften mit der Presse nachzuahmen, wenn auch aus anderen Gründen.

Es wird immer wieder öffentlich darüber diskutiert, was männerbündlerische Burschenschaften eigentlich sind: ein Haufen frauen- und ausländerhassender Typen ohne Freunde, die alle im selben Haus wohnen, weil keine WG sie wollte und sich bei Mensuren mit Degen Unterweltnarben in die Wohlstandsbäckchen schnippeln? Oder doch nur ein paar wertkonservative Leute, die ihre vielleicht schrulligen, aber harmlosen Traditionen pflegen? Sicher ist, dass es innerhalb der zahlreichen Verbindungen in Deutschland einige radikale gibt, die auch als Kaderschmiede für die neue Rechte und die AfD fungieren.

Allerdings zielen die Molestia und die Hysteria mit ihrer Kritik nicht nur auf traditionelle Burschenschaften: Wenn sie die Männer vom Wahlrecht ausschließen oder "daham" hinterm Herd lassen wollen, kritisieren die feministischen Burschenschaften auch diskriminierendes Gedankengut, das in Teilen der Gesellschaft noch immer reproduziert wird – ohne Satire. Auf unsere Anfrage schreibt die Burschenschaft Molestia, sie empfinde es als respektlos, wenn Medien sie als Satire- oder Kunstprojekt beschreiben: Die Burschenschaft habe schließlich eine uralte Tradition. Und vielleicht hat sie Recht: Nicht einmal hundert Jahre ist es her, dass Frauen in Deutschland erstmals wählen durften, gerade einmal 20 Jahre, seit Vergewaltigung in der Ehe als Verbrechen geahndet wird, und gerade einmal seit einem Jahr ist sexuelle Belästigung eine Straftat. Das ist die Realität, die feministische Burschenschaften in ihrer überspitzten Kritik darstellen. Diese als "Kunst" zu bezeichnen, würde schließlich auch niemandem einfallen.

Egal ob die Molestia nun ironisch für die Verschleierung des Mannes oder seriös gegen Diskriminierung kämpft, am Ende will sie womöglich vor allem Gleichberechtigung. Und wenn diese nicht mehr nur offensichtliche Dinge wie Autofahren, Wählen und Gehälter betrifft, sondern auch gesellschaftliche Randbereiche wie Burschenschaften erreicht, dann kann das ja nur gut sein.

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