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OK, ich mag Fußball. Ich mag die WM. Ich bin da auch tatsächlich nicht der einzige, denn Fußball ist keine Randsportart wie zum Beispiel österreichischer Fußball. Alle Welt sieht sich die WM an und je größer das Publikum desto höher ist auch der Anteil an Querulanten und Besserwissern.
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Kurz nach Beginn der WM-Übertragungen hat sich deshalb auch ganz schnell ein österreichischer Shitterl-Storm über die wahnsinnig peinliche ORF-Berichterstattung auf Twitter und auf jeder Bierbank dieses Land breit gemacht. Das WM-Studio sei billig, die Samba-Tanzeinlagen sexistisch, Helge Payers eigene Goal-Line-Technology ein Hohn und dann auch noch dieser Auftritt von Costa Cordalis. Die Folge waren solche Fluffpieces im News. Das Publikum regt sowas auf, und mit was? Mit Recht. Sobald also die Diskussionen auf Fußballübertragungen und -kommentatoren fallen, lautet eigentlich die einzig valide Antwort: Ich schau aufm Schweizer. Case closed.
Nun, wir im deutschsprachigen Raum wissen ja mal wieder nicht, wie gut wir es eigentlich haben—wir können nämlich die Übertragungen aus drei verschiedenen Ländern genießen. Kurz umrissen: Die meisten FußballschauerInnen schwören auf die Deutschen von ARD/ZDF. Die Connaisseure ziehen eher den Schweizer vor, und die Selbsthasser den ORF. Warum das so ist, und ob das überhaupt so ist, habe ich in tagelanger Recherche im WM-Bunker eruiert.
Prinzipiell müssen wir bei dieser Analyse mit Gehirn vorgehen und zwischen zwei Kriterien unterscheiden: das Spiel selber und die Rahmenberichterstattung. In der Gruppenphase gibt es drei Länder: die Schweiz (SRF), Deutschland (ARD/ZDF—die beiden Sender wechseln sich immer ab, nutzen aber das gleiche Studio-Set-Up) und Österreich (ORF). Kommen wir zuerst zum Kern der Sache, dem Match.
DAS SPIEL
SRF
Die Schweizer sind als einzige in der Lage, den Spielverlauf eloquent und mit viel Gefühl wiederzugeben. Sie bringen tatsächlich interessante Zusatzinformationen, wissen, bei welchem Club ein Spieler während des Jahres angestellt ist, wann er womöglich heiraten will und warum das Publikum ihn gerade ausbuht. Die Sprache ist hochdeutsch, man versteht sie also. Süß ist, dass sie „Das Final“ sagen, das ist aber schon das einzige. Dani Wyler und Dani Kern kommen am meisten zum Zug.
Dani Wyler mit Ohrstöpsel. Guter Typ. (Bild via srf.ch)
ARD/ZDF
Die eingedeutschte Variante der Schweizer, sprich: ebenfalls gut informiert und prinzipiell am Spiel auch interessiert. Doch es sind nun mal Deutsche und sehen deshalb im fußballerischen Sinne alles immer ein bisschen lakonisch aus patriotischer Perspektive, da wird also schon mal schnell ein Engländer oder Niederländer belächelt, wo’s eigentlich de facto nicht hin soll und darf. Sie haben nachgelassen und sind nicht mehr der alleinige Go-To-Sender für alle, die den ORF nicht packen.
ORF
Die Kommentaren haben wir bei Champions League Übertragungen (außer es spielt Bayern München) keine Ahnung was los ist und wer wer ist. Lange Redepausen geben den Eindruck, dass die Kommentatoren lieber selber nur zuschauen möchten oder Facebooken. Leider totales Desinteresse, was damit zu begründen ist, dass äußerst selten ein Österreichbezug auszumachen ist.
DAS RAHMENPROGRAMM
SRF
Das Studio steht in der Schweiz, und so wird auch auf Schwyzerdütsch gesprochen. Nun bin ich es, der keine Ahnung mehr hat. Die Atmosphäre ist sehr schweizerisch, also: höflich, überanalytisch, etwas ernst. Sonstige Einspielungen sind eh nett, aber ich verstehe noch immer nichts.
ARD/ZDF
Mehmet Scholl (Gänsehautentzündung) & Matthias Opdenhövel stehen auf einem Dach in Rio und sollen dort wohl die Doppelkonferenzen von Netzer/Delling weiterführen. Sie probieren es. Mögen tun auch sie sich nicht besonders, aber sie kommen an die Klasse und die gegenseite Hassliebe von Netzer/Delling ganz einfach nicht heran. Die Analysen selber sind unter dem Niveau, langweilig und nichts Neues. Scholl hat so gut wie keine Meinung. Zu Hollands Trainer Van Gaal meinte er am Sonntag „So streng und starr er auch ist, so flexibel ist er“. Uh, what? Sowas bringt nicht einmal jemand im ORF Studio zusammen. Oli Kahn tummelt sich auch ab und zu auf dem Dach herum, und der ist da wenigstens gefasster und naja, eigentlich ganz OK.
WM-Club Berlin. Franziska Knuppe findet irgendwen süß und Jan Delay findet dat allet Scheiße. Bild: ARD/sportschau.de
Doch dann der WM-Club live aus Berlin. Auf dem Badeschiff in Berlin wird die WM der breiten Masse näher gebracht. Es ist zum kotzen. Stargäste wie Jan Delay und Stefan Kretschmar stehen peinlich berührt mit Mikro in der Hand herum und wollen rasch wieder weg. Sowas merkt man. Frauen werden nur eingeladen, um zum Thema Spielerfrauen befragt zu werden, oder ob sie Ronaldo oder Müller mehr sexy finden.
Für mich das schlimmste, was ich je im Fernsehen im Rahmen „Fußballberichterstattung“ gesehen habe.
ORF
Wie die Schweizer spielt sich auch hier alles nur im Studio im eigenen Lande ab. Es sieht eigentlich genau wie jenes der Schweizer Kollegen aus, was ich jetzt mal als sympathisches Qualitätsmerkmal werte. Wie eingangs schon erwähnt, sind die Tanzeinlagen von teilnehmenden Nationen eher peinlich, aber irgendwie ja auch nur gut gemeint. What shalls. Den Schweizern fällt übrigens auch nichts besseres ein und machen das Selbe. Aber dann das: HELGE PAYER GREEN SCREEN WAHNSINN.
Dafür gibt es keine Entschuldigung.
Jedoch, eine erwähnenswert ganz okaye Sache gibt es bei der WM-Rahmenberichterstattung tatsächlich: Die WM-Randnotizen im Sendung ohne Namen– beziehungsweise im Willkommen Österreich-Style. Gefladert von anderen ORF-Formaten, aber wenigstens intern ORF vom gefladert. G’lernt is g’lernt.
Randnotizen mit „Promis“. Bild: ORF/Screenshot
GRUPPENPHASE MIT BREAKING NEWS
Somit ist das Tableau in der Gruppenphase bei der WM der Überraschungen einigermaßen deutlich: Die Deutschen scheiden vorzeitig aus! Auch die Tabellenspitzen sind einigermaßen klar, wenn da nicht noch die österreichische Seite einen beachtlichen Joker ausspielen würde, an den niemand so ganz gedacht hat: Der gute alte Zweikanalton nämlich hat es in sich. Mit Breaking News: Wir haben ihn gefunden, den guten Fußballkommentar aus Österreich!
Den Luxus des Auswählens können sich nicht alle leisten. Nicht alle haben Kabel, und die meisten haben ja heutzutage nicht mal mehr einen Fernseher und schauen stattdessen auf dem vom Papa finanzierten Macbook. Sowohl im Stream als auch im regulären Fernsehkastl kann aber jedermann den Zweikanalton auswählen, denn dort gibt es ganz versteckt etwas, was niemand in Österreich zu erwarten glaubt: guten Fußballkommentar.
Der ORF nimmt nämlich als einziger der öffentlich rechtlichen Anstalten im deutschsprachigen Raum wahr, und bieten einen Blindenkommentar an. Holy shit, und der ist gut!
Jedes Spiel wird von gleich zwei Plaudertaschen betreut, die alle Details zum Spiel auf und rund um das Spielfeld erzählen, erklären und darstellen. Die Eloquenz kennt hier keine Grenzen, die Spontanität erst recht nicht, denn diese Kommentatoren sind dazu nicht nur im Fußball versiert sondern kennen augenscheinlich, I mean offensichtlich, jeden einzelnen Besucher im Stadion persönlich. Sie müssen am laufenden Band reden, das war ihre Ausbildung, ohne der sie nicht vors Mikro dürfen. Oh wenn das nur für alle Moderatoren im ORF gelten würde.
Es ist wie die gute alte Zeit, als Fußball noch im Radio übertragen wurde. Herrlich. Man kann wirklich die Augen schließen und bekommt sogar noch mehr vom Spiel mit als sonst. Also: Kudos an die Kollegen von Audio2!
Ganz kurz nur muss noch über ein weniger erfreuliches Angebot gesprochen werden, aber dann auch schnell wieder vergessen. Wer schwerhörig ist, wird im ORF auch bedient, bekommt aber nur die von der leidigen Tonspur 1 (ie. das reguläre Kommentatorenprogramm) zugespielten Standard-Non-Sätze als Untertitel eingeblendet, die zum einen viel zu spät, zum anderen vollkommen offensichtliche Spielhandlungen und Fakten beschreibt, die ohnehin zu sehen sind und waren. Dinge wie „Tor!“ oder „Dieser Pass kam nicht an“ sieht man dann doppelt. Naja. Lass uns das also gleich wieder vergessen. Höchstens als neue Art von analogen Memes zu gebrauchen.
O RLY? Bild: Screenshot
FAZIT
Nach tagelanger, mitunter auch sehr zermürbender Dreiländereckrecherche kommen wir zu folgendem Fazit: Für alle mit Kabel und das Spiel schauen wollen: Schweizer gucken. Die sind sympathisch, nicht aufdringlich, versiert, eloquent, herzig. Man bekommt am meisten mit vom Spiel.
Zwischen den Spielen: In die Küche gehen und den Abwasch machen. ORF laufen lassen. Die Schweizer verstehen eh nur die Vorarlberger und die Deutschen rauben dir den Lebenswillen. Ausgeschieden!
Bild: Screenshot
Für alle, die ORF schauen müssen: Tonspur zwei auswählen. Dann könnte man auch gleich den Abwasch machen und nur zuhören, man spart also auch Zeit. Wenn das kein Studi-Tipp im Studi-Medium deines Vertrauens ist, dann weiß ich nicht.