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Deshalb kommen die WM-Bilder nicht überall gleichzeitig an

Mats Hummels passt gerade im Mittelfeld zu Toni Kroos, als der erste Knall die Luft über Kreuzberg zerreißt. Kroos spielt zu André Schürrle, der die linke Außenlinie hinunter sprintet, und die nächsten Explosionen wummsen vor dem Fenster. Während Schürrle flankt, überlagert sich der Krach der Böller draußen auf der Straße bereits zu einem einzigen Tosen.

Und dann endlich trifft Mario Götze im WM-Finale 2014 auch auf dem Beamer in der Kreuzberger Wohnung, der sich über die ARD-Mediathek speist. Die patriotischen Pyromanen hatten mindestens eine halbe Minuten Vorsprung, um ihr Feuerwerk zu zünden. Beim Bergdoktor ist eine halbe Minute ein Wimpernschlag, beim Fußball eine Ewigkeit, ein Ärgernis.

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Denn die Verzögerung zerstört die Spannung: Wenn es kracht, passiert gleich etwas. Und im Umkehrschluss: Wenn es still bleibt, verpufft der Angriff.

Doch was sind die technischen Hintergründe dieser Verzögerungen? Wie kann es sein, dass im Jahr 2018 verschiedene Übertragunswege so unterschiedlich schnell sind? Das haben wir Klaus Merkel gefragt. Merkel ist 51 Jahre alt und forscht seit 23 Jahren am Institut für Rundfunktechnik (IRT) zu digitalem Fernsehen. Das IRT sitzt in München und tüftelt im Auftrag von ARD, ZDF und den öffentlichen Rundfunkanstalten in der Schweiz und Österreich, wie sich Ton und Bild noch besser einfangen und übertragen lassen.

Motherboard: Wieso jubeln manche Zuschauer früher als andere?
Klaus Merkel: Das hängt davon ab, wie sie fernsehen. Satellitenfernsehen ist ein paar Sekunden schneller als terrestrisches Fernsehen (oder DVB-T2), das wiederum ist rund zwei Sekunden schneller als Kabel und Kabel schlägt das Entertain-Angebot um ein paar Sekunden

Ganz am Ende folgt Streaming über das Internet: Man muss hier mit einer halben oder sogar einer ganzen Minute rechnen, egal ob man Mediatheken oder Streaming-Plattformen wie Zattoo nutzt. Zu dem Ergebnis kamen im Vorfeld der WM mehrere Tests.

Neuere Optimierungen über das Internet versprechen Verzögerungen unterhalb von 5 Sekunden. Die kommen in den bisherigen Tests nicht vor, denn der WDR hat sie beim Eröffnungsspiel erstmals eingesetzt. Wir müssen abwarten, ob das wie geplant funktioniert hat.

Satelliten-TV ist am schnellsten: Warum der Weg ins All keine Verzögerung bedeutet

Aber wie kann es sein, dass Satellitenfernsehen am schnellsten ist? Schließlich hat das Signal doch den längsten Weg, in den Orbit und wieder zurück.
Ja, aber die reine Übertragunsstrecke des Signals macht nur den Bruchteil einer Sekunde aus. Das Satelliten-Fernsehen ist am schnellsten, weil es der erste Verteilweg der Sender für die Signale ist. Aus dem Satellitensignal speisen sich die meisten anderen Übertragungskanäle.


Wie verlieren diese Kanäle die entscheidenden Sekunden?
Die Bilder sind stark komprimiert. High Definition (HD) braucht theoretisch eine Bandbreite von einem Gigabit die Sekunde, wenn alle Bildpunkte einzeln immer wieder neu übertragen werden. Das ließe sich kaum machen, weil die benötigte Datenrate viel zu groß wäre.

Deshalb greift digitales Fernsehen zu einem Trick: Von Bild zu Bild verändern sich nur bestimmte Bildteile – beim Fußball etwa bleiben weite Teile des Bildschirms grün, weil dort Rasen ist. Diese Punkte muss man ja nicht jedes Mal neu mitschicken.

Porträtfoto von Klaus Merkel
Klaus Merkel | Bild: Sophie Merkel

Ganz vereinfacht gesagt überträgt das Signal nur die Stellen, wo sich etwas bewegt und die Farben getauscht werden. Eine ganze Reihe von Bildern werden so zusammengefasst und gesendet. Mit dieser Kodierung lassen sich mehr als 90 Prozent der Datenmenge einsparen.

Der Preis dafür ist, dass der Sender die Bilder erst sammeln und kodieren muss. Der Empfänger muss die Bilder dann wieder dekodieren. Das dauert ein paar Sekunden – so ergibt sich die Verzögerung.

Aber das macht Satellitenfernsehen doch auch.
Genau, das Satellitensignal kodiert aber als erstes. Für DVB-T2 und Kabel rechnen die Anbieter das Satellitensignal oft noch einmal um – teilweise, um noch mehr Daten zu sparen, teilweise, weil sie sich dynamisch an die Kapazität des Kabels anpassen, um ein möglichst gutes Bild zu liefern. Da gehen wieder ein paar Sekunden verloren.

Streaming in den Mediatheken werden von Rendering und Störungen ausgebremst

Im Internet ploppen Webseiten innerhalb von Hundertstel-Sekunden auf. Große Datenmengen sind mit Highspeed-Leitungen kein Problem. Warum ist Internetfernsehen trotzdem deutlich langsamer?
Grundsätzlich lassen sich über das Internet einzelne Datenpakete tatsächlich in Sekundenbruchteilen übertragen, aber es ist unzuverlässig. Die Übertragungsraten schwanken stark – weil Familienmitglieder mit im WLAN hängen, weil es Störungen gibt, weil andere im Haus ebenfalls große Datenmengen ziehen.

Nun könnte man einfach auf niedrigster Qualität gucken, aber das macht keinen Spaß. Guckt man hingegen in HD, würde der Stream abreißen, sobald die Datenrate einmal kurz absinkt – das macht noch weniger Spaß.

Die Anbieter sichern sich dagegen ab, indem sie den Stream auf mehreren Qualitätsstufen gleichzeitig anbieten. Je nach Netzqualität holt sich der Player automatisch die passende Auflösung. Man kennt vielleicht den Effekt, wenn das Bild auf dem Beamer gerade noch unscharf war und auf einmal scharf stellt: Dann wurde die Leitung besser und ein HD-Segment geladen.

Meistens sind die Segmente bis zu acht Sekunden lang. Damit der Player auch reagieren kann, wenn das Netz kurz zusammenbricht, puffert der Player zwei bis drei Segmente im Vorhinein. Mit Umrechnung und so weiter hinkt man dann schnell eine halbe Minute hinterher. Daher haben einige Rundfunkanstalten ihre Internetauslieferung extra zur WM umgestellt und die Segmente auf nur zwei bis vier Sekunden verkürzt um die Verzögerung zu reduzieren.


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Wie die Telekom es schafft, die Live-Bilder schneller ins Wohnzimmer zu bringen

Ein Angebot wie Entertain von der Telekom ist auch Internetfernsehen. Wieso sind die Bilder dort schneller?
Die Signale kommen zwar aus der Telefonleitung, aber sie kommen nicht wirklich aus dem offenen Internet – denn nur die Kunden bestimmter Provider können sie nutzen. Bei Entertain kontrolliert die Telekom die Leitungen vom Sender bis in die Verteilerkästen am Straßenrand – und kann die Signale bis dahin störungsfrei bringen.

Weil immer dieselbe Qualität übertragen wird, fällt die zeitaufwändige Zwischenspeicherung mehrerer Segmente im Endgerät gänzlich weg. Nur auf den letzten Metern vom Kasten in die Wohnung können Instabilitäten auftreten – aber insgesamt kann die Telekom mit weniger Schwankungen rechnen und muss weniger puffern.

Wie kann man sicher gehen, dass die Nachbarn nicht mit Jubelschreien und Böllern die Spannung zerstören?
Dann müssen Sie sich ein klassisches Radio anschaffen: Der analoge Hörfunk ist nochmal um einige Sekunden früher dran als der Satellit – weil das Signal hier nicht kodiert werden muss. Noch besser wäre jedoch, Sie lassen sich gleich vom Nachbarn einladen oder gehen zum Public Viewing. Dann können Sie die Spannung zusammen in Echtzeit genießen.

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