Insektenzucht ist in Thailand ein lukratives Geschäft

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Insekten

Insektenzucht ist in Thailand ein lukratives Geschäft

Thailand ist eines der Länder, in denen traditionell Insekten gegessen werden. Früher galten sie als Essen der Armen, heute floriert die Branche wie nie zuvor. So sehr, dass sich manche Thailänder mit der Insektenzucht ein goldenes Näschen verdienen.

Ein immer lauter werdender Chor von zirpenden Grillen begrüßte Jai, als sie das blaue Mosquito-Netz vom Betongehege vor ihrem Haus abnahm. Voller Enthusiasmus erklärte sie uns jedes einzelne Detail ihrer bescheidenen Grillenfarm.

„Das hier sind die Brüter … Das sind die jungen Hausgrillen … Hier siehst du ein paar Eier, wenn du das Maniok-Blatt hebst…" Für ihre 62 Jahre springt sie erstaunlich flink zwischen den 15 Gehegen umher, als sie uns stolz ihre Insekten vorführt, die ihr so viel Erfolg gebracht haben.

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Sie lachte und zeigte mit ihren Händen auf die zehntausenden Grillen um sie herum. „Ich war früher einmal nur eine normale Bäuerin!"

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In Thailand, wie in vielen anderen Ländern, werden Insekten schon seit Ewigkeiten gegessen. Obwohl in vielen Ländern der Insektenverzehr, auch Entomophagie genannt, zurückgeht—auch durch die negative Darstellung durch die westlichen Länder—ist die thailändische Insekten-Gemeinschaft in letzter Zeit größer und vielfältiger denn je geworden. Das liegt größtenteils daran, dass sich die Wahrnehmung von Insekten als Nahrungsmittel geändert hat.

Heute lobt die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen Thailand als „eines der Länder, das es geschafft hat, eine existenzfähige und florierende Insektenzucht-Branche aufzubauen" mit „mehr als 20 0000 registrierten Insekten-Zuchtbetrieben." Der Sektor macht mittlerweile mehrere Millionen Euro der Gesamtlandwirtschaft aus. Er wächst so schnell, dass die Forschung und die Regierungsaufsicht gar nicht mehr nachkommen.

Mit nur zwei Jahren Erfahrung gehört Jai zu einer neuen Gruppe von Thailändern, die ihr Glück mit der Insektenzucht versuchen. Anders als andere Farmer war sie sich nicht von Anfang an des Potentials bewusst, sonders versuchte einfach nur, die Gelüste ihrer Tochter mit ihren Grillen zu stillen.

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„[Meine Tochter] liebt Grillen, also dachte ich mir, ich kaufe mir einfach ein paar Grilleneier und züchte sie für sie", erinnert sie sich mit einem Kichern. „Ich wusste nicht, was auf mich zukommen würde."

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Sie erhielt ihre Grilleneier per Post und legte sie in eine kleine blaue Box. Anfangs hatte sie Probleme, weil sie nie gelernt hatte, wie man Grillen züchtet. Nach drei Monate langem Herumprobieren, schaffte sie schließlich ihren Durchbruch und fing an, mehrere Zyklen von Grillen zu züchten. In den zwei Monaten darauf sprach sich in ihrem ländlichen Dorf in der Nähe von Don Chedi nur 80 km nordwestlich von Bangkok herum, dass sie Grillen züchtet.

„Die Leute kamen zu meiner Farm und wollten mir Grillen abkaufen", erzählte sie mir. Jai realisierte plötzlich das Potential ihres kleinen Nebenprojekts. „Die Farm kostete mich am Anfang 3000 THB (umgerechnet 75 Euro). Nach fünf Monaten hatte ich 20 000 THB (490 Euro) mehr verdient, als ich ursprünglich investiert hatte!"

Schnell entschloss sie sich, weitere 100 000 THB (2500 Euro) in die Betongehege zu investieren, aus der ihre Farm mittlerweile besteht. „Heute verdiene ich mehr als 20 000 THB mit 200 kg Grillen pro Monat. Nächsten Monat möchte ich meine Farm auf die doppelte Größe ausbauen und anfangen, an Großhändler von Talad Thai zu verkaufen."

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Talad Thai am Stadtrand von Bangkok ist mit einer Fläche von fast 9 km2 der größte Markt für Groß- und Einzelhändler des Landes. Durch die Angebote der hunderten verschiedenen Großhändler zu spazieren, ist eine schwindelerregende, glorreiche Erfahrung, bei der man der schieren Vielfalt und Menge der in Thailand erhältlichen Nahrungsmittel ausgesetzt ist.

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Berge von Hokkaido-Kürbissen spenden den Großhändlern Schatten, während Flaschenkürbisse, Zitronen, Kartoffeln und Tomaten die Pfade säumen. Zwiebeln, Unmengen von grünen Kräutern und Knoblauch-Bündel hängen von den Tischen herunter. In der feuchten Luft liegt der subtile, aber stechende Geruch von getrockneten Chilis in Wasser und Essig.

Talad Thai und ähnliche Märkte sind ein üblicher Schritt in der Wertschöpfungskette von mittleren bis großen Insektenzucht-Unternehmen. Der Markt ermöglicht den Farmern große Mengen ihres Produkts an eine große Anzahl von Kunden zu verkaufen. Talad Thai allein erwirtschaftet jeden Monat durchschnittlich ungefähr 300 000 THB (7350 Euro) mit Insekten.

Zwischen einigen Gemüseständen versteckt sich einer der vier Insekten-Großhändler des Markts. Der Stand wird von Somnuek betrieben, ein 54-Jähriger Insektenzüchter, der seit sieben Jahren im Geschäft ist. Er hat nur wenig Zeit sich auszuruhen, wenn er und seine Familie die Kundenscharen bedienen.

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„Seit den Aufklärungskampagnen der Ärzte und der Vereinten Nationen habe ich definitiv mehr Kunden gewonnen. Gleichzeitig haben sich aber auch die Farmen vervielfacht, um die steigende Nachfrage zu befriedigen", erklärte er mir, bevor er nach einem Haufen feuchter, kalter Seidenraupenpuppen greift und einem älteren Passanten nachruft: „Das musst du essen! Das ist gesund für deine Gelenke, besonders für deine Knie."

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Somnuek zeigt auf die funkelnden Schüsseln voller auftauender Insekten und erzählt, dass er anfangs nur ein paar tausend THB verdiente. Mittlerweile liegt sein monatliches Einkommen immer über 100 000 THB (2450 Euro).

„Ich importiere aus Kambodscha und China und exportiere in viele Länder auf der ganzen Welt, in denen sich thailändische Communitys niedergelassen haben", erzählt er mir. „Ich habe sogar schon 100 kg Seidenraupenpuppen an Thailänder in den USA verkauft."

In Isan, einer nordöstlichen Region Thailands, und zum Teil auch in anderen südlicheren Regionen werden traditionell die meisten Insekten gegessen. Obwohl diese Regionen immer noch einen Großteil des Markts ausmachen, wird der Konsumentenkreis immer vielfältiger und größer, weil sich die Einstellung gegenüber Insekten verändert.

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Dr. Yupa Hanboonsong, Lehrbeauftragter im Bereich Entomologie an der Khon Kaen University und Co-Autor eines Berichts der Ernährungs- und Lebensmittelorganisation der Vereinten Nationen im Jahr 2013 über die Insektenzucht in Thailand, erklärt sich diese Veränderung durch die aktuellen Bemühungen, den jüngeren Generationen Insekten als Nahrungsmittel schmackhaft zu machen.

„Wir veranstalten Food-Messen, stellen neue Rezepte vor und servieren diese in den Schulen zum Mittagessen, achten auf schönere Verpackungen und versuchen allgemein, dass sich Kinder auf eine positive Art und Weise mit Insekten auseinandersetzen", erklärt Hanboonsong. „Dadurch ändern wir die Meinungen der Leute."

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„Vor 15 Jahren galt es noch ein Nahrungsmittel der Armen in Insan", sagt Hanboonsong. „Kürzlich sah ich ein fünf- oder sechsjähriges Kind, das Insekten aß. Ich ging auf das Mädchen zu und fragte: ‚Wieso isst du Insekten?' Sie sah mich ganz verwirrt an. Für sie ist es einfach normal—sie isst Insekten mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie Süßigkeiten."

Harn, ein 18-Jähriger aus Isan, der in der Innenstadt von Bangkok einen Insektenstand hat, verdient damit 20 000 THB (490 Euro) pro Monat mit einer Gewinnspanne von 50 Prozent. „Ich wusste, dass ich überall Insekten verkaufen könnte und damit durchkommen würde", sagt Harn, der seine Insekten vom nahe gelegenen Khlong Toei-Markt kauft. „Alle kaufen hier Insekten—Thailänder, Chinesen, Touristen aus dem Westen. Früher habe ich sie selbst gekauft und gekocht, aber dann bemerkte ich, dass sie immer beliebter wurden und beschloss, sie zu verkaufen."

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Zurück in Talad Thai hat auch Somnuek bemerkt, dass seine Kunden immer vielfältiger werden. „Alle möglichen Leute kaufen hier mittlerweile ein", sagt er. „Sogar eine ziemlich berühmte Schauspielerin aus der Region hat bei mir eingekauft."

Die „ziemlich berühmte Schauspielerin aus der Region" ohne Namen kaufte scheinbar ein paar Kilo des teuersten Insekts—der Bambusraupe. Bei einem Stand in der Nähe werden sie für 400 THB (9,80 Euro) pro Kilo verkauft; das Vierfache der Hausgrille. Die Bambusraupe ist nur zu einer bestimmten Zeit im Jahr erhältlich und muss in der Wildnis eingesammelt werden. Besonders in Nordthailand gilt sie als eine der eleganteren Insekten.

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Obwohl die Ernährungs- und Lebensmittelorganisation der Vereinten Nationen davon ausgeht, dass in Thailand ungefähr 200 essbare Arten von Insekten vorkommen, werden nur weniger als ein Dutzend regelmäßig konsumiert. Hanboonsong erklärt, dass man Insekten in zwei Gruppen einteilen kann: gezüchtete Insekten (wie Grillen oder Indomalaiische Palmenrüssler) und wilde (wie Bambusraupen, Weberameisen und Riesenwasserwanzen).

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Die wilden Insekten sind meistens nur in bestimmten Regionen oder zu bestimmten Jahreszeiten erhältlich und es ist schwierig, sie intensiv zu züchten. Weil sie so rar sind, werden sie zu einem teureren Preis als Huhn, Schweine- oder Rindfleisch verkauft. Momentan ist jedoch die Kältetechnik auf dem Vormarsch und so sind immer mehr Insekten das ganze Jahr über verfügbar. (Eingefrorene Insekten halten ein bis zwei Jahre.)

Obwohl das auf kurze Sicht für die Konsumenten eine positive Entwicklung ist, haben die Farmer dadurch aber auch den Ansporn, auf unnachhaltige Art und Weise Insekten zu züchten, wenn sie verfügbar sind. Sogar mit der derzeitigen Sammelquote von wilden Insekten, sind die Bestände der beliebten Riesenwasserwanzen und der Weberameiseneier bereits zurückgegangen.

„Wir müssen es schaffen, dass die Farmer einer größeren Organisation oder Gruppe beitreten, damit wir ihnen die gute landwirtschaftliche Praxis beibringen können", erklärt Hanboonsong. „Wir müssen nicht nur die Wahrnehmung von Insekten als Nahrungsmittel verändern, sondern auch sicherstellen, dass sie nach den Grundsätzen der guten landwirtschaftlichen Praxis gesammelt und gezüchtet werden."

Nach monatelangem Experimentieren ist sich Jai den Risiken der schlechten landwirtschaftlichen Praxis bewusst. „Ich achte darauf, dass die Gehege nicht zu voll sind, damit sie Platz zum Atmen und Rumspringen haben. Wenn zu viele Insekten in einem Gehege sind, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie sich gegenseitig auffressen."

Trotz all der Warnungen, die unweigerlich folgen, wenn ein boomender Sektor die Regierungsaufsicht umgeht und sich schneller als die Forschung entwickelt, hat Thailand bewiesen, dass ein erfolgreiches Insekten-Gewerbe existieren kann. Und die armen, ländlichen Farmer wie Jai profitieren am meisten davon. „Die Grillen haben diese Farm bezahlt. Die Grillen haben mir ein Auto gekauft", sagt sie und zeigt dabei auf einen relativ neuen Toyota. „Die Grillenzucht kann dich aus der Armut holen."