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Clubkultur

​Was passiert, wenn DIE LINKE zur Techno-Diskussion lädt

Die DJs Ruede Hagelstein und Elliver trafen auf Rap-Experte Marcus Staiger und eine clubaffine Bundestagsabgeordnete.
Techno und politisch? Gegen die Mediaspree demonstrierte auch die Clubszene. Foto von Montecruz Foto/Flickr (CC BY-SA 2.0)

Die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag hat da mal eine Frage: "Was ist Techno heute?" Da kann man zur flugs ausgerufenen Podiumsdiskussion schon mal die ganz großen Geschütze auffahren. "Ein bisschen austauschen, und dann die Weltrevolution anzetteln", gab Moderator Marcus Staiger gestern Abend die Parole aus. Am Morgen, okay, Nachmittag nach der Veranstaltung "Popkulturpolitik: Techno, Politik & Clubkultur" im Berliner Club Gretchen, müssen wir konstatieren: Das hat so nicht ganz geklappt. Aber hey, utopische Potenziale bewahren und erstmal auf die Fakten schauen! Macht ja heute nicht jeder. Und immerhin ging es hier um eine "hedonistische Subkultur, mit zumindest indirektem politischen Anspruch", so der Veranstaltungstext, in der der Kommerz präsenter denn je ist.

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Da saßen also Elliver, Ruede Hagelstein und Caren Lay zusammen. Oder anders: eine DJ, Aktivistin und Bookingagentur-Chefin; ein DJ, Produzent und Ex-Journalist; und eine club- und festivalaffine, um nicht zu sagen: ravetaugliche Bundestagsabgeordnete der LINKEN. Oder nochmal anders: allerhand versammelte Clubmusikexpertise.

Und dazwischen hockte Staiger, Rap/HipHop-Koryphäe, (maskulines) linkes Musikgewissen, geschätzter Noisey- und VICE-Kollege und wahrlich kein Kenner der Szene. Leider. Weshalb er sich im Laufe des Abends oftmals mit unterhaltsamer Offenheit an abgeschriebene Zitate aus diesem "Ich glaube, es heißt irgendwas mit Easyjetset"-Buch von Tobias Rapp klammerte. Der SPIEGEL-Redakteur und Autor des Clubkulturstandardwerks Lost and Sound hatte krankheitsbedingt seine Teilnahme absagen müssen.

"Die Leute gehen einfach nur tanzen, sehen Konfettikanonen und nennen das EDM"

Die Übergänge waren also nicht so fließend, aber hier mal ein bedingt verkürzter Minimix nach handschriftlichen Notizen. So erfuhren wir, …

Dass mit Lay da jemand im Bundestag sitzt, der zu Fusion und Nation fährt und sagt, die "Innervisions Nights haben mich geprägt". Da böten sich "Freiräume, die es so in anderen Subkulturen wohl nicht gibt."

Dass das aber nur die halbe Wahrheit wäre, denn zum einen waren die Brandenburger Techno-Clubs der 90er durchsetzt von Faschos, wusste Berliner-Umland-Zögling Hagelstein zu berichten, zum anderen, diesmal Erfolgreich-on-Dauertour-Hagelstein, sei man in vielen Clubs Deutschlands kein richtiger Teil der (alternativen) Szene mit Geschichtsbewusstsein für die Ursprünge der Clubkultur: "Die Leute gehen einfach nur tanzen, sehen Konfettikanonen und nennen das EDM."

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Dass wir die Diskussion um Gleichberechtigung und Repräsentation (Stichwort: female:pressure) in Club- und Festival-Line-ups jetzt mal so lange führen, bis es keine Diskussion mehr ist", so Elliver. (Und sie bald nicht mit mehr bei Artist Dinnern für die Freundin von jemand gehalten wird: "Und die Typen hören dann nicht mehr auf, sich zu entschuldigen. Da denke ich nur: Toll, jetzt habe ich dein schlechtes Gewissen an der Backe!")

Türpolitik ist nicht gleich Türpolitik

Dass Ulf Poschardt mit seinem Vergleich einer vermeintlich guten Einwanderungspolitik mit einer guten Türpolitik "einfach nur dumm" (Staiger) war und an der Tür vielmehr, "wie in der Politik, eine Mehrheit für ein Interesse umgesetzt wird" (Hagelstein). Elliver erinnerte zudem daran, wie und warum die Bar25 eine Selektion eingeführt hat: "Die haben damals gemerkt, dass es da Probleme gibt, die sie, gerade wenn sie bis Dienstag durchfeiern, (ohne Tür) nicht lösen können, zumindest nicht vor Donnerstag."

Dass "Clubs aufmachen, Clubs zumachen" (Elliver) und das Watergate trotz nach Eigentümerwechsel ungefähr verdoppeltem Mietpreis (Hagelstein) einfach weitermachte wie gehabt, obwohl da eigentlich die gesetzliche Mietpreisbremse hätte eingreifen können, "aber die Große Koalition (im Bund) hat bei dem letztendlichen Gesetz versagt", hakte Lay ein.

Moment, kann davon nicht auch der Club hier ein Lied singen?

Ruede Hagelstein: "Lars und Pamela vom Gretchen machen übrigens echte Kultur." Pamela, aufs Podium gebeten: "Unser Club ist Wirtschaftsfaktor und Kulturgut.", Und wird, Stand: jetzt, nicht zugemacht, weil die Verscherbelung des bundeseigenen Kreuzberger Dragoner-Areals, auf dem das Gretchen steht, an einen Privatinvestor gestoppt wurde. Sehr gut!

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Die Szene bleibt noch oft hinter ihren Möglichkeiten zurück

Ansonsten ist Berlin schön, aber auch etwas satt. Mehr als Protestparaden wollen viele nicht machen, lautete der Erinnerungstenor von Elliver aus ihrer Zeit als Mitinitiatorin von "Megaspree". Doch wenn seine "Freunde aus San Francisco" im Watergate einen Spreesonnenaufgang erleben können, fand Hagelstein das allerdings eben so toll wie Lay einen enthusiastischen Berghain-Erlebnisbericht zweier Raver aus Malaysia, wo Homosexualität verboten ist: "Klar möchte man da sagen: Kommt alle hier her!"

Aber so einfach ist es dann doch nicht. Denn gerade durch die anschließende Diskussion mit dem zahlreich erschienenen Publikum wurde ebenso deutlich wie es angemerkt wurde, dass Clubkultur in Berlin heutzutage primär weiße, mutmaßlich heterosexuelle Menschen repräsentieren und diskutieren. Und ja, das schließt die Berichterstattung nicht aus.

Zu wenig würden Clubs obendrein unternehmen, um durch ihren Erfolg verdrängte marginalisierte Gruppen in den Clubs zu halten oder Einkommensschwachen Teilhabe zu ermöglichen, wie gleich mehre Gäste anmerkten. Freier Eintritt vor Mitternacht wäre etwa ein Ansatz, hieß es.

Politisch bleibt die Szene so noch weit unter ihren Möglichkeiten, befand auch Megaspree-Mitorganisatorin Elliver, dabei kann man in Clubs "viel abhängen und labern – ideal für Diskussionen."

So drehte es sich der Abend am Ende vor allem um die Absicherung bzw. den Erhalt der Clubkultur. Was kann also konkret getan werden?

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Für die Clubkultur gibt es aktuell drei politische Brennpunkte

Eine Antwortmöglichkeit als Club wie als normale Clubgängerin: organisieren, demonstrieren, anrufen, Briefe schreiben. Und zwar an Abgeordnete des Bundestages und Berliner Senats. Denn es gibt gleich drei Gesetze und politische Entwicklungen, die die Szene betreffen und betreffen werden:

Erstens, der Lärm- bzw. Emissionsschutz. Hier braucht es eine Sonderkategorie für "urbane Gebiete", wie Lay sie nannte: Areale, in denen es bereits eine aktive (Club-)Kultur gibt und es dementsprechend auch lauter werden darf. Dann könnten Neuanwohner nämlich nicht mehr benachbarte, bereits existierende Clubs herausklagen, wie es so oft passiert ist.

Zweitens, das Grünanlagengesetz, das kleine Raves (aber auch größere, entschieden kommerziellere Pop-Festivals wie das umstrittene Lollapalooza) schützen könnte. Wenn man es denn politisch wollen würde.

Drittens, das Drugchecking. Im Berliner Koalitionsvertrag wurde die Absicht festgehalten, in der Stadt Maßnahmen zur harm reduction zu stärken. Dazu gehört auch das aktuell überall in Deutschland noch illegalisierte Drugchecking.

Müsste man dafür nicht auch regelmäßig weniger clubaffine Politiker aller Parteien mit der Szene vertraut machen? Gästeliste im blank für CDU und SPD? Keine Angst, in Berliner kümmert sich darum bereits die Clubcommission, sagte ein anwesendes Mitglied des Vereins. Und als clubaffine Wählerin wie Wähler muss man eben auch die Partei des Vertrauens, ob nun LINKE oder andere, auf die Positionen in diesen Bereichen abklopfen.

Der bis dahin abgemeldete Staiger hatte zum Schluss auch noch einen Witz parat: "Arbeiter*innen-und-Raver*innen-Räte gründen, Fakten schaffen!" Wobei, der meinte das ernst.

Wenn du also das nächste mal eine Politikerin oder einen Politiker im Club triffst: Sprich mit ihnen darüber. Und wenn sie davor stehen: Nimm sie doch bitte mit rein. Danke!

Thomas twittert. Folge zudem THUMP auf Facebook und Instagram.