Geflüchtete zeigen Berlinern, wie man ordentlich kocht
Cooked lentils tossed with herbs, carrots, and onion for lentil soup. All photos by the author.

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Geflüchtete zeigen Berlinern, wie man ordentlich kocht

Über den Tellerrand e. V. will Flüchtlingsintegration gestalten und veranstaltet einmal im Monat Kochkurse, wo Geflüchtete, die einen Hang zum Kochen haben, Rezepte aus ihrer Heimat mit den Beheimateten teilen.

Ein lauer Maiabend in Berlin Schöneberg. Der 29-jährige Reza bereitet gerade die Zutaten vor. Ab und zu rührt er in einem Topf umher, in dem gerade Rindfleisch kocht, der Dampf steigt in sein Gesicht auf. Auf dem langen Tisch stehen Kisten mit Gemüse, Schneidebretter und Messer, am anderen Ende steht sein Herd.

Er ist der Star des Abends. Über den Tellerrand e. V. will Flüchtlingsorganisation gestalten und veranstaltet einmal im Monat Kochkurse, wo Geflüchtete wie Reza, die einen Hang zum Kochen haben, Rezepte aus ihrer Heimat mit den Beheimateten teilen. Heute zeigt Reza den Teilnehmern ein Drei-Gänge-Menü mit Gerichten aus der afghanischen Provinz Herat, nahe der Grenze zum Iran.

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1. Reza grew up in Iran though his family is from Afganisthan

Reza ist im Iran aufgewachsen, seine Familie kommt aber ursprünglich aus der westafghanischen Provinz Herat. Alle Fotos vom Autor

Letztes Jahr kamen mehr als eine Million Flüchtlinge aus kriegs- und krisengebeutelten Ländern wie Syrien, Afghanistan und aus Nordafrika nach Deutschland. Immigration ist in Deutschland nichts Neues: Bereits in den 50er Jahren warb man während der Zeit des Wirtschaftswunders Arbeiter aus anderen Ländern an, um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen.

3. Preparations for the Afghan cooking class

Alle Zutaten für den Kochabend stehen auf dem Tisch bereit

Jetzt ist die Lage jedoch anders.

Die Flüchtlingswelle hat eine heftige Integrationsdebatte ausgelöst. Die meisten Deutschen geben, ganz im Sinne unserer offenen Gesellschaft, ihr Bestes, den Geflüchteten bei der Integration und Assimilation zu helfen. Rafael Strasser und Lisa Thaens aus Berlin haben das gemeinnützige Projekt Über den Tellerrand 2013 ins Leben gerufen. Sie veranstalten monatliche Kochkurse und Pop-up-Restaurants, die von Flüchtlingen geleitet werden—Asylsuchende wie Reza, die hoffen, in Deutschland eine neue Heimat zu finden.

8. Dicing cucumbers

Jeder bekommt eine Aufgabe

Lisa hat Reza in Berlin-Hellersdorf kennengelernt, als sie gerade ihren Stand bei einem Straßenfest aufbaute. „Wir haben unseren Vereinsnamen mit Kreide auf den Boden geschrieben. Das hat Reza gesehen und fragte: „Kochen?" Er erzählte uns dann, dass er kochen liebt, so kamen wir ins Gespräch und ich lud ihn ein, uns imsocial impact lab zu besuchen, wo wir damals gearbeitet haben. Kurz danach hat er bereits seinen ersten Kochkurs gegeben und seitdem ist bei uns in der Gruppe aktiv", erzählt Lisa.

Die Teilnehmer heute Abend sind vor allem Einheimische aus Berlin, die gern Rezepte aus einem anderen Land kennenlernen möchten. Tine ist Künstlerin und Mutter von drei Kindern. Sie arbeitet mit Flüchtlingskindern und erzählt, dass sie auch schon überlegt hat, Kochkurse in ihren Unterricht einzubauen. Ralf und Melanie haben den 13 Jahre alten Bahram aus Afghanistan bei sich aufgenommen. Sie wollten ihm mit diesem Abend wieder ein Stück Heimat zurückgeben. Vanessa ist eigentlich beruflich damit beschäftigt, nach neuen Atommüllagern zu suchen, und liebt es einfach, neue Gerichte und Kulturen kennenzulernen.

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14. Ralf and Melanie are fostering Bahram from Afghanistan

Ralf und Melanie aus Berlin haben den 13-jährigen Bahram aus Afghanistan bei sich aufgenommen

Bevor es losgeht, erklärt Reza kurz das heutige Menü: Linsensuppe, geschmorte Aubergine mit Reis und Rindfleisch, gorme bademjan, und zum Dessert einen Safranpudding. Dann verteilt er die Aufgaben: Auberginen schneiden, eine Karottenjulienne machen—die Streifen dürfen nicht dicker als Streichhölzer sein—, Zwiebeln hacken. Reza ist mit seiner Kochschürze hier der Chef. Er fühlt sich wohl, plaudert mit den Teilnehmern und führt seine neuesten Deutschkenntnisse vor. „Reza liebt es einfach, Freunde einzuladen und zu kochen. Als Koch kann er Gastgeber sein und das macht ihn glücklich", meint Lisa.

Sein breites Lächeln und seine frohes Gemüt täuschen über seinen steinigen Weg bis nach Deutschland hinweg. Vor sieben Jahren verließ er seine Heimat und kam nach Europa, zuerst nach Griechenland. Hier konnte er sich Geld verdienen, um weiter in die Niederlande zu reisen. Doch dort zerplatzte sein Traum von einem Leben in Europa: Bei der Einreise wurde er verhaftet und saß 14 Monate im Gefängnis, bevor er dann wieder nach Afghanistan abgeschoben wurde. Er versuchte es noch mehrmals, wieder nach Europa zu kommen, und hat es am Ende nach Deutschland geschafft, wo er sich langsam in die Gesellschaft integriert. Vor Kurzem hat er seinen Deutschtest bestanden und spricht die neue Sprache bereits flüssig—was extrem wichtig ist, um hier zu leben.

11. Picking mint leaves

Minze und Dill verleihen Rezas Linsensuppe den perfekten Geschmack

Reza liebt das Kochen zwar, ist aber kein professioneller Koch und will auch nicht in der Gastronomie arbeiten. „Das ist ein stressiger Job mit langen Arbeitszeiten, das würde ich nicht Vollzeit machen", meint er. Am liebsten würde er als Schuhmacher arbeiten, das hat er ursprünglich gelernt.

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Nach zwei erfolgreichen Jahren hat Über den Tellerrand mittlerweile ein festes Zuhause im KitchenHub in Schöneberg gefunden, wo auch die Kochkurse stattfinden und der in Zusammenarbeit mit dem Institut für Architektur der TU Berlin gestaltet wurde. „Eine Gruppe aus Studenten und Geflüchteten aus verschiedenen Kulturen und Ländern hat die Gemeinschaftsküche entworfen und gebaut. Für uns ist es ein Zuhause für unsere vielfältige Gemeinschaft. Hier kann jeder Ideen einbringen", erzählt Lisa.

18. Lentil soup

Und so sieht die fertige Linsensuppe aus

In den letzten Jahren ist aus ihrer aufopferungsvollen Arbeit ein ziemlich erfolgreiches Kochbuch mit Rezepten aus verschiedenen Kulturen entstanden, Rezepte für ein besseres Wir. Auch von Reza sind einige Rezepte dabei. „Bis jetzt wurden 9.000 Exemplare verkauft", meint Lisa. Für September ist bereits ein zweites Kochbuch geplant, Eine Prise Heimat.

19. Gorme Badenjan

Gorme badenjan mit Rindfleisch und Reis

Am Tisch erzählt Reza noch einige kulinarische Anekdoten aus seiner Heimat: „Der Reis muss richtig zäh sein. Er wird drei Stunden eingeweicht und dann nur zehn Minuten gekocht. In Afghanistan kauen die Männer gern lange auf ihrem Reis rum", erzählt er und alle lachen.

13. Reza demonstrates

Reza zeigt den Teilnehmern, wie man Ingwer reibt

Nachdem er sich vor vielen Jahren auf eine gefährliche Reise in der Hoffnung auf ein besseres Leben begeben hat und unter teilweise widrigen Umständen (über-)leben musste, hat Reza in Deutschland eine neue Heimat gefunden. Manchmal aber überkommt ihn ein bisschen Heimweh. Seine Wehmut kocht er am Herd weg. Ob es Zutaten der afghanischen Küche gibt, die er hier vermisst? „Ich konnte keine Okraschoten finden", sagt er lächelnd und rollt mit seinen grau-blauen Augen.

Es kann also nicht alles perfekt sein, aber seine neue Heimat Berlin kommt dem schon sehr nah.