Wie ein Pop-up-Restaurant Migrantinnen ein neues Leben ermöglicht

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Köche

Wie ein Pop-up-Restaurant Migrantinnen ein neues Leben ermöglicht

Im Mazi Mas in London kochen Migrantinnen die Gerichte aus ihrer Heimat, aus ihrer Kindheit. Dadurch entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, sie tauschen Erfahrungen aus und bewahren Familienrezepte vor dem Vergessen.

Im Mazi Mas, einem Pop-up-Restaurant in London, kochen Migrantinnen aus den verschiedensten Teilen der Welt. Zu ihnen gehört auch Azeb Woldemichael.

Ich treffe die Köchin Azeb im The Russet im Londoner Stadtteil Hackney, wo das Mazi Mas derzeit „residiert". Sie bereitet gerade alles für den Abendservice vor. Geboren und aufgewachsen ist sie in der riesigen Hauptstadt Äthiopiens, Addis Abeba. Als Erwachsene lebte sie die meiste Zeit im italienischen Turin, bevor sie dann 2011 nach London kam, damit ihr Sohn auf eine bessere Schule gehen kann. Als Teenager hat Azeb ihrer Mutter immer beim Kochen für die große Familie zugeguckt und so vieles gelernt, was sie auch später als Mutter angewendet hat. In den 17 Jahren in Italien ist sie außerdem ein echter Lasagne-Profi geworden und arbeitete dort in äthiopischen und italienischen Restaurants.

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Als sie schließlich nach London kam, brauchte Azeb einen Job. Nachdem sie eine Schulung in Lebensmittelhygiene gemacht hat, lernte sie Niki Kopcke kennen, die Gründerin des Mazi Mas. Und genau dort hat sie in den letzten drei Jahren gearbeitet und die Gerichte aus ihrer Kindheit in Äthiopien gekocht. „Im Mazi Mas koche ich das Essen, mit dem ich aufgewachsen bin", erzählt mir Azeb. Damit beschreibt sie genau das, was das Mazi Mas ausmacht. Hier, so Niki, steht das „Essen wie zu Hause" im Mittelpunkt. Das passt auch zum Namen des Restaurants: Mazi Mas heißt auf Griechisch „Iss mit uns".

„Oft ist das, was die Leute zu Hause kochen, für mich viel interessanter als vieles, was man in Restaurants bekommt", meint Niki. „Und ich glaube, das geht vielen Menschen so. Deshalb dachte ich mir, ich sollte ein Restaurant eröffnen, wo es genau diese Art von Essen gibt." Das klingt auch rein wirtschaftlich logisch:Wer isst nicht gern etwas, das wie zu Hause schmeckt? Aber das ist nur ein Grund, warum es das Mazi Mas heute gibt.Niki Kopcke suchte außerdem nach einer Möglichkeit, Migrantinnen Arbeit zu geben, sodass sie Geld verdienen, ihr Wissen und ihre Fertigkeiten austauschen und ihre Sprachkenntnisse verbessern können, sodass sie sich als Teil einer eng zusammengewachsenen Gruppe gegenseitig unterstützen können. Und wie könnte man all das besser erreichen als durchs Essen?

„Mit dem Mazi Mas wollen wir die aufopferungsvolle Arbeit der Frauen auch entsprechend finanziell entlohnen", erzählt Niki. „Seit 2012 gibt es das Restaurant, aber die Idee dazu ist schon lange vorher entstanden." Wahrscheinlich kam das durch Nikis Taufpatin und ehemaliges Kindermädchen Maria. Sie hat in ihr schon früh die Leidenschaft für Essen geweckt, vor allem aber hatte Maria es als Griechin damals schwer, in New York Arbeit zu finden, was Niki dann später dazu inspiriert hat, Migrantinnen in ähnlichen Situationen helfen zu wollen.

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„Ich bin mit der griechischen Kultur aufgewachsen, deshalb ist Essen alles für mich. Ich bin verrückt danach", erzählt Niki. „Mazi Mas will natürlich vor allem eine Marktlücke abdecken, aber ich habe das Projekt auch gestartet, um soziale Ziele zu erreichen." Azeb kocht verschiedene Wots aus Gemüse, äthiopische Saucen, die ganz langsam gekocht und mit Berbere, einer scharfen Gewürzmischung aus Äthiopien, gewürzt werden. Neben einer scharfen Sorte Wot mit Linsen macht Azeb auch Saucen aus Roter Bete, Kartoffeln, Kohl und Karotten. Diese werden dann traditionell mit Injera serviert, einem gesäuerten Fladenbrot, das gleichzeitig Teller und Besteck für die Wots ist. Aber auf der Karte des Mazi Mas sind nicht nur Azebs Gerichte: Neun Köchinnen arbeiten hier, jede kommt aus einem anderen Land und bringt eine andere Küche mit ganz eigenen Aromen mit. Roberta kommt aus Brasilien und kocht gerade einen traditionellen Eintopf aus schwarzen Bohnen, Wurst und Speck. Zohreh aus Iran macht typisches Safran-Hühnchen.

„Hier konnte ich so viele unterschiedliche Küchen kennenlernen, denn ich arbeite mit Frauen aus Brasilien, der Türkei, Iran und Senegal zusammen", erzählt mir Azeb und fügt hinzu, dass sie an Silvester ein paar Gerichte von der Karte des Mazi Mas für ihre neuen Freunde gekocht hat. „Alle sind super freundlich", meint sie strahlend. So entstehen Freundschaften und ein inniges Gemeinschaftsgefühl. Das und der Austausch von Wissen sind wohl die wichtigsten Dinge, die ein Restaurant wie das Mazi Mas erreichen will. Und das nicht nur für die Frauen, die dort arbeiten: „Es ist auch wichtig, diese ,heimischen Familien-Rezepte' zu bewahren", meint Niki. „Sie gehören zum sozialen und kulturellen Erbe und wenn wir nicht aufpassen, gehen sie verloren."

Azeb fühlt sich als Köchin im Mazi Mas extrem wohl, träumt aber auch davon, eines Tages ein eigenes kleines äthiopisches Restaurant zu eröffnen „Ich hätte natürlich gern meinen eigenen kleinen Laden", meint sie. „Aber ich liebe die Arbeit hier auch. Also würde ich wahrscheinlich immer noch weiter hier arbeiten wollen, selbst wenn ich eines Tages mein eigenes Restaurant habe."

Illustration von Hisham Bharoocha

Fotos von Mara Klein