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Niemand ist besser gegen Autounfälle gewappnet als Graham

Gemeinsam mit einem Unfallchirurgen und einem Experten für Autounfälle zeigt die australische Künstlerin Patricia Piccinini, wie schlecht unser Körper eigentlich gegen Autounfälle geschützt ist.
Um das Hirn bei Aufprallen des Kopfes vor der Kollision mit den Innenseiten des Schädels zu bewahren, hat Graham einen größeren Kopf mit mehr Zerebrospinalflüssigkeit. Alle Fotos: Transport Accident Commission Victoria

Wie sich die menschliche Evolution auf unseren Körper auswirkt, haben die meisten schon anhand der schmerzhaften Entfernung ihrer Weisheitszähne erfahren dürfen. Die vier Zähne machen uns nämlich letztlich nur deshalb Probleme, weil sich unser Kiefer im Laufe der Evolution verkleinert hat, da er heute deutlich weniger kauen muss als unsere steinzeitlichen Vorfahren wie Ötzi es tun mussten.

Doch die Mühlen der Evolution mahlen nicht gerade im Eiltempo, und während der Prozess der natürlichen Kieferreduktion gleich mal mehrere tausend Jahre in Anspruch genommen hat—gleichwohl nur ein Wimpernschlag in der Geschichte der Menschheit—wissen wir nicht, ob auch die heute überflüssigen Weisheitszähne eines Tages von unserer Kauleiste verschwinden werden.

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Ebenso ungewiss ist, ob und wie sich der menschliche Körper an die physische Beanspruchung durch eine der Lieblingsbeschäftigungen der Moderne, das Autofahren, anpassen wird—schließlich ist es gerade einmal 100 Jahre her, dass Ford mit der Fließbandproduktion von Automobilen begann. Eines aber ist sicher: Der menschliche Körper wurde nicht dafür gemacht, den physikalischen Kräften eines Autounfalls zu trotzen, bei dem das Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit mit anderen Objekten kollidiert. Wäre dies der Fall, würden wir wohl alle aussehen wie Graham, eine lebensechte Kunstskulptur, die gemeinsam von einer Künstlerin, einem Unfallchirurgen und einem Experten für Unfalluntersuchung im Auftrag der australischen Transport Accident Commission (TAC) im Bundesstaat Victoria entworfen wurde.

Der in unseren Augen deformierte Graham soll dabei in erste Linie Bewusstsein für die Verwundbarkeit des menschlichen Körpers bei Verkehrsunfällen und ein dementsprechend verantwortliches Fahrverhalten fördern, verrät aber auch einige interessante Dinge über die menschliche Anatomie. Während Studien gezeigt hätten, dass unser Körper lediglich Aufpralle mit einer Geschwindigkeit verkraften kann, die wir aus eigenem Antrieb erreichen, „hilft Graham uns zu verstehen, warum wir jeden Aspekt unserer Straßensysteme verbessern müssen, um uns vor unseren eigenen Fehlern zu schützen", so Joe Calafiore von der TAC.

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Graham verfügt auch über robustere Rippen und ein größeres Brustkorbvolumen sowie zusätzliche Brustwarzen. Foto: Transport Accident Commission Victoria

Und so hat Graham, „die einzige Person, die entworfen wurde, um auf unseren Straßen zu überleben", keinen Nacken, den er sich brechen könnte, eine ordentlich Portion Fettgewebe im Gesicht und am Kopf, um Augen, Nase und Ohren zu schützen, organische Airbags zwischen den Rippen und omnidirektionale Kniegelenke. Außerdem ist sein Körper von einer dickeren, robusteren Haut überzogen.

Einen intimen Einblick in die Anatomie Grahams, der aus Silikon, Glasfaser, Harz und menschlichem Haar gefertigt wurde, bietet die TCA mit einer beeindruckenden interaktiven 360-Grad-Animation.

Graham im interaktiven 360-Grad-Anblick. Screenshot: www.meetgraham.com.au

Wie hier eindrucksvoll zu sehen ist, befindet sich Grahams Hirn, das von der selben Größe ist wie das unsere in einem extra großen Schädel, der ein größeres Volumen von Zerebrospinalflüssigkeit fassen kann, um das Hirn bei einem Aufprall des Kopfs abzufedern, so dass es nicht gegen Vorder- und Rückseite des Schädels knallt. Grahams Schädel übernimmt dabei die schützende Funktion eines Helms und ist so entworfen, dass er „bricht, um die Kraft eines Aufpralls zu absorbieren und davon abhält, auf das Hirn einzuwirken", so Christian Kenfield, Unfallchirurg am Royal Melbourne Hospital.

Die natürliche Schutzfunktion der Rippen und des Brustkorbs für unsere inneren Organe hat Künstlerin Patricia Piccinini bei Graham durch robustere Rippen und ein größeres Brustkorbvolumen verstärkt und durch zusätzliche Brustwarzen, welche im Falle eines Aufpralls Flüssigkeit absondern, um so die kinetische Energie, die auf den menschlichen Körper einwirkt zu absorbieren, ergänzt. Grahams Brustkorb wird so zu einem fleischgewordenen Airbag.

„Autos haben sich einfach viel schneller entwickelt als wir Menschen es tun. Unsere Körper sind einfach nicht so ausgestattet, dass sie mit den Kräften bei einem gängigen Unfallszenario klarkommen", so Unfallexperte David Logan von der Monash University, der bei der Kreation von Graham ebenfalls beratend zur Seite stand.

Graham ist derzeit noch bis 8. August in der State Library of Victoria ausgestellt, wo Besucher mit Googles Augemented-Reality-Technologie für Smartphones,

Project Tango

, die Physiognomie von Graham erkunden können. Später soll er auch an Schulen als Lernobjekt zur Verfügung gestellt werden.