Wieso Erdogans Wahlkampf in der Schweiz nicht verhindert werden sollte

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Wieso Erdogans Wahlkampf in der Schweiz nicht verhindert werden sollte

Behörden haben in einer Woche drei AKP-Veranstaltungen verboten: Der Chefredakteur einer schweizerisch-türkischen Zeitschrift erklärt die Gefahr davon.

Titelbild: FlickrRecep Tayyip Erdoğan | CC0 1.0 Am 16. April stimmt die Türkei über eine Verfassungsreform ab, die das Land weiter in Richtung Autokratie treiben und die Macht Erdogans noch enger konsolidieren würde. Das sind die wichtigsten Punkte der Reform:

  • Das Parlament könnte kein Misstrauensvotum mehr gegenüber der Regierung beschliessen.
  • Das Parlament würde die legislative Gewalt zwar behalten, Erdogan würde aber zusätzliche Vetorechte erhalten.
  • Erdogan dürfte Parteivorsitzender der AKP bleiben und somit weiterhin Einfluss auf die Auswahl von Parlamentskandidaten üben.
  • Erdogan könnte bei der Besetzung des Hohen Rates der Richter und Staatsanwälte ein entscheidendes Wort mitreden.
  • Erdogan könnte für zwei weitere fünfjährige Amtsperioden kandidieren und somit bis 2029 an der Macht bleiben.

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Um die Verfassungsreform durchzuboxen, geht Erdogans AKP auch im Ausland auf Stimmenfang. Von den gut drei Millionen im Ausland lebenden Türken, wohnt rund die Hälfte in Deutschland. Weil einige Städte anstehende Veranstaltungen abgesagt hatten, bezichtige Erdogan Deutsche Behörden Nazi-Methoden. In der Schweiz leben zwar nur rund 90.000 stimmberechtigte Türken, doch auch hier wirbt die AKP über ihre Tarnorganisation Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) für die bevorstehende Reform. Jede Stimme zählt.
Doch wie in Deutschland, regt sich auch in der Schweiz – wo die Rede- und Versammlungsfreiheit normalerweise hochgehalten wird – Widerstand gegen die AKP-Propagandaveranstaltungen: Drei AKP-Veranstaltungen in Opfikon, Affoltern und Spreitenbach, wo der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu oder der Vizepräsident der Istanbuler AKP-Sektion Hursit Yildirim hätten auftreten sollen, wurden von Schweizer Behörden wegen "schwerwiegender Sicherheitsbedenken" verhindert.

Wir sprachen mit Aydin Yildirim, dem Chefredakteur der politisch und religiös unabhängigen schweiz-türkischen Zeitschrift Haber Podium, über den AKP-Wahlkampf im Ausland:

Chefredakteur von Haber Podium: Aydin Yildirim | Foto: Philippe Stalder

VICE: Wieso hat die AKP ein Interesse daran, in der Schweiz Wahlkampf zu betreiben?
Aydin Yildirim: Die AKP kämpft um jede Stimme, um die anstehende Verfassungsreform durchzubringen. In der Schweiz leben zwar nur rund 90.000 stimmberechtigte Türken, aber vor dem Hintergrund der abgesagten Wahlveranstaltungen in Deutschland, dient die Schweiz der AKP auch als Ausweichort. Diese Wahlveranstaltungen sind insofern problematisch, als dass Cavusoglu als Minister im Ausland die Interessen aller Türken vertreten sollte, und nicht nur die seiner eigenen Partei. Zudem werden die AKP-Veranstaltungen von türkischen Steuergeldern finanziert, die ja auch von Leuten bezahlt wurden, die nicht AKP-Wähler sind.

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Die Veranstaltungen wurden offiziell von der UETD organisiert. Wie ist diese Organisation in der Schweiz organisiert und wer steht dahinter?
Die UETD ist seit zehn Jahren in Europa aktiv. Seit gut drei Jahren gibt es sie auch in der Schweiz. Bei der Organisation mit dem harmlos klingenden Namen 'Union Europäisch-Türkischer Demokraten' handelt es sich um eine AKP-Lobbygruppe. Sie legen ihre Finanzierungsquelle zwar nicht offen, aber es ist klar, dass sie von der AKP über das Konsulat finanziert werden. Ihr Sitz ist in Dietikon.

Was halten Sie davon, dass Schweizer Behörden AKP-Wahlveranstaltungen verbieten?
Abgesehen davon, dass solche Verbote die Meinungs- und Versammlungsfreiheit verletzen, wirken sie kontraproduktiv: Denn sie spielen der AKP in die Hände, die sich als Opfer darstellt und die westlichen Demokratien in Frage stellen kann. So bezichtigte Erdogan Deutschland der Anwendung von "Nazi-Methoden". Wenn die Schweiz so weiter macht, könnte es zu einer diplomatischen Krise kommen. Man würde die AKP also besser gewähren und sie in einem Saal vor 200 Anhängern ihre Reden runterspuhlen lassen. Danach könnte man die AKP dafür entlarven, dass sie im Ausland ein Recht in Anspruch nimmt, das sie der eigenen Opposition zuhause nicht gewährt. So ist es allerdings schwierig, die AKP für etwas zu kritisieren, das man ihr selber nicht erlaubt.
Zudem sind in der Schweiz ja auch schon kurdische und alawitische Wahlveranstaltungen über die Bühne gegangen, für alle Parteien sollten dieselben Regeln gelten.

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Die Zürcher Sicherheitsdirektion begründete die Absage der Veranstaltungen mit Sicherheitsbedenken wegen «massiven Kundgebungen» von politischen Gegnern. Ist diese Befürchtung berechtigt?
Ich finde nicht, nein. Das ist doch nur ein Vorwand. Der türkisch-kurdische Konflikt ist unter den in der Schweiz lebenden Gemeinschaften nicht problematisch. Auch an früheren Wahlveranstaltungen ist es zu keinen Auseinandersetzungen gekommen.

Worum geht es bei der anstehenden Verfassungsreform?
Erdogan will seine Macht noch weiter konsolidieren. Er ist mit der AKP seit 15 Jahren an der Macht, aber er hat noch nicht genug. Weltweit herrscht eine autokratische Tendenz. Assad, Putin, Trump – Erdogan ist da in guter Gesellschaft. All diese Machthaber versuchen ihre Macht militärisch, politisch und juristisch auszubauen. Mich beunruhigt das. Während die EU mit ihren eigenen Problemen, der Flüchtlingskrise und dem Brexit beschäftigt ist, nutzt Erdogan die internationale Unsicherheit, um die Macht an sich zu reissen. Er muss bald gar niemandem mehr Rechenschaft ablegen. Opponenten kann er ins Gefängnis stecken.

Inwiefern ist die Türkisch sprechende Gemeinschaft in der Schweiz von dieser Entwicklung betroffen?
Ich stelle fest, dass viele Leute vorsichtiger geworden sind. Insbesondere in den sozialen Medien. Die Leute haben heute Angst, ihre Meinung zu sagen, weil AKP-Anhänger sie direkt den türkischen Behörden melden. Wenn sie dann im Sommer in die Türkei reisen, könnten sie am Flughafen oder an der Grenze angehalten und verhört werden. Die Beamten üben so psychischen Druck aus. Ich habe von einigen Freunden gehört, dass sie drei vier Stunden am Flughafen festgehalten wurden.

Wie gehen Sie als Redaktion mit dieser zunehmenden Spannung um?
Ich bemühe mich darum, neutral und ausgewogen zu berichten, weswegen ich keine Angst vor Repressionen habe. Abgesehen davon, berichten wir ja nur über Themen mit einem Schweiz-Bezug, den die hier lebende türkisch sprechende Gemeinschaft betrifft.

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