Diese Mütter erzählen von ihren ermordeten Kindern

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Diese Mütter erzählen von ihren ermordeten Kindern

Jedes Jahr kommen in Venezuela Zehntausende Menschen bei Mordfällen ums Leben. Wir haben mit einigen Müttern gesprochen, die ihre Kinder verloren haben.

Jedes Jahr werden in Venezuela Zehntausende Menschen ermordet. Caracas ist dabei nicht nur die Landeshauptstadt, sondern auch die Mordhauptstadt der ganzen Welt. 2015 kam es dort zu 4.000 Mordfällen – und das bei gut drei Millionen Einwohnern. Laut den offiziellen Regierungsangaben sind im gleichen Jahr im ganzen Land 18.000 Personen ermordet worden. Das unabhängige Venezuelan Violence Observatory behauptet jedoch, dass es eher 28.000 waren.

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Viele dieser Todesopfer sind das traurige Resultat von Überfällen, Entführungen, Gang- und manchmal auch Polizeigewalt. Seit 2014 gehen die Venezolaner regelmäßig auf die Straße, um gegen die Gewalt (und andere Probleme wie Hyperinflation oder Korruption) zu protestieren. Ironischerweise enden diese Demonstrationen manchmal dann selbst in Gewalt.

Über die Mordrate Venezuelas nachzudenken, ist nicht nur eine erschütternde, sondern vor allem eine abstrakte Aufgabe. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, einige venezolanische Frauen zu besuchen, deren Kinder umgebracht wurden. Sie erzählten uns von ihrem Verlust, während wir sie bei sich zu Hause fotografierten.

 ALBIS

Albis Hernández ist die Mutter von Esteban, einem 17-jährigen Schüler, den ein Polizist erschossen hat. Esteban fuhr hinten auf dem Moped eines Freunds mit. Die beiden waren auf dem Heimweg von der Schule und trugen sogar noch ihre Schuluniformen.

Während die jungen Männer nach Hause fuhren, machte die Nachricht die Runde, dass in der Nähe eine Bäckerei ausgeraubt worden war. Der Besitzer des Ladens erzählte der Polizei, dass die Räuber zwei Jungs gewesen seien. Als die Polizisten dann die Mopedfahrer zum Anhalten aufforderten, bekam Estebans Freund Angst und fuhr einfach weiter. Einer der Beamten feuerte daraufhin einen Schuss ab und traf Esteban in den Rücken. Der Jugendliche war sofort tot. Der Besitzer der Bäckerei bestätigte später noch, dass Esteban und sein Freund nicht die Räuber waren.

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CONSUELO

Richard Alexander kam um, als er auf dem Weg zum Supermarkt von einer Kugel in den Kopf getroffen wurde. Consuelo Palacios hat keine Ahnung, warum ihr Sohn sterben musste.

Sie weiß nur, dass mehrere Männer ihn mit Baseballschlägern angriffen. Diese Auseinandersetzung endete dann mit einem Schuss. Vielleicht auch mit zwei, sie ist sich nicht sicher. Alexanders Leiche wurde schließlich zwei Tage später auf einer Brachfläche in der Nähe des Supermarkts gefunden.

GLORIA

Mit neun Jahren geriet Omar auf dem Nachhauseweg von der Schule in eine Schießerei. Seine Familie lebt in einer der gefährlichsten Gegenden der Stadt Petare. Dort haben Gangs mit schwerbewaffneten Mitgliedern zwischen 15 und 20 das Sagen.

Omar und seine Mutter Gloria stiegen gerade aus dem kleinen Schulbus, als es zu einer Schießerei zwischen zwei verfeindeten Gangs kam. Gloria hielt ihren Sohn an der Hand und spürte plötzlich, wie er zu Boden fiel. Ein Querschläger hatte ihn in den Kopf getroffen.

MARÍA DEL CARMEN

María del Carmens Söhne Ronnie und Jorge wurden von einer Gang aus der Gegend umgebracht, in der sie früher wohnten. Ihre Bilder zieren nun die Wände des neuen Hauses, denn die Mutter zog sofort weg, als Gangster damit drohten, auch noch ihren dritten Sohn zu töten.

Laut ihr haben ihre Söhne nie etwas Illegales gemacht. Sie wollten einfach nur aus der Gegend weg, wurden dann aber aufgehalten. Jetzt muss sich María del Carmen um die Tochter eines ihrer toten Söhne kümmern.

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MARÍA HELENA

Drei von María Helenas Kindern und einer ihrer Neffen wurden ermordet. Ihr 39-jähriger Sohn Wilmer stieg gerade aus dem Bus, als ihn eine Kugel im Gesicht traf. Er geriet nämlich ungewollt in eine Schießerei zwischen zwei verfeindeten Banden. Ihr 20 Jahre alter Sohn Yender erlitt das gleiche Schicksal: Er bekam drei Kugeln ab und starb drei Tage später im Krankenhaus.

María Helenas Tochter Eliana war 12, als man ihr in den Kopf schoss. Sie starb auf der Eingangstreppe zu ihrem Haus. María Helenas Neffe Erasmus verlor sein Leben durch einen Querschläger und wurde nur 20 Jahre alt.

OLGA

Julián Julián – Spitzname JJ – kam ums Leben, als sein Auto gestohlen wurde. Laut seiner Mutter Olga war er "einer der Guten". Der vielbeschäftigte Tierarzt aus Barquisimeto starb mit 29.

Eines Tages ging er mittags aus dem Haus, um sich ein Brathähnchen zu kaufen. Auf dem Weg zurück zu seinem Auto sah er, wie sich ihm ein bewaffneter Mann näherte. Dieser Mann wollte JJs Fahrzeug, aber der machte dann wohl eine Geste, die dem Verbrecher nicht gefiel. Deshalb schoss er fünf Mal auf den Tierarzt und floh anschließend vom Tatort – ohne das Auto.

YNGRIS

Yngris' Sohn William wurde bei einem Straßenfest ermordet. Sie ist sich sicher, dass der Mörder der Freund eines berühmten venezolanischen Models ist.

William versuchte, den Streit zwischen dem Mörder und einem seiner Freunde zu schlichten. Deswegen musste er sterben. Der vermeintliche Mörder floh ins Ausland und wurde nie geschnappt.

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JENETH

Jeneths Sohn Bassil wurde 2014 zu einem Symbol des venezolanischen Protests gegen die Untätigkeit der Regierung in Bezug auf die Gewalt und die Hyperinflation. Am 12. Februar wurde er bei einer der Demonstrationen im Zentrum von Caracas von einer Polizeikugel getroffen.

Jeneths hatte keine Ahnung, dass ihr Sohn gestorben war, und erfuhr erst Stunden später von seinem Ableben. Der Fall schaffte es letztendlich sogar in die internationale Presse.

CARMEN

Während der Proteste gegen die Regierung und gegen die Gewalt in San Christóbal wurde Carmens Sohn Jimmi Vargas im Februar 2014 von einem Gummigeschoss und Tränengas getroffen. Durch den Aufprall fiel er vom Dach des Gebäudes, auf dem er stand. Seine Kopfverletzungen waren letztendlich tödlich, aber während Jimmi regungslos – allerdings immer noch am Leben – auf dem Boden lag, feuerte die Nationalgarde Berichten zufolge weiter Gummigeschosse auf ihn.

Die letzte Nachricht, die Carmen von ihrem Sohn vorher erhalten hatte, lautete folgendermaßen: "Machst du mir was zu Essen? Ich bin gleich zu Hause."

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