„​Beim Pöbeln passen sich Frauen immer mehr an Männer an"—Eine Schiedsrichterin im Interview
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Interview

„​Beim Pöbeln passen sich Frauen immer mehr an Männer an"—Eine Schiedsrichterin im Interview

Jacqueline Hermann pfeift sowohl Frauen- als auch Männerfußball. VICE Sports sprach mit ihr über theatralische Männer, einsichtige Frauen und das verschwiegene Sexismus-Problem.

Im Dezember 2015 sagte der Zweitliga-Profi Kerem Demirbay zu Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus: „Frauen haben im Männerfußball nichts zu suchen." Die Empörung über diesen Spruch war grenzenlos, als Strafe musste der Zweitligist des Fortuna Düsseldorf ein Mädchenfußballspiel pfeifen. Für solch chauvinistische Aussagen hat Jacqueline Hermann allerdings höchstens ein müdes Lächeln übrig. Die 24-Jährige beweist jedes Wochenende, dass Frauen beim Fußball genauso eine wichtige Rolle spielen wie Männer. Sie ist seit zehn Jahren Schiedsrichterin beim Hamburger TuS Osdorf und pfeift sowohl Männer- als auch Frauenspiele. Im Moment steht sie in der Landesliga bei den Männern sowie in der zweiten Frauenbundesliga auf dem Platz. Wenn die Hamburgerin nicht gerade als Bankkauffrau arbeitet, beobachtet sie Spiele, pfeift oder trainiert.

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VICE Sports wollte von ihr wissen, wie präsent das Sexismus-Problem im Fußball ist und warum Angst auf dem Platz überhaupt nichts zu suchen hat. Während unseres Gesprächs kam ihr Freund Stefan hinzu, der selbst Schiedsrichter ist und sich an einigen Stellen an dem Gespräch beteiligte.

VICE Sports: Der Unparteiische hat auf dem Platz den undankbarsten Job. Wie kommt man als 14-Jährige dazu, Schiri zu werden?
Jacqueline Hermann: Ich habe früher selber Fußball gespielt. Ab 14 Jahren kann man in Hamburg Schiedsrichter werden. Mein Bruder hat schon vor mir gepfiffen und mein Vater ist Schiedsrichterobmann bei uns im Verein. Also bin ich da mehr oder weniger hineingeboren und hatte schon immer eine große Faszination für den Job. Seit ich 12 Jahre alt bin, will ich als Schiedsrichterin auf den Platz.

Bist du nach zehn Jahren Schiedsrichtererfahrung vor einem Frauen- oder einem Männerspiel angespannter?
Freudig aufgeregt bin ich höchstens, wenn ich mal eine richtig gute Partie in der Frauenbundesliga oder ein cooles Derby pfeife. Natürlich ist immer eine gesunde Anspannung vorhanden, die braucht man, um konzentriert in ein Spiel zu gehen. Zwischen Frauen- und Männerspielen gibt es da für mich aber keinen Unterschied.

Kommt dir nie der Gedanke: „Ich stehe gleich zwischen 22 Männern, die gewinnen wollen, auf dem Platz. Hoffentlich geht das gut"?
Nein, überhaupt nicht. Dann könnte ich doch keine Schiedsrichterin sein. Wenn du so denkst, wirst du automatisch nicht ernst genommen. Ich hatte von Beginn an den Kontakt zum Männerfußball, da entwickelt sich irgendwann eine Selbstverständlichkeit.

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Was ist der gravierendste Unterschied zwischen Männer- und Frauenfußball?
Männer haben einen viel kräftigeren Körperbau als Frauen. Dadurch sind die Spiele wesentlich schneller und intensiver. Frauen dagegen nutzen mehr Technik und Tricks, sie spielen durchdachter und überlegter. Beim Pöbeln passen sich Frauen immer mehr an Männer an. Da gibt es kaum noch Unterschiede.

Woran liegt das?
(Jacqueline überlegt lange, ihr Freund Stefan steigt ein.) Stefan: Ich glaube, es liegt daran, dass die Mädels im Jugendbereich früher mit Jungs zusammen spielten. Die Jungs waren natürlich aufmüpfiger und butterten die Mädels ein bisschen unter. Dadurch waren Mädchen selten Wortführer und generell ein wenig zurückhaltender. Seit ein paar Jahren ist es so, dass die Jugend von Beginn an getrennt wird. Das gibt den Mädels viel mehr Raum und Mut, sich zu entfalten.

Jacqueline: Genau, vor allem von den guten Spielerinnen bekomme ich öfter mal einen Spruch aufgedrückt oder eine genervte Geste ab. Aber das ist OK, denn das gehört zum Fußball dazu. Bei den Frauen wie auch bei den Männern.

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Wer ist während des Spiels härter im Nehmen?
Die Männer. Ich würde sagen, Frauen haben eher das Schutzbedürfnis. Sie liegen öfter mit Schmerzen auf dem Boden oder lassen die Sanitäter kommen, um zu checken, ob alles OK ist. Männer stehen schneller wieder auf und probieren es weiter. Allerdings ist das auch völlig abhängig von den Mannschaften und den verschiedenen Gemütern. Es gibt auch Spielerinnen, die wirklich hart im Nehmen sind.

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Und wer ist theatralischer und macht mehr Show auf dem Platz?
Jacqueline: (lacht) Eindeutig die Männer. Da ist es manchmal echt schwierig, die Spieler zu durchschauen. Sie leiden und rasten aus an Stellen, wo ich einfach nichts gesehen habe. Das kann einen dann schon mal aus dem Konzept bringen.

Stefan: Ja, da muss ich ihr Recht geben. Bei Frauen ist ein Foul ein Foul. Da gibt es keine zwei Meinungen. Bei Männern ändert sich die Foul-Wahrnehmung je nach Spielstand und Minute des Fouls. Da laufen schon ein paar Schauspieler über den Platz. Frauenfußball ist ehrlicher als Männerfußball.

Reagieren Frauen bei Fehlentscheidungen anders als Männer?
Frauen akzeptieren die Entscheidungen besser als Männer. Selbst wenn sie kurz lauter werden, merken sie schnell, dass es sinnlos ist, und geben Ruhe. Das sieht bei Männern dann schon mal hitziger aus.

Wo findet man das bessere Mannschaftsgefühl?
Ich denke, das ist mannschaftsabhängig. Es gibt wirklich tolle Frauen- und Männermannschaften. Die Männer sitzen allerdings nach einem Spiel häufiger in der Kabine bei einem Bierchen zusammen und grölen rum. (lacht)

Warst du schon mal in einer Spielsituation, die dir richtig Angst gemacht hat?
Ich hatte mal einen Spielabbruch. Die Mannschaft von meinem Freund spielte gegen eine andere Mannschaft und der Schiedsrichter tauchte nicht auf. Die Partie sollte abgesagt werden. Dann wurde ich gefragt, ob ich pfeifen könne. Nachdem beide Mannschaften einverstanden waren, dass ich als Freundin pfeife, habe ich das auch getan. Kurze Zeit später kamen Beschimpfungen, Drohungen und somit natürlich irgendwann auch eine rote Karte für das gegnerische Team. Es war eine extrem aggressive Stimmung und mir wurde vorgeworfen, ich sei parteiisch. Das Spiel wurde dann abgebrochen.

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Warst du parteiisch?
Nein, überhaupt nicht. Auf dem Platz bin ich nicht die Freundin von jemandem, sondern Schiedsrichterin. Auch im Nachhinein hätte ich keine Entscheidung anders getroffen. Höchstens das Ganze komplett gelassen. Mittlerweile kennt man mich allerdings in Hamburg, da ich die einzige Schiedsrichterin bin, die in den zwei höchsten Spielklassen der Männer pfeift. Ich glaube nicht, dass mir sowas noch mal passiert.

Gab es schon mal Probleme mit Belästigungen oder Gewalt bei einem Spiel?
Nein, bei mir noch nicht. Allerdings hat die Gewalt im Hamburger Fußball, gerade in dieser Saison, extrem zugenommen. Ich habe Kollegen, die bespuckt oder getreten worden sind und einige Spiele abbrechen mussten. Ich wurde davon bis jetzt zum Glück verschont.

Ist bei dir die Hemmschwelle höher, weil du eine Frau bist?
Nein. Ich denke, es hängt damit zusammen, wie man sich auf dem Platz gibt und natürlich auch, welche Entscheidungen man trifft. Das hat mit dem Geschlecht nichts zu tun. Man muss bestimmt, offen und kommunikativ sein und die Spielertypen erkennen. Außerdem muss man immer zu seinen Entscheidungen stehen. Auch wenn man merkt, dass es eine Fehlentscheidung war. Das Gefühl dafür kann man aber nicht lernen, das kommt mit der Übung.

(Foto: Privat)

Gib es ein Sexismus-Problem beim Fußball?
Ja, ich glaube, es ist da. Aber nicht wirklich präsent. Um das Problem zu beseitigen, müsste man offener darüber sprechen.

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Bist du davon betroffen?
Überhaupt nicht. Ich fühle mich pudelwohl in der Fußballwelt und hatte noch nie ein Problem. Seit meinem 13. Lebensjahr bin ich mit Männermannschaften und Schiedsrichtern unterwegs. Wenn es gar nicht anders geht, muss man sich sogar manchmal eine Dusche teilen. Ich wurde noch nie belästigt oder weniger ernst genommen. Doch trotzdem sollte man, vor allem in den unteren Klassen, ein wachsames Auge haben. Nicht nur bei den Mannschaften, auch bei den Schiedsrichtern.

Wie schätzt du den Stand vom Frauenfußball ein?
In den letzten Jahren hat die Physis und Professionalität in den oberen Klassen erheblich zugenommen. Aber ich habe ein wenig Angst davor, dass es eine große Schere zwischen den oberen und unteren Spielklassen geben wird. Es wäre schade, wenn eine Mannschaft nach einem Aufstieg sofort wieder absteigt. Ein Problem ist außerdem, dass sich viele Mannschaften bei den Frauen mit der Zeit auflösen.

Warum lösen sie sich auf?
Ab einem gewissen Alter wird bei den Mädels oft der Freund, die Schule oder das Studium wichtiger als der Fußball. So ist das auch in der Schiedsrichterei. Mädels bleiben selten so lange dabei wie Jungs. In Hamburg gibt es 150 Schiedsrichterinnen, davon sind höchstens 50 aktiv. Das ist echt zu wenig.

Könntest du dir vorstellen, die Schiedsrichterei zu deinem Beruf zu machen?
Nein, ehrlich gesagt nicht. Die Konkurrenz ist zu groß. Und selbst wenn ich mich in den höheren Klassen etablieren würde, wäre ich vermutlich nicht glücklich. Wenn man damit als Frau wirklich Geld verdient, steht man in den Schlagzeilen und alle Augen gucken auf einen. Trotzdem würde ich die Schiedsrichterei niemals missen wollen. Es bleibt meine Leidenschaft und mein größtes Hobby.

Das Interview führte Katharina Reckers, folgt ihr bei Twitter: @kathinkabang