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der denker

Sebastian Vollmer ist mehr als nur ein verdammt guter Bodyguard

Sebastian Vollmer schaffte es als erster Deutscher, den Super Bowl zu gewinnen. Bis zu diesem Triumph war es allerdings ein langer und nicht immer leichter Weg.
Foto: USA TODAY

Am 29. Juni 2003 setzte sich das Junioren-Football-Team der Düsseldorf Panther in einen Bus und reiste mehrere hundert Kilometer südwärts in die baden-württembergische Kleinstadt Schwäbisch Hall. Dort trafen sie auf die Darmstadt Diamonds und bestritten das für sie damals wohl wichtigste Football-Spiel ihres Lebens, nämlich das Finale der deutschen Jugendmeisterschaft—der Junior Bowl XXII. Die Spieler beider Mannschaften waren alle noch keine 19 Jahre alt und sind in Deutschlands blühender Nischenkultur des American Football aufgewachsen. Eigentlich wurde ein enges Spiel erwartet, denn eine frühere Begegnung ging 19:14 für die Panther aus, aber letztendlich wurden die Zuschauer dann Zeuge einer sportlichen Demontage.

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Die Panther vernichteten die Diamonds 40:0 und diesen Sieg verdankten sie zum Großteil der Kraft und den Fähigkeiten von Sebastian Vollmer, einem festen Bestandteil der O- und D-Line. Sie wandten einfach die gleiche Taktik an, mit der sie schon die ganze Saison über nicht zu schlagen waren: In der Offense machte sich Vollmer bereit, riss dann ein Loch in die gegnerische Defense und der Ballträger folgte ihm einfach. Mit Vollmer vor sich erzielte Runningback (und späterer MVP) Abu Ambukilayo im Endspiel drei Touchdowns.

Foto bereitgestellt von Jäckel/Gebek

Als Panther konnte Vollmer zwei Junior Bowl-Ringe gewinnen. Anfang Februar kam jetzt noch ein dritter, viel größerer Ring dazu. Der ruhige, 2,03 Meter große und 143 Kilo schwere Deutsche besetzt beim US-Football-Team der New England Patriots die Position des Offensive Tackles. Von der Presse und seinen geschätzten 80 Millionen Fans wird der 30-jährige inzwischen als Bodyguard von Quarterback Tom Brady bezeichnet. Durch den Super Bowl-Sieg der Patriots ist Vollmer der erste Deutsche, der diesen Titel gewinnen konnte.

„„Ich glaube, dass er im Winter 2000 bei uns anfing", erinnert sich Panther-Nachwuchstrainer Steffen Breuer. „Damals war Vollmer 16 Jahre alt und hatte bereits als Schwimmer große Erfolge gefeiert. „Ein junger Mann von seiner Statur, also zwei Meter groß und mit breiten Schultern, war wie ein Geschenk für uns. Er war schon damals einer der schnellsten Spieler des Teams."

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Auch wenn sich schnell zeigte, dass Vollmer ein ganz besonderer Sportler war, hätte sich niemals jemand träumen lassen, dass er eines Tages professionell Football spielen oder sogar im Endspiel um den Super Bowl stehen würde. Zwischen den deutschen Jugendligen und der NFL liegen nämlich Welten und die ganze Spielkultur sieht in Deutschland komplett anders aus als in den USA.

Zuallererst einmal gehören Nachwuchsspieler in Deutschland keiner Schule oder Universität an. Hier gibt es nur Vereine, die wie beim Fußball unabhängige Organisationen sind. Auf Erwachsenenebene spielen die Vereine dann in den zwei verschiedenen Gruppen der German Football League (GFL). Nachwuchsarbeit wird jedoch in jedem Club betrieben. Im jüngsten Team der Düsseldorf Panther sind die Jungs zum Beispiel noch nicht mal 11 Jahre alt. Die Panther sind übrigens der älteste durchgehend aktive Football-Verein Europas. Insgesamt zählt der Club ungefähr 450 aktive Spieler, darunter auch Frauen.

Wenn man als deutscher Football-Spieler das 19. Lebensjahr erreicht—so wie es Vollmer 2003 getan hat—, dann bleibt einem normalerweise nur eine Option: der Übergang in eine der beiden GFL-Gruppen. Aber selbst in der höchsten deutschen Liga ähnelt das Ganze eher einer Leidenschaft als professionellem Sportbetrieb. So müssen die Spieler zum Beispiel die eigene Ausrüstung und die Reisekosten selbst bezahlen und im besten Fall kommen ein paar Tausend Zuschauer zu den Spielen.

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Als Vollmer sein Team zum Sieg des Junior Bowls XXII führte, war jedem klar, dass er zu Höherem als die GFL bestimmt ist. Fast hätte er seine Chance jedoch nicht genutzt.

„„Es hat ihm auf jeden Fall viel Spaß gemacht, im Nachwuchsteam zu spielen", erzählt Breuer. „„Aber nach seiner letzten Saison war er einfach so viel besser als der Rest der eigenen Mannschaft und auch als die Spieler der anderen Vereine. Deswegen hatte Sebastian manchmal Motivationsprobleme."

Foto: Greg M. Cooper—USA TODAY Sports

Vollmer war ein überaus intelligenter junger Mann und er sah für sich im professionellen Football keine realistische Chance. Manchmal setzte er sich auf Diät und verlor Gewicht, weil er sich in seinem Körper nicht wohl fühlte. Auch war er manchmal nicht mit seiner Position in der O-Line zufrieden. Breuer weiß noch, wie er damals mit Vollmer einige tiefgründige Gespräche über dessen Gewicht, Football und das Erwachsenwerden führte.

„„Ich musste ihn immer davon überzeugen, dass er zwar schon Tight End spielen könnte—vielleicht sogar besser der eigentliche Tight End—, er jedoch auch mit Abstand der beste Tackle auf dem Platz war", lacht Breuer. „„Rückblickend war das wohl die richtige Entscheidung."

Als ihm verschiedene Stipendien in den USA angeboten wurden, war Vollmer nicht wohl dabei, seine Freunde und seine Familie zurückzulassen. Selbst nach seiner ersten Saison an der University of Houston, wo er anfangs sogar wirklich die Position des Tight End übernahm, hatte er noch Zweifel. Er kam im Winter nach Deutschland zurück und führte eine lange Unterhaltung mit Breuer. Der Übergang zur Universität ist schon für amerikanische Schüler nicht einfach, aber für Studenten aus dem Ausland geht es nicht nur darum, zum ersten Mal auf sich alleine gestellt zu sein, sondern darum, in einer komplett anderen Welt zu überleben.

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Das Studentensportler-System der USA war für Vollmer total fremd. Breuer vermutet, dass er zusätzlich noch einige Probleme damit hatte, sich an die autoritärere Welt des US-American Football anzupassen. Dort stellen die Spieler keine Fragen und gehorchen einfach.

„„Sebastian war schon immer ein Denker. Er ist nicht nur ein intelligenter Spieler, sondern auch ein intelligenter Mensch", sagt Breuer. „„Er wollte überzeugt werden. Er ist nicht der Typ Mensch, der auf den Befehl ‚‚Spring!' mit ‚‚Wie hoch?' antwortet. Er hinterfragt alles. Hier in Deutschland gehen wir mit dem Vorsatz ran, den Nachwuchsspielern die Dinge richtig zu erklären. Ich weiß nicht, ob ihm bei seinem Start in Amerika das Gleiche widerfuhr."

Vollmer entschied sich dazu, nach Houston zurückzukehren. Sowohl sein Englisch als auch seine spielerischen Fähigkeiten verbesserten sich. Nach einem Privattraining mit den New England Patriots wurde er von ihnen in der zweiten Runde des 2009er NFL-Drafts ausgewählt. Viele Fans konnten diese Entscheidung am Anfang nicht verstehen und es machte sich Unmut über das Patriots-Management breit. Vollmer war ein völlig unbekannter Spieler und trotzdem wurde er in der zweiten Runde ausgewählt. In den darauffolgenden fünf Spielzeiten war sein Platz in der Startaufstellung—abgesehen von Verletzungspausen—dann allerdings nie gefährdet. Vollmer ist für das Football-Team aus Boston unverzichtbar geworden, denn er hält Quarterback Tom Brady die gegnerischen Verteidiger vom Hals und reisst für Runningback LeGarrette Blount auch schon mal ein Loch in die D-Line.

Beim Gespräch mit Breuer wird schnell klar, wie stolz er auf seinen ehemaligen Schützling ist. Dabei geht es ihm vielleicht gar nicht so viel um die Tatsache, dass Vollmer ein erfolgreicher Football-Spieler geworden ist, sondern eher darum, dass er es geschafft hat, die schwierige, einsame und kulturell verwirrende Anfangsphase in den USA zu überstehen:

„„Wenn man ihm beim Spielen zuschaut und ihn reden hört, dann sieht man da einen amerikanischen Spieler. Er ist kein Deutscher mehr, der in den USA Football spielt—er ist wirklich ein amerikanischer Spieler geworden. Das ist der Lohn für seine Anstrengungen und Mühen und darauf kann er wirklich stolz sein. Einen so einschneidenden Schritt zu machen und die Entscheidung zu treffen, sich in dieser anderen Welt körperlich und mental zu verändern und anzupassen?"

Breuer hält kurz inne.

„„Ja, dafür verdient er Respekt."