FYI.

This story is over 5 years old.

Berlin

In Berlin skaten Flüchtlingskinder in der Tiefgarage

​In Berlin lernen Flüchtlingskinder mit der Hilfe von Freiwilligen Skateboard fahren. Die Initiative „Integrate and Skate" vermittelt ihnen aber noch viel mehr. Ein Ortsbesuch.
Sarina und Nagham (Alle Fotos: Luiza Skrzypczynska)

Es ist laut in der Tiefgarage des ehemaligen Hotel President in Berlin-Schöneberg, sehr laut. Überall klackert und knallt es, 12 aufgeregte Kinder düsen vorbei und lachen, jagen einander und sehen dabei ziemlich glücklich aus. Jeder Winkel wird ausgekundschaftet, und zum Teil sieht das schon richtig sicher aus, wie sich die Kids auf Ihren Skateboards bewegen.

Yasamin, 11 Jahre alt und vor vier Monaten mit ihrer Familie aus Afghanistan nach Deutschland gekommen, fährt mit ihrem Brett auf eine Rampe, rutscht plötzlich aus und legt sich ordentlich hin. Ein kurzes Lachen, die Zähne zusammenbeißen, und keine fünf Sekunden später steht sie schon wieder auf ihrem Board und pest ihren Freundinnen Sabrieh und Sahnaz hinterher.

Anzeige

„Hinfallen und wieder aufstehen, das ist doch eine der wichtigsten Lektionen fürs Leben", findet Matthias, der seit Ende November 2015 zwei Mal die Woche mit den Kids trainiert—obwohl ein Skater wohl niemals „trainiert" sagen würde. Gemeinsam mit ein paar anderen skateboard-begeisterten Jungs und Mädels steht Matthias stellvertretend für die Initiative „Integrate and Skate", die der 1. Berliner Skateboardverein e.V. vergangenes Jahr ins Leben gerufen hat. 50 Kids nehmen mittlerweile regelmäßig teil, maximal zwölf pro Kurs, insgesamt vier Stunden die Woche, aktuell Mittwochs und Sonntags.

„Sport trägt zur Verständigung bei, hilft bei der notwendigen Integration und macht Spaß", so heißt es auf der Webseite des 1. Berliner Skateboardverein e.V.—und dass das nicht nur leere Worthülsen sind, merkt man sofort, egal, mit wem man hier spricht. Emily zum Beispiel, Schülerin in der 9. Klasse und von Anfang an dabei, sagt: „Integration funktioniert meiner Meinung nach nur, wenn man wirklich alle einbindet. Die Kleinsten erreicht man dabei oft am besten." Das Arbeiten mit den Kids aus Syrien, Afghanistan und dem Irak macht ihr so viel Spaß, dass sie gleich selber skaten gelernt hat—die Kinder haben es ihr beigebracht.

Unterstützung bekommt „Integrate and Skate" momentan noch wenig—der Landessportbund Berlin bezuschusst das Projekt, die Hamburger Skateboardfirma MDCN hat mit einer großzügigen Sachspende dazu beigetragen, dass genügend Bretter und auch Schutzausrüstung für die Kinder da ist. Manchmal bringen Skater oder Skateshops was vorbei, und im Skateshop Barrio in der Simon-Dach-Straße kann jeder, der möchte, Utensilien egal welcher Art spenden. Jeder Helfer bekommt einen Zehner pro Session, aber jeder hier würde es wohl auch umsonst machen.

Anzeige

„Das ist für mich die schönste Zeit der Woche", sagt Helfer Laurent. Er hofft, dass die Kids dank des Skatens auch ihre Individualität und Persönlichkeit weiterentwickeln. „Kinder brauchen Spaß, um sich normal zu entwickeln. Hier können sie ihre Sorgen und Probleme vergessen", grinst er. „Und ich auch."

Sarina, Gazim, Nagham, Swida und all die anderen posieren derweil für die Kamera, rangeln um den besten Platz auf den Fotos, präsentieren stolz ihre Boards und stürzen sich auf die Rampen. Sobald sie aber vom Brett absteigen, sind viele sehr schüchtern, zumal die meisten auch noch kaum Deutsch sprechen. „Ich mag Berlin sehr gerne", sagt Sahnaz in gebrochenen, vorsichtigen Sätzen, und dann strahlt sie. „Und die Schule. Hier schlagen sie uns nicht, wenn wir etwas falsch machen."

Amir

Was diese Kinder erlebt haben, kann man nur ahnen, doch die Freude am Skaten merkt man jedem von ihnen an. „Ich habe sogar zwei eigene Skateboards", sagt Yasamin stolz. „Immer wenn ich skate, fühle ich mich sehr froh." Und schon rennt sie wieder auf eine Rampe, fährt mit ihrem Brett hin und her und jemand anders lachend über den Haufen. Helme sowie Ellenbogen- und Knieschützer bewahren die Kids vor Verletzungen, Matthias, Laurent und Emily helfen derweile scheinbar überall gleichzeitig und zeigen, wie es geht.

Emily und Matthias

„Im Skaten hat wirklich jeder seinen Platz", erklärt Matthias seine eigene Leidenschaft fürs Board sowie den Sinn, den er in „Integrate and Skate" sieht. „Der soziale Hintergrund, die Sprache, das Alter, der Glaube—hier ist das alles egal, weil alle gleich sind." Bereits eine halbe Stunde, bevor der Kurs heute begann, haben die Kinder Schlange gestanden, um einen der heißbegehrten 12 Plätze pro Session zu ergattern. Noch sind die Kurse nur für die jungen Bewohner des ehemaligen Hotel President, das heute eine Flüchtlingsunterkunft ist, aber laut Mathias wolle der 1. Berliner Skateboardverein die Initiative bald ausweiten. „Es ist toll, die Begeisterung bei den Kids zu sehen", sagt er. „Deshalb haben wir ja alle mit dem Skaten angefangen. Ich freue mich, dass die Kinder hier so viel Spaß haben, und natürlich auch über ihre schnellen Fortschritte."

Anzeige

Dann will er selber noch ein bisschen rollern, klar, dafür fährt er schließlich auch zweimal die Woche insgesamt zwei Stunden hin und zurück aus dem fernen Berlin-Weißensee. Er stellt sich mit seinem Brett in die Minirampe neben den kleinen Amir, nimmt ihn sanft bei den Armen, holt einmal Schwung, und schon rollen die Beiden lachend hin und her. „Integrate and skate"—bei diesem Anblick wünscht man sich sehr, dass das Konzept funktionieren wird.

Swida, Yasamin und Nazanin

Hauke

Sarina

Swida

Nazanin

Pena

Yasamin und Nagham