Feministische Bio-Hacker verschieben die Grenzen der DIY-Gynäkologie
Ein 3D-gedrucktes Spekulum von GaudiLabs. Photo: Klau/Creative Commons

FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Feministische Bio-Hacker verschieben die Grenzen der DIY-Gynäkologie

Das Hacker-Kollektiv der GynePunks entwickelt Open-Source-Tools, um die gynäkologische Unterversorgung der Gegenwart zu überwinden.

Der Zugang zu gynäkologischer Versorgung ist für alle Frauen auf der Welt eine entscheidende Voraussetzung für ihr körperliches Wohlergehen. Zahlreiche gesellschaftlich benachteiligte Gruppen wie Sexarbeiter, Immigranten, LGBTs oder Menschen ohne ausreichende Gesundheitsversicherung haben jedoch nicht einmal die Möglichkeit, eine zumindest grundlegende Versorgung in Anspruch zunehmen.

Das internationale Hacker-Kollektiv GynePunks bekämpft deshalb die Schwächen der internationalen Gesundheitssysteme mit Open-Source-Werkzeugen, DIY-Diagnoseverfahren und Methoden zur Selbstuntersuchung. Das idealistische Ziel der gynäkologischen Selbstversorger ist es, die Frauenheilkunde zu demokratisieren—sowohl die Bastler selbst, aber auch alle, die nicht in den Genuss regulärer westlicher Gesundheitsversorgung kommen, sollen von ihrem Ansatz profitieren.

Anzeige

Zu Besuch beim ersten Berliner Verein für DIY-Biologie

Und so arbeiten die Bio-Hacker unter anderem an recycelten Labor-Zentrifugen, Mikroskopen aus alten Webcams, 3D-gedruckten Scheidenspekula und selbst gebauten Inkubatoren für Bakterienkulturen. Mit etwas Mühe können sich geneigte DIY-Gynäkologen so ein vollständiges Heimlabor basteln—inklusive aller Werkzeuge, die für Routineeingriffe wie grundlegende Bakterienproben, Flüssigkeitsanalysen und Spektroskopien nötig sind.

Die GynePunks stellen außerdem Informationen zu DIY-Testverfahren für Gebärmutterhalskrebs, Scheidenpilzinfektionen, diverse Geschlechtskrankheiten und Schwangerschaften bereit. Neben den Werkzeugen und Gebrauchsanleitungen veröffentlichen sie auch lange Abhandlungen zur Geschichte der Reproduktionsmedizin, zu pflanzlichen Behandlungen von Harnwegsinfekten und Hintergrundinformationen zur Durchführung von Abtreibungen mit geringem Komplikationsrisiko.

Bisher ist die Bewegung nicht über Workshops und Experimente in Hackerspaces hinausgekommen, trotzdem lautet das ultimative Ziel der GynePunks, jeder Frau, die über einen Internetanschluss und Zugang zu den Ausgangsmaterialien der Werkzeuge verfügt, mehr Kontrolle über ihre gynäkologische Behandlung zu ermöglichen.

„Für mich birgt diese Hacker-Mentalität sowohl ein ganz neues Verständnis unserer Umwelt und Gesellschaft als auch die Möglichkeit, unsere eigenen Tools und Technologien zu entwickeln und zu pflegen", erklärt mir Paula Pin, eine der frühen Mitglieder von GynePunks. „Wir verstehen unseren Körper als etwas, das gehackt werden kann. Wir können die etablierten Konzepte von Sex und Gender hacken und erkunden, wie gut wir selbst als Forscher sein können. Wir können eigene Ideen und Techniken entwickeln, die uns befreien und unabhängig von aktuellen Systemen machen."

Anzeige

„Ich komme aus einem Land, wo Abtreibungen noch immer illegal sind. Vor 14 Jahren musste ich selbst eine riskante Abtreibung über mich ergehen lassen."

Die ersten Treffen der GynePunks fanden in der katalanischen Kommune Calafou statt. Diese „postkapitalistische ökologisch-industrielle Kolonie" befindet sich in den Überresten einer leerstehenden Textilfabrik in der Nähe von Barcelona und hat seit 2013 auch einen eigenen Hackerspace. In diesem Hackerspace namens Pechblenda halten die GynePunks Workshops mit einem vielfältigen Programm ab: Sie experimentieren zum Beispiel mit pflanzlicher Vaginalmedizin, entwickeln DIY-Gleitmittel, basteln an besseren, individualisierten Sex-Toys und versuchen den weiblichen Körper zu dekolonialisieren.

Ihre Projekte wurden schnell innerhalb des globalen Bio-Hacking-Verbunds Hackteria bekannt. Das offene Schweizer Laborprojekt Gaudilabs griff die Initiativen genauso auf wie andere Citizen-Scientists, Künstler, Hacker und Forscher. „Das einzige Kriterium, um ein GynePunk zu sein, ist es, dass du deinen Körper zurückerobern willst", erklärte mir das GynePunk-Mitglied Klau Kinky. Die Bewegung sehe sich bewusst als offener Verbund. „GynePunk ist kein festes Kollektiv, sondern ein Aufstand der Körper", erklärte sie mir weiter. „Für diesen Aufstand brauchen wir jegliche Hilfe, Unterstützung und Werkzeuge, die wir finden können."

Klau hatte sich vor der Gründung von GynePunks schon länger im Rahmen eines Forschungsprojekts mit der häufig erschütternden und gewalttätigen Geschichte der Gynäkologie beschäftigt. „Was ich da gelesen habe, machte mich extrem wütend", sagte sie.

Anzeige

Hacksession im GaudiLabs, Luzern. Foto: Urs Gaudenz/Creative Commons

Insbesondere die Geschichte der drei amerikanischen Sklavinnen Anarcha, Lucy und Betsey schockierte Klau. Was mit den Dreien in den 1840ern im US-Bundesstaat Alabama passierte, stellt eine grausame Grundlage für einen Großteil der modernen Gynäkologie dar: Sie wurden zum lebenden Versuchsobjekt für J. Marion Sims, den Erfinder des Spekulums und gefeierten „Vater der Gynäkologie."

Anarcha musste sich über 30 mal den experimentellen Operationen von Sims unterziehen, ohne dabei Betäubungsmittel zu erhalten. Die Erfahrungen der Eingriffe und anderer Experimente nutzte Sims dann für seine Behandlungen reicher weißer Patientinnen (mit Betäubungsmitteln). Die Leidensgeschichten von Anarcha, Lucy und Betsey sind bis heute kaum bekannt, während für die Ärzte, deren medizinische Erfolge auf den Schmerzen der drei Frauen aufbauten, sogar Statuen errichtet wurden.

Die GynePunks erinnern an diese Grundlagen der Reproduktionsmedizin und wollen diesen gleichzeitig einen gänzlich demokratischen Ansatz entgegenhalten. So haben sie beispielsweise die im englischen als Skene's Gland bezeichnete Paraurhetaldrüse in Anarcha's Gland umbenannt. Wieso sollte auch eine Drüse, die für den weiblichen Orgasmus mitverantwortlich ist, nach einem Gynäkologen mit zweifelhaftem Ruf aus dem 19. Jahrhundert benannt sein?

Neben den konzeptionellen Aspekten liegt ein wichtiger Antrieb der GynePunks aber auch in ihren persönlichen Erfahrungen. Allzu oft müssen Frauen erleben, dass die Frauenarztpraxis sich nicht unbedingt wie ein Ort der angenehmen Gesundung anfühlt.

Anzeige

„Zumindest für mich fühlt sich der Besuch beim Gynäkologen wie eine Art Fegefeuer an", erzählte mir Klau. „Ich komme aus einem Land, in dem Abtreibungen noch immer illegal sind. Vor 14 Jahren musste ich selbst solch einen riskanten Eingriff über mich ergehen lassen. Und als Einwanderin wurde ich in spanischen Praxen auch schon beschimpft und schlecht behandelt. Ich engagiere mich hier also auch, weil es etwas ist, was mein Körper braucht—es ist ein politischer Kampf, sich die Technologien und meinen Körper aus all diesen Gewaltanwendungen zurückzuerobern."

Aber lohnt es sich wirklich auf Open-Source-Verfahren zu setzen, um die eigene Gesundheit in die Hand zu nehmen? Ist es überhaupt sicher? Bisher widmen sich die Methoden der GynePunks hauptsächlich Diagnoseverfahren—und außerdem weisen die Mitglieder des Kollektivs schnell darauf hin, dass sie bei weitem keine vollständige Lösung oder gar Allheimittel bieten.

Die Entwicklungen der GynePunks werden durch einige offensichtliche Beschränkungen, wie Zugang zum Ausgangsmaterial, Labore zum Zusammenbauen und die notwendige Arbeitszeit limitiert. Sobald jedoch die Infrastruktur und die Motivation vorhanden sind, haben die Bio-Hacker gute Chancen, einige praktische Alternativen zur Selbstbehandlung zur Verfügung zu stellen. Klau nennt als Beispiel das Pilotprogramm mit einem Testverfahren für Gebärmutterhalskrebs, was zu einem 31-prozentigen Rückgang der Krebsrate unter den Bewohnerinnen eines Slums in Mumbai geführt hatte.

Anzeige

Ein gehackter Festplattenmotor mit 3D-gedruckter Probenhalterung. Foto: Paula Pin/Creative Commons

„In Zukunft würde ich mich gerne nicht mehr nur auf die Diagnosen konzentrieren, sondern mich auch mit den Heilungsprozessen und der Prävention beschäftigen", erklärte Klau. Einen Festplattenmotor zu hacken, mag anspruchsvoller sein als ein Test für Gebärmutterhalskrebs—aber letzterer zeigt, dass auch einfache Werkzeuge ein echter gynäkologischer Fortschritt für eine Community sein können.

Während sich das Internet bis in die letzten Winkel der Welt ausbreitet, erleben auch MakerSpaces und FabLabs einen Boom und sind dabei, so allgegenwärtig wie öffentliche Bibliotheken zu werden. Wenn der Zugang zu offenen Technologien weiter wächst und sich immer mehr offene Räume zum Experimentieren auftun, dann könnten Bio-Hacking-Ansätze zu einer sinnvollen Alternative werden.

„Die meisten unserer Werkzeuge können mit recycleter Hardware, grundlegenden elektronischen Komponenten, Klebstoff und Pappe hergestellt werden", erklärte mir Marc Dusseiller, der sich als Bio-Hacker im Hackteria-Forum engagiert. Das Laborequipment und die Experimente, an denen Duseiller arbeitet, wurden so designt, dass sie auch für Einsteiger praktikabel sind: „Tatsächlich ist ein Großteil des Basisequipments sehr einfach zu hacken und nachzubauen—vielleicht nicht in begrenzter Stückzahl und Qualität, aber dennoch perfekt, um zur Entmystifizierung der Wissenschaft beizutragen." Auch wenn die Hackteria-Macher großen Wert auf die Zugänglichkeit ihrer Ansätze legen, braucht ihr euch keine Sorge zu machen, dass die gynäkologischen Tools, die in den sensiblen Körperregionen zum Einsatz kommen, aus Müll gemacht sind.

Bio-Hacker könnten eine Option sein, um die globale gynäkologische Unterversorgung zu verbessern. Wenn es nach den Mitgliedern von GynePunks geht, dann sollen kostenlose und dezentrale Einrichtungen mit ihrem medizinischem Wissen eine Ressource für diejenigen sein, die eine bessere Versorgung am dringendsten brauchen. Solche alternativen Möglichkeiten zu erkunden, könnte auch dabei helfen, die Lücken im etablierten medizinischen System besser aufzuzeigen. Allein die Tatsache, dass jedes Jahr Millionen von Frauen ihre eigenen Abtreibungen durchführen müssen, zeigt überdeutlich, dass wir ein inklusiveres Gesundheitssystem brauchen. Bis ein solches System allen zur Verfügung steht, kann der Zugang zu Open-Source-Tools und Informationen ein erster Schritt sein, um die Probleme der Gegenwart zu überbrücken.

Zum Abschluss unseres Gesprächs betonte Klau noch einmal, dass es für sie immer einen Antrieb für Bio-Hacking geben wird: „Ich glaube, unsere Arbeit wird niemals zu Ende sein. Der Körper ist grenzenlos."

Dieser Artikel ist unter einer Creative Commons BY-NC 2.5 Lizenz lizensiert.