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Was muss eigentlich schieflaufen, damit man an Alien-Entführungen glaubt?

Allein in den USA behaupten sechs Millionen Menschen schon einmal von Aliens entführt worden zu sein. Der Versuch einer psychologischen Erklärung.
Bild: Shutterstock

Gestern war es soweit: Nach fast 14 Jahren feierte die erste Folge der neuen Akte-X-Ministaffel Deutschlandpremiere. Viele Fans warteten freudig darauf, dass es die FBI-Agenten Mulder und Scully wieder mit Alien-Verschwörungen und Monstern aufnehmen. Was hat sich außer Mulders mäßiger neuer Synchronstimme (Stichwort: „Äliens") und Scullys Botox-Stirn also verändert? Am Evergreen-Thema Aliens schon mal nicht viel.

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Stilecht startete der Pilot mit einer Episode über—na logisch—Alien-Entführungen. Die junge Sveta trifft's darin gleich mehrfach: Hochbeamen, schwängern, Kinder rausschneiden. Viel mehr trägt sie dann zur ersten Folge des Reboots auch nicht bei. Immerhin: Mit ihren Erfahrungen ist sie damit nicht allein.

Dass Leute von Alien-Entführungen berichten, ist nämlich gar nicht so selten: Knapp 2,5 Prozent der erwachsenen US-Bevölkerung—etwa sechs Millionen Menschen—behaupten, schon einmal von Außerirdischen entführt worden zu sein, schreiben die Autoren einer Studie im Election Law Journal. Ihre „Erfahrungen" teilen diese Menschen unter anderem auf UFO-Kongressen oder in pseudowissenschaftlichen Journalen mit („wir publizieren alle überzeugend argumentierten Beiträge über UFO-Geheimdienste").

Was aber läuft in den Köpfen derer ab, die sich solche Alien-Entführungen ausdenken?

In manchen Fällen sind die angeblichen Entführten tatsächlich psychisch krank—und zwar schizophren. Das seien aber nur ganz wenige Fälle, sagt Sebastian Bartoschek, promovierter Psychologe, Journalist und Autor. „Die meisten Leute glauben: Wenn jemand sagt, von Aliens entführt worden zu sein, der ist ja bekloppt. So einfach ist das aber nicht", so Bartoschek.

Wer das Pech hat, auf dem OP-Tisch unter Vollnarkose aufzuwachen, könnte sich hinterher zu allem Übel auch noch einbilden, von Aliens entführt worden zu sein.

Eine mögliche Erklärung sind hypnagoge (Schlaf-)Halluzinationen, die kurz nach dem Aufwachen oder kurz vor dem Einschlafen auftreten. „Die klassische Alien-Entführung sieht fast immer so aus: Neben unserem Bett steht ein Wesen, von draußen kommt Licht. Wir möchten uns bewegen, können aber nicht," sagt Bartoschek. Psychologie studiert hat er übrigens gerade wegen seiner Faszination für Akte X, wie er mir verrät.

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Er erklärt weiter, wie die Erscheinungen zustande kommen: „Der Körper ist schon im Schlaf, die Muskeln entspannt. Deshalb sind wir bewegungsunfähig. Was wir normalerweise träumen würden, spiegelt der Kopf jetzt nach draußen. In diesem Fall sind das Aliens. Im Mittelalter hat man dieses Phänomen mit Albtraum-Dämonen wie dem Incubus und Succubus gedeutet."

Dass solche Schlaf-Halluzinationen falsche Erinnerungen an Alien-Entführungen erzeugen können, ist wissenschaftlich belegt. Das gilt sogar, wenn der Schlaf künstlich ist, etwa unter Narkose, wie eine 2014 erschienene Studie des Royal College of Anaesthetics zeigt. Wer das Pech hat, auf dem OP-Tisch unter Vollnarkose aufzuwachen, könnte sich hinterher also zu allem Übel auch noch einbilden, von Aliens entführt worden zu sein.

Bild: Shutterstock

So wie Barney und Betty Hill, die 1961 angeblich von einer fliegenden Untertasse entführt und operiert worden waren. Unter Hypnose beschrieb Barney Hill Details der Operation, und der Psychiatrie-Professor David V. Forrest vom Columbia University Medical Center erkannte in einer Studie, dass die beschriebenen Phänomene mit von aus der Narkose Aufgewachten übereinstimmten. Das wäre also eine Erklärung dafür, wieso Alien–Entführungsopfer immer wieder von medizinischen Experimenten berichten, die von vermummten und maskierten Wesen an ihnen begangen werden. Im Halbschlaf und Drogenrausch quasi.

Ironischerweise könne Hypnose wie jene von den Hills aber auch selbst ein Grund sein, wieso Entführungs-Fantasien entstehen, sagt Sebastian Bartoschek. Im Rahmen solcher Regressions-Hypnosen werden verdeckte Erinnerungen erzeugt, um unangenehme Erlebnisse, etwa in der Kindheit, zu überdecken.

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„Mit solchen verdeckten Erinnerungen hat gestern auch Akte X gespielt. Aber: Unter Hypnose kann es passieren, dass sich Personen Erinnerungen basteln, die nicht echt sind. Das Problem: Sie können diese künstlichen nicht mehr von echten Erinnerungen unterscheiden. In den 1990ern haben Patienten in den USA teilweise psychische Störungen davongetragen. In einem Fall hat ein Patient eine multiple Identitätsstörung entwickelt, mit 24 Persönlichkeiten."

Dass Alien-Entführungen tatsächlich solche falschen Erinnerungen sind, bestätigt auch eine Studie von 1996. Die Autoren Steven Clark und Elizabeth Loftus beschreiben darin, dass Albträume, Schlaf-Halluzinationen und Hypnose dafür verantwortlich sein können. Sie identifizieren daneben noch einen Faktor: Die Medien-Theorie. Je mehr über extraterrestrische Entführungen in den Medien gezeigt wird, desto häufiger tauchen Entführungsfälle auf.

„Je mehr Alien-Entführungen medial gespielt werden, umso mehr Menschen ‚erleben' das hinterher."

Diesen Einfluss hält auch Bartoschek für möglich: „Je mehr Alien-Entführungen medial gespielt werden, umso mehr Menschen ‚erleben' das hinterher." Mit UFOs sei es genauso: „Nach jedem UFO-Film steigt die Anzahl der UFO-Sichtungen rapide an. Das war vor allem nach Steven Spielbergs ‚Unheimliche Begegnung der Dritten Art' so."

Wieso aber haben alle Entführten immer wieder Erinnerungen an sexuelle Übergriffe, Alien-Vergewaltigungen, Schwangerschaften und gestohlene Babys, so wie Sveta in Akte X? Bartoschek sieht dahinter eine kollektive Angst: „Einerseits treibt uns klarerweise Sexualität an—und ich glaube, eine der schlimmsten Ängste einer werdenden Mutter ist der Verlust ihres Kindes."

Angst als Triebfeder solcher Fantasien, das bestätigt auch die Studie der Rhetorikprofessorin Stephanie Kelley-Romano vom US-amerikanischen Bates College. Sie hat herausgefunden, dass zusammen gesponnene Alien-Mythen durchaus Linderung bei Schuldgefühlen und Angst verschaffen, also sogar hilfreich für die eigene Psyche sind.

Die arme Sveta hat ihre Entführungs-Angst am Ende übrigens auch noch gut überwunden—wenn auch in einem unfreiwilligen, aber dafür garantiert nicht eingebildeten Flammeninferno.