Eine Waffe wie sie im Darknet gehandelt wurde.
Eine solche Glock wurde noch Ende Juni in dem Schwarzmarkt-Forum angeboten. Ob „Maurächer" sie gekauft hat, lässt sich nicht nachvollziehen. Screenshot: Motherboard

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Der Fall „Maurächer“ und die Darknet-Waffe des David S.

Über ein Jahr lang versuchte dieser Darknet-Neuling verzweifelt, eine Glock 17 zu erstehen—nun ist sein Account in den Fokus der Ermittlungen zum Amoklauf von München gerückt.

„Push", „Push", „Push". Fünf mal wiederholt der Nutzer „Maurächer" diesen knappen Post, der seinen Thread in einem großen deutschen Schwarzmarkt-Forum wieder ganz nach oben spülen soll. Sein Anliegen hat er bereits bei der Eröffnung des Threads klargemacht: „Hallo, ich suche nach einer Glock 17 oder Glock 21 GEN 3 oder 4 mit 2-3 Magazinen und +150-200 Schuss." Die „Push"-Posts wiederholt er hoffnungsvoll alle paar Monate—weil alle Threads des Forums nach Aktualität geordnet werden, taucht sein Gesuch dann jedes Mal kurzzeitig wieder ganz oben auf der Startseite auf.

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Wie Spiegel Online unter Berufung auf Ermittlerkreise berichtet, könnte hinter „Maurächer" tatsächlich David S. stecken. Der 18-Jährige tötete am Freitagabend bei einem Amoklauf am Münchener Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen, verletzte etliche Weitere schwer und richtete sich am Ende selbst. Seine Tatwaffe: Eine Glock-17.

Ein Blick in eines der größten deutschen Schwarzmarkt-Foren zeigt, wie intensiv sich der Nutzer „Maurächer" seit über einem Jahr nach genau jener Waffe umsah. Das LKA wollte sich mit Verweis auf laufende Ermittlungen nicht zu „Maurächer" und seinen digitalen Spuren äußern. Klar ist allerdings, dass die Ermittler momentan fest davon ausgehen, dass sich David S. seine Waffe online im Darknet beschafft hat. Darauf würden Spuren hindeuten, die die Ermittler auf beschlagnahmten Datenträgern und Speichermedien des 18-Jährigen gefunden hätten, wie LKA-Sprecher Ludwig Waldinger gegenüber Motherboard erklärte.

Die Parallelen zwischen „Maurächer" und David S. sind anscheinend nicht nur den Ermittlern, sondern auch den Nutzern des Schwarzmarkt-Forums aufgefallen. Nachdem Hinweise und Aussagen von „Maurächer" dort am Sonntag nach dem Amoklauf in München diskutiert worden waren, nahmen die Betreiber der Seite kurzerhand jene Sektion offline, in der Waffen-Deals offen diskutiert und mit Hilfe von Bitcoin und verschlüsselter Kommunikation abgewickelt werden.

„Ich selbst suche seit Monaten nach einer Glock. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Abwarten, vielleicht kommt ja irgendwann der langersehnte Verkäufer."

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Es ist ein Freitagabend im Mai 2015, als „Maurächer" sich in dem Schwarzmarkt-Forum erstmals zu Wort meldet. Nachdem er seinen Account am selben Tag mit Hilfe der notwendigen Verschlüsselungs-Apps registriert hat, kommt er gleich zur Sache: „Ich bin ein Neuling und hätte eine wichtige Frage: Ich suche eine Pistole (gebraucht), egal welche (M9 Beretta viele Auswahlmöglichkeiten bis hin zur Glock)." Der Preis für die gebrauchte Waffe solle zwischen 600 und 1.000 Euro liegen, wünscht sich der Nutzer damals außerdem.

Doch der User hinter dem Account „Maurächer" lernt schnell, dass es mit dem Online-Waffenkauf nicht so einfach ist—und dass die aufgerufenen Preise in dem Forum, in dem er sucht, meist deutlich höher liegen. Schon einen Monat später feilscht er mit Geboten von 1.650 Euro beim Verkauf einer Glock mit, wenige Wochen später streitet er mit anderen über einen mutmaßlichen Betrüger unter seinen Forumskollegen. Fast all diese Posts sind heute nicht mehr online einzusehen, liegen Motherboard allerdings in archivierter Form vor. Eine ausführliche Untersuchung der Beiträge zeichnet das Bild eines Users, der das Forum, in dem Nutzer auch über Weltpolitik und Alltägliches diskutieren, vor allem zu einem Zweck nutzte. (Spiegel Online bezeichnete die Posts ursprünglich etwas ungenau als Chat-Protokolle—tatsächlich handelt es sich um Foren-Posts.)

Spätestens im Oktober 2015 schießt sich „Maurächer" dann auf ein ganz spezielles Waffenmodell ein: Er sucht eine Glock 17, wie er in dem Post schreibt, den er im Folgenden mit „push" immer wieder an der Spitze der Gesuche im Forum platziert. Inzwischen hat er auch gelernt, dass er Betrügern mit Hilfe des foruminternen Treuhand-Verkaufsservice aus dem Weg gehen kann—und er scheint bereit, noch einmal deutlich mehr Geld hinzublättern: „Ich denke im Rahmen von 2.100-2.500 Euro."

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Angesichts der Summen, für die Waffen sonst in dem Forum verkauft werden, ein deutlich realistischerer Preis. Ein im Vergleich zur Glock qualitativ deutlich minderwertigerer Umbau einer Walther-Schreckschusswaffe wird im selben Zeitraum beispielsweise für 1.250 Euro in dem Forum verkauft. An anderen Stellen im Darknet wird eine Glock für 2.200 Euro angeboten.

Im Darknet sind tatsächlich zahlreiche Scammer unterwegs, wie Reinhold Beckmann auf die harte Tour erfahren musste

„Maurächer" wird jetzt zunehmend ungeduldig, nach über einem halben Jahr ist es ihm offensichtlich noch immer nicht gelungen, eine Waffe zu kaufen. Zusammen mit anderen Nutzern lässt er seiner Enttäuschung über die unzuverlässigen Waffenverkäufer in einem Thread freien Lauf: „Ich selbst suche auch nach einer Waffe, nämlich nach einer Glock und das schon seit Monaten. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Abwarten, vielleicht kommt ja irgendwann der langersehnte Verkäufer."

Tatsächlich gibt er nicht auf, bereitet sich weiterhin auf einen Waffen-Deal vor und stellt fest, dass ein Einkauf in dem Forum auch positiv ablaufen kann: Erfolgreich kauft er sich im November eine unter falschem Namen angemeldete Poststation, wie sie von Darknet-Bestellern häufig als eine Art toter Briefkasten für den Empfang heißer Ware genutzt wird. Sein Feedback gegenüber dem Verkäufer mit dem Usernamen „Monsterkiller": „Neue Forummitglieder werden bei Monsterkiller gut aufgehoben sein." Wenig später erhöht er die Summe, die er zahlen würde, noch einmal auf 2.300 bis 2.500 Euro und fügt hinzu: „Die Bitcoins sind vorhanden." Der Post stammt vom Dezember 2015, es ist die Zeit, zu der David. S. nach bisherigen Erkenntnissen den Kontakt zu seinen Counter-Strike Mitspielern abgebrochen haben soll.

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„Maurächer" beginnt jetzt zunehmend, auch in den öffentlichen Foren nur noch mit verschlüsselten Nachrichten zu antworten. Noch im April reagiert er auf ein Munitionsangebot mit solchen kryptographisch signierten Nachrichten, die nur noch für Sender und Empfänger lesbar sind. Die letzte „Push"-Nachricht, mit der er sein Waffengesuch wieder nach oben schiebt, stammt vom März.

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In dem Schwarzmarkt-Forum, auf dem "Maurächer" unterwegs war, wird regelmäßig auch Munition angeboten.

Im Juli 2016 hat „Maurächer" bereits rund 100 Nachrichten hinterlassen. Die letzte Glock, die in der Waffen-Sektion des Forums angeboten wurde, stammt vom 29.6. Es ist genau jene Glock 17 Generation 3, wie „Maurächer" sie so lange gesucht hat—ob er das Modell gekauft hat, lässt sich nicht einsehen. Genauso wie sich heute nicht mehr rekonstruieren lässt, ob „Maurächer" tatsächlich über das Forum eine Waffe kaufte. Die letzten öffentlichen Posts, die sich finden lassen, sind schon einige Wochen alt. Nach dem 22.7. war „Maurächer" scheinbar nicht mehr online, soweit dies für uns nachzuvollziehen war.

Ob der Nutzer „Maurächer" wirklich etwas mit David S. zu tun hat, werden erst die weiteren Ermittlungen des LKAs belegen können. Unabhängig von dieser Frage, die wohl erst die Münchener Staatsanwaltschaft in einigen Monaten wird beantworten können, lassen sich am Fall „Maurächer" aber mehrere typische Darknet-Phänomene beobachten: Eindrücklich zeigt der Fall, wie schwer es Waffenkäufer mit Betrüger-Angeboten im Darknet haben, und angesichts der immer weiter erhöhten Gebote zeigt der Fall auch klar, für wie viel Geld Waffen im Darknet gehandelt werden.

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Sollten die Ermittler tatsächlich feststellen, dass David S. hinter „Maurächer" steckt, so könnten die Darknet-Aktivitäten auch weitere Rückschlüsse auf die mutmaßliche rechtsextremistische Gesinnung des Täters liefern. Das Schwarzmarkt-Forum, das „Maurächer" auf der Suche nach einer Waffe frequentierte, widmet sich nämlich längst nicht nur illegalen Deals: Es bietet auch politische Diskussionsstränge, in denen immer wieder rassistische und rechtsverschwörerische Parolen und Hetztiraden zu lesen sind. In den Diskussionen, die zum Beispiel mit „Merkel möchte die Deutschen mit Migranten überzüchten!" überschrieben sind, finden sich—neben gelegentlicher Gegenrede—häufig rechtsextremistische Positionen, die Fremdenfeindlichkeit mit Verschwörungstheorien von einem angeblichen Niedergang Deutschlands verbinden.

Momentan sind für die Ermittler aber immer noch zahlreiche Fragen offen. Auch wo genau die Dekowaffe scharf gemacht wurde, weiß das LKA momentan noch nicht. Wie ein Sprecher gegenüber Motherboard erklärte, würden die Ermittlungen in der Sache andauern. Bisher sei nur klar, dass die Waffe ein Prüfzeichen aus der Slowakei aufweise. Ein waffenrechtliches Gutachten, das weitere Hintergründe zur Dekowaffe an den Tag bringen soll, werden die Ermittler wohl erst in einigen Wochen fertigstellen können, wie ein Sprecher gegenüber Motherboard erklärte.

Die Waffensektion des Schwarzmarkt-Forums ist unterdessen noch immer offline.

Max ist auf Twitter und dort fast immer online.

Update 30.7.: Wir haben einen Abschnitt über die weite Verbreitung von rechten und fremdenfeindlichen Äußerungen auf dem Schwarzmarkt-Forum ergänzt.