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Diese Forscher haben eine Impfung gegen Drogen-Überdosen entwickelt

Süchtige kochen Schmerzpflaster für Krebspatienten aus und spritzen sich die Substanz Fentanyl als Droge. Die Folge: Immer mehr Tote durch Überdosen. Eine neu entwickelte Impfung könnte jedoch alles ändern.
Kim Janda, einer der Suchtforscher am Scripps Institute, der die Impfung gegen Designer-Opientwickelt hat | Bild: imago

Heroin ist auch nicht mehr das, was es mal war. Dealer strecken den Stoff für den Straßenverkauf immer häufiger mit dem Schmerzmittel Fentanyl, einem synthetischen Opioid, welches seit einigen Jahren länderübergreifend als Droge missbraucht wird und sehr gefährlich ist.

Das Problem daran ist nicht nur, dass Fentanyl sehr schnell abhängig macht und ungefähr 50 mal stärker als Heroin wirkt; sondern auch, dass sich unmöglich abschätzen lässt, wie viel Fentanyl ausgekocht wurde. In einem Fentanyl-Schmerzpflaster können zwischen 1 und 34 mg des Stoffes enthalten sein; abhängig von Fabrikat und Extraktionsmethode schwankt dieser Wert noch einmal heftig. So schießen sich Konsumenten eine Menge der Droge ins Blut, die nicht kalkulierbar ist; dazu zirkulieren noch Klebstoffreste in den Venen.

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Die Folge ist ein Anstieg tödlicher Überdosen durch Atemlähmung: Im US-Bundesstaat New Hampshire war Fentanyl an 261 von 400 tödlichen Drogenüberdosen im vergangenen Jahr beteiligt. In Estland grassiert seit Jahren eine regelrechte Fentanyl-Epidemie. Und auch in Bayern ist jede dritte tödliche Überdosis mittlerweile schon auf Fentanyl zurückzuführen.

Fentanylpflaster als Schmerztherapie auf der Brust eines Krebspatienten | Bild: imago

Ziemlich düstere Szenen, auf die die Biomedizin nach fast 25 Jahren Forschung nun eine vielversprechende Antwort gefunden hat. In einem Paper, das gestern im Fachjournal Angewandte Chemie veröffentlicht wurde, stellten die drei Forscher Janda, Bremer und Atsushi des US-amerikanischen Scripps Research Institute in Florida nun erstmals eine Impfung vor, die die toxischen Effekte der Droge blockieren kann. Im Impfstoff ist ein Molekül enthalten, das die Struktur von Fentanyl imitiert. Damit wird das Immunsystem des Körpers darauf trainiert, Antikörper zur Neutralisierung zu produzieren. Diese Antikörper binden die Droge an sich. Damit können Fentanyl oder seine Designer-Derivate—die bis zu 500-fach stärker als Morphin sein können—das Gehirn nicht mehr erreichen.

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Noch Monate nach der letzten Impfung neutralisierte das Immunsystem von Mäusen in den vorklinischen Versuchen am Scripps Institute erfolgreich Fentanyl und zeigten sich gleichgültig gegenüber der injizierten Droge. Erst nach Verabreichung einer 30-fach größeren Menge der Substanz sprachen die Tiere wieder auf Fentanyl an. Das bedeutet, dass die Impfung auch als eine Art Versicherung gegen Überdosen benutzt werden kann. „Soweit wir wissen, ist unser aktiver Impfstoff der erste überhaupt, der tödliche Überdosen beim Missbrauch einer Droge verhindern kann", wird Co-Autor Atsushi auf der Website des Instituts zitiert. „Das hat uns am meisten überrascht", so Bremer.

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Fentanyl ist ein Wirkstoff, der in starken Schmerzpflastern für Krebspatienten enthalten ist. Das Gel in den Pflastern gibt den Wirkstoff eigentlich so langsam ab, dass man davon nicht high werden kann. Da aber selbst nach drei Tagen Anwendung auf der Haut von Patienten noch immer eine beträchtliche Menge Restwirkstoff in den Pflastern zurückbleibt, plündern schmerzfreie Süchtige auch die Mülltonnen von Kliniken, um die gebrauchten Second-Hand-Pflaster auszukauen oder auszukochen.

Ob sich geimpfte Süchtige in der Praxis nicht einfach mit der nächstbesten, verfügbaren Droge substituieren, um den Suchtdruck zu lindern, ist eine ganz andere Frage.

Um Betäubungsmittel-Regulationen zu umgehen, begannen Drogenlabore zudem damit, die Molekularstruktur von Fentanyl zu verändern, ähnlich wie das auch bei den gefährlichen „Legal Highs" der synthetischen Cannabinoide gängige Praxis ist. Der entwickelte Impfstoff wirkt praktischerweise gegen alle Fentanyl-Derivate, aber kreuzreagiert nicht mit anderen Schmerzmitteln, die im Notfall lebensrettend sein können.

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Theoretisch sollen durch die Blockade der Droge Suchtkranke davon abgehalten werden, Fentanyl weiter zu nutzen, weil sich kein High mehr einstellt. Ob sich geimpfte Süchtige allerdings in der Praxis dann nicht einfach mit dem nächstbesten, verfügbaren Stoff substituieren, um den Suchtdruck zu lindern, ist eine ganz andere Frage.

Denn fatalerweise laufen auch Konsumenten, die eigentlich Heroin kaufen wollten, Gefahr, sich Fentanyl zu injizieren, da die Substanz auch manchmal irreführend unter dem Namen „China White" gehandelt wird—ebenfalls ein geläufiger Straßenname für Heroin.

Um wieder zum Heroin zurückzukommen: Als nächstes möchten die Suchtforscher aus Florida sich einem Impfstoff widmen, der auch gegen Heroin wirkt, um Rückfälle und Überdosen zu bekämpfen—schließlich findet sich Fentalyn dort verstärkt als Streckmittel. Die wenigsten Konsumenten haben dagegen ständig eine aufgezogene Spritze Naloxon dabei, das ein effektives Akut-Gegenmittel gegen zu viel Heroin darstellt (und ich stelle es mir auch kompliziert vor, sich diese während einer Überdosis rechtzeitig selbst zu injizieren). Wenn die vorklinischen Studien positiv verlaufen und den Konsumenten der Zugang zu der Substanz flächendeckend gewährt wird, könnte die Überdosis-Impfung also viele Leben retten—und möglicherweise den Grundstein für einen ganz neuen Ansatz in der Suchttherapie legen.