Wofür brennst du, Sigrid Maurer (Grüne)?

Das ist der vierte Beitrag aus unserer Reihe “Wofür brennst du?“, in der wir uns mit interessanten Menschen betrinken. Mehr Gespräche: “Wofür brennst du, Nico Marchetti (ÖVP?)” “Wofür brennst du, Julia Herr (SPÖ)?“, Wofür brennst du, Claudia Gamon (NEOS)?.

Während ich beim Gespräch mit dem ÖVP-Kandidaten sicherlich Abzüge im Ranking für das authentische Vortragen von VICE-Klischees bekommen habe (der JVP-Sprecher trug einen Sweater, ich Hemd), dürfte ich bei Sigrid Maurer ein wenig aufgeholt haben. Das liegt an dem einfachen Umstand, dass das Gespräch mit Maurer einen Tag später stattfand und ich dementsprechend verkatert zum Interview trottete.

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“Intern kursiert das bei uns seit Wochen ja als ‘Sauf-Interview’”, sagt Maurer nach 20 Minuten, “aber worum geht’s eigentlich? Ist das eine Kritik am Alkoholismus von Politikern? Falls ja, da könnt ich einiges erzählen.” Während ihr nachlesen könnt, was die Idee des Formats und was am politischen Alkoholismus problematisch ist, erzählt Maurer ein paar flüssige Anekdoten aus der Parlamentskantine, die ich leider nicht wiedergeben darf. “Sich dort mit einer Stricherliste hinzusetzen, wäre schon mal interessant”, sagt sie nur.

Die Transparenz-Box: VICE hat alle jungen Politiker, die wahrscheinlich dem nächsten Nationalrat angehören, zu einem Gespräch in ihr Lieblingslokal geladen. Bis auf die FPÖ, die auf die Anfragen bisher nicht reagiert hat, haben alle Parlamentsparteien Interesse bekundet. Die ehemalige ÖH-Vorsitzende Sigrid Maurer (32) sitzt seit 2013 für die Grünen im Parlament. Sie kandidiert auf der Wiener Landesliste auf dem aussichtsreichen dritten Platz. Maurer ist für den Jugendsprecher der Grünen, Julian Schmid, der aus Zeitgründen kurzfristig absagen musste, eingesprungen. Maurer und der Autor hatten bisher noch keinen Kontakt. Maurer forderte eine Freigabe des Gesprächs.

Maurer stellt gleich zu Beginn klar, dass sie das Gespräch freigeben lassen will. Sie habe schon zu viele negative Erfahrungen gemacht. Vor allem betrunken würde sie Dinge vielleicht härter formulieren als es angemessen sei. “Anders als im Kurier-Medienhaus ist bei VICE Fäkalsprache erlaubt”, sage ich (der Kurier nahm einen kritischen Artikel zu Wolfgang Sobotka offline, weil darin das Wort “scheiße” vorkam, Anm.). Maurers Antwort darauf ist die zweite Sache, bei der sie um eine vertrauliche Antwort bittet.

Das Gespräch startet um 19:30 im Café Espresso im 7. Wiener Gemeindebezirk.

Sigrid Maurer: Ich hab das Interview mit Claudia Gamon sehr amüsant gefunden.

VICE: Die hält bis jetzt den Rekord mit sechs Spritzer. Gestern war Nico Marchetti dran, mit fünf Bier.

Maurer erzählt, dass sie von ihrer besten Freundin ein Limit von ebenfalls 6 Spritzern bekommen hat. Unglaublich schlau bestellt Maurer einen Achterl Weiß, ehe wir darüber diskutieren, ob nicht in einem Spritzer gleich viel Wein wie in einem Achterl ist. Ich hole mir ein Tannenzäpfle, ein kleines Bier, und “die g’rupfte Sau”, Pulled Pork mit Hipster-Ganierung. Beim Wort “ÖVP” war Maurer getriggert.

Was im Wahlkampf abgeht! Ich verstehe überhaupt nicht, wie so viele Leute geradezu Jünger und Anbeter von Sebastian Kurz sein können. Bei Jörg Haider war es nachvollziehbar, dass sein politisches Talent anziehend ist. Beim Kurz kapier ich’s nicht. Normalerweise hätte man in so einer Situation sowas wie Neidgefühle.

Neidgefühle inwiefern?
Im Sinne von Anerkennung für den politischen Gegner und im Sinn von: “OK, das ist etwas, das extrem gut wirkt.”

Die anderen Parteien sollten also neidisch sein?
Ja, in der politischen Beobachtung kann man ja feststellen, dass jemand extrem talentiert ist. Aber ich erkenne da nichts das rechtfertigen würde, dass Chefredakteure Kurz-Huldigungen schreiben.

Aber glaubst du, dass das politische Talent oder sein Charisma begeistert? Ich würde eher zu Letzterem tendieren.
Welches Charisma? Das ist ja das, was ich nicht kapiere. Was ist politisch talentiert an ihm, außer im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein? Wobei, das wär jetzt zu wenig gesagt. Er ist rhetorisch in der Lage, alles wegzudrücken, was irgendwie daherkommt, indem er auf nichts eine Antwort gibt. Es ist ja nicht umsonst so, dass es kaum Portraits gibt, die so etwas wie einen Menschen hinter dieser Fassade zeigen. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass er mich einfach so überhaupt nicht anspricht, dass ich es gar nicht nachvollziehen kann.

Wir reden noch ein bisschen weiter über Sebastian Kurz, Jörg Haider und die Frage, wie viel ein Politiker an Medien kritisieren darf. “Ich würde mir eine offene Diskussion über Mechanismen in der Berichterstattung wünschen. Ein häufiges Problem ist zum Beispiel, dass Geschichten hauptsächlich als Exklusivgeschichten verkauft werden, die dann nicht sehr kritisch hinterfragt werden, sagt Maurer.

Medien und ihre Rahmenbedingungen können ja auch ein politisches Thema sein. Was siehst du als Problem und was würdest du ändern?
Das Problem ist grundsätzlich natürlich die Kohle. Und damit geht die Inseratenabhängigkeit einher. Auch bei Exklusivgeschichten muss der Job eines Journalisten sein, zu prüfen. Was ich mache, ist immer top-seriös und bis ins letzte Detail ausrecherchiert. Anders kann ich das gar nicht. Aber das müsste ich nicht. Ich könnte die Geschichten auch viel ungesicherter hergeben. Dazu kommt noch, dass niemand zu Pressekonferenzen kommt. Das liegt einerseits an den ausgedünnten Redaktionen, andererseits auch am antrainierten Polit-Sprech der Politiker. Viele Journalisten trauen sich dann nicht zu fragen, weil andere Journalisten dann ja hören könnten, was sie fragen.

“Ich hab mir noch nie irgendwas geschissen.”

Das finde ich kindisch. Ich verstehe auch nicht, warum sich so viele zieren, die Konkurrenz zu zitieren. Dieser Hickhack zwischen ORF und Puls4 oder zwischen Österreich und Kurier ist doch lächerlich. Entweder sind wir eine seriöse Branche oder eben nicht.
Eben nicht! Reinhold Mitterlehner hat meiner Vermutung nach absichtlich Journalisten immer zu einer Uhrzeit eingeladen, wo die Oppositionsvertreter nach der Veröffentlichung nicht mehr wirklich darauf reagieren konnten. Andererseits finden bestimmte Debatten ausschließlich in einer Tageszeitung statt. Du hast nicht drei verschiedene Blicke auf eine Geschichte. Das entspricht nicht meiner Vorstellung von Diskurs. Es braucht mehr gut vorbereiteten Journalismus und eine Rahmenbedingung dafür ist eine ganz andere Medienförderung. Vielleicht ist nach diesem wahnsinnigen Wahlkampf ein geeigneter Zeitpunkt, über solche Sachen zu diskutieren.

Mir fällt mein Notizblock und ein kleiner Stoß voller loser und wild zerknitterter Zetteln runter. “Du bist also ein sehr ordentlicher Mensch”, bemerkt Maurer. Wir bestellen noch ein Achterl und ein Seiterl und reden über VICE. Nachdem ich bei der obligatorischen Clickbait-Kritik widerspreche, stimme ich bei “aber schon sehr arge Sachen” zu.

Ich sage, dass eine Grüne mit Klischees lieber vorsichtig sein sollte. Die Wörter “Verbotspartei” und “spaßbefreit” fallen. Und Maurer will – so wie ich bei den VICE-Klischees – mir unbedingt das Gegenteil beweisen.

Ich bin wirklich witzig! FM4 hat mal zu Silvester einen Promi-Talk gemacht und dafür Mitarbeiter der Promis durchgerufen. Meine haben erzählt, dass ich immer einen Witz erzähle, den niemand außer mir lustig findet. Dann haben sie mich im Radio gezwungen, diesen Witz zu erzählen. Extrem peinlich.

Du weißt schon, dass du ihn jetzt nochmal erzählen musst.

Maurer wehrt sich einige Minuten dagegen und versucht die Erwartungen klein zu halten. Aber wir wissen alle, dass es jetzt kein Zurück mehr gibt.

OK. Aber es fängt schon damit an, dass der Witz “der Igel-Witz” heißt.

Na super! Das sind die allerbesten, die die Pointe schon vorher sagen.
Schau, ich bin witzig, aber ich bin keine Witze-Erzählerin.

Gehört das nicht zusammen?
Naja, Witze sind eigentlich meistens nicht lustig. Aber ich kann mich total abhauen über so einen Witz wie: “Was ist orange und spaziert durch den Wald? Eine Wanderine!”

Ich lache aus Höflichkeit, Maurer aus Leidenschaft.

Oder: “Was liegt am Meeresgrund und spricht undeutlich? Eine Nuschel!”

Den kannte ich nicht. Und was ist jetzt der Igel-Witz?
Gehen zwei Zahnstocher auf den Berg, kommt ein Igel vorbei, sagt der eine zum anderen: “Warum hast nicht gleich gesagt, dass da ein Shuttle rauffährt?”

Ich hab jetzt nur nicht gelacht, weil ich ihn kenne. Beim ersten Mal hören vor 10 Jahren habe ich bestimmt darüber gelacht.

Wir reden darüber, ob das ernsthaftere Auftreten vielleicht auch mit Maurers Rollenwechsel – von der ÖH-Vorisitzenden zur Parlamentarierin – zu tun hat.

“Ich bin immer noch genau so rebellisch wie früher.”

Ich finde, du hast dich – zumindest im öffentlichen Bild – sehr verändert. Bei “Uni brennt” warst du eine klassische Rebellin, die für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Das ist jetzt etwas weniger geworden.
Mir ist es schon extrem wichtig, eine seriöse, politische Debatte im Parlament führen zu können. Aber ich bin innerlich immer noch genau so rebellisch wie früher. Leute sind immer noch total überrascht, weil mir nach wie vor zugeschrieben wird, das kleine Mädchen zu sein. Ich hab mir noch nie irgendwas geschissen. Wir haben Runden mit Kanzler, Vizekanzler und Unterrichtsministerin einfach gesprengt, weil wir als ÖH gefunden haben, dass das nicht passt. Jetzt passiert das auf einer anderen Ebene. Der Aktionismus ist logischerweise weniger geworden, aber von der Grundsituation hat sich nichts geändert. Ich bin jetzt Autoritäten gegenüber nicht respektvoller geworden. Ich meine damit nicht respektlos, aber wir haben ja ein generelles Problem in anderen Parteien, dass sie gegenüber einem Minister nicht zurück reden.

Du redest von Nationalratsabgeordneten, die Schiss vor Ministern haben?
Schiss ist falsch gesagt. Aber ja, man merkt, dass der Stil, wie Fragen gestellt werden ein spezieller ist. Aber bei mir hat sich die Grundhaltung der Autorität gegenüber überhaupt nicht verändert. Die Mittel haben sich verändert. Bei der “Uni brennt”-Bewegung war klar, dass der Protest auf der Straße das Mittel zum Zweck ist. Da hat es auch nichts anderes gegeben. Jetzt als Abgeordnete habe ich ganz andere Instrumente zur Verfügung und mache das, was ich mache, ein Stück weit seriöser.

Nach dem Augustin-Verkäufer, dem Maurer Kleingeld zugesteckt hat, spielt nun ein Mann mit Gitarre in der Nähe unseres Tisches. Maurer, die vorher ein Zitat von mir getwitttert hat, zückt ihr Handy und sagt “gut”. Wir unterbrechen das Gespräch für rund 15 Minuten und Maurer bekommt auf Twitter, Tipps wie sie es am Tag drauf um 7 Uhr in der Früh zur Hauptuni schafft (“Durchmachen”). “Ich bin fucking 32. Das hängt mir eine Woche nach”, antwortet Maurer und wir hätten die Frage des körperlichen Verfalls auch geklärt. Um das Gespräch wieder langsam zu starten, frage ich, was Maurer als wichtiges Thema der Zukunft erachtet.

Die Zivilgesellschaft hat eine sehr wichtige Aufgabe und ich hoffe sehr, dass das wieder erstarkt. Ich habe so meine Zweifel, um ehrlich zu sein.

Wieso?
Per se ist das größte Problem in der politischen Auseinandersetzung und für die Gesellschaft als Gesamtes eine Entsolidarisierung. Was natürlich logisch in einer neoliberalen Gesellschaft ist, in der schon Schüler darauf getrimmt werden, in Konkurrenzkampf zueinander zu stehen. Wo ihnen schon gesagt wird: “Na, ob du das schaffst…”. In einer Gesellschaft, wo Bewerbungsgespräche schon in der Unterstufe trainiert werden. Wo das Aufpolieren des Lebenslaufs ganz zentral ist. Wo der Druck auf die einzelne Person und auch die Auslagerung von Problemen auf das Individuum ganz stark ist.

“Ich habe den Eindruck, dass es inzwischen ein echtes Bedürfnis nach Abwertung anderer Menschen gibt.”

Woran denkst du da genau?
Die ganze Diskussion rund um die Sozialkürzungen – das ist alles so perfide. Die Mindestsicherung, die tatsächlich das Mindeste ist, noch weiter kürzen zu wollen und den Leuten zu unterstellen, sie wären faul – das geht einher mit einer starken Entsolidarisierung. Das läuft darauf hinaus, das jeder nur mehr auf sich selber schaut und die großen Kämpfe für das Gemeinsame; für den Zusammenhalt schwer in Bedrängnis geraten.

Was ist der Grund für die Entsolidarisierung?
Der steigende Druck auf die Einzelnen. Ob der jetzt real oder gefühlt ist, ist noch mal eine andere Frage. Aber Fakt ist, dass die Einzelnen das Gefühl haben, nicht auszukommen. Abstiegsängste sind Teil davon. Das ist eine unglaubliche Belastung, die man den Leuten ansieht. Das erlebe ich auch jetzt Wahlkampf wenn ich in Gegenden verteile, wo viele Leute wohnen, denen es schlecht geht. Ich habe den Eindruck, dass es inzwischen ein echtes Bedürfnis nach Abwertung anderer Menschen gibt. Und auch bei denen, die von der Abwertung am stärksten betroffen sind, merke ich, wie befreiend es für manche ist, wenn sie zumindest auf uns eintreten können.

Über die Grünen zu schimpfen ist echt ziemlich in Mode gekommen. Vielleicht kann man damit sogar eine Wahl gewinnen. Aber ernsthaft: Woher kommt das?
Weil es einen gesellschaftlichen Diskurs gibt, der das erlaubt und sogar unterstützt. “Haha, die Grüninnen, die grüne Kampflesbe” – so etwas höre ich an ÖVP-Wahlkampfständen.

Was ich auch nicht verstehe: Ich kenne einige Leute, die Kurz wählen wollen, obwohl sie der sozialen Unterschicht angehören.
Dass Wählen nichts Rationales ist, stelle ich in diesem Wahlkampf auch immer wieder fest. Nämlich insbesondere bei den Begründungen, warum manche Leute die Grünen nicht mehr wählen können. Grundsätzlich ist das, was die Leute aufregt, nicht eine politische Forderung oder das politische Programm der Grünen. Es sind immer atmosphärische Dinge. Wo Leute dann sagen, ich kann die Grünen nicht wählen, weil ich finde die Ulrike Lunacek war beim TV-Duell nicht sympathisch. Oder die Maria Vassilakou hat mit dem Heumarkt einen Blödsinn gemacht. Was ja nichts mit dem zu tun hat, was wir im Parlament leisten sollen. Das kann ich den Leuten auch nicht ausreden logischerweise. Die Wahlentscheidung ist nicht so rational, wie wir gerne hätten.

Wenn ich mir vorstelle, dass ich mir im Parlament den Arsch abhackle und am Ende das in der Wahlentscheidung wurscht ist, würde mich das frustrieren. Oder trügt der Eindruck?
Ich weiß, dass meine Arbeit für die Leute konkrete Auswirkungen hat. Ich hab das möglicherweise zu schlecht verkauft, aber dass die Unis in den nächsten drei Jahren 1,35 Milliarden Euro mehr kriegen, gäbe es ohne mich nicht. In der öffentlichen Debatte geht das unter.

Aber frustriert es mich? Nein eigentlich nicht, weil so funktioniert es halt nicht. Ich kann mich jetzt schon drüber ärgern, wie deppert die Leute sind und dass sie nicht verstehen, was für großartige parlamentarische Arbeit ich mache, aber die Realität ist halt eine andere. Ich bin gewählt, um gescheite Politik zu machen – und die mach ich. Ich bin nicht gewählt, um mich über das Desinteresse der Bürger zu beschweren. Dementsprechend halt ich mich nicht damit auf.

Wir bekommen eine neue Runde. Nachdem ich auf Twitter für mein kleines Bier verlacht wurde und anders als Politiker kein Rückgrat haben muss, ist es diesmal ein großes geworden. Wir bleiben beim Thema.

Momentan ist jedenfalls alles ein totaler Wahnsinn. Ich hab gerade keine Ahnung, ob und mit wem in der Politik man überhaupt noch normal reden kann. Es gibt ja ganz viele Dinge, über die man vernünftig sprechen kann und wo man einen Konsens quer über alle Fraktionen finden könnte. Das möchte ich nicht aufgeben und es wird, glaube ich, ziemlich schlimm. Ich gehe davon aus, dass es zu einer FPÖ-Beteiligung in der Regierung kommt. Wenn nicht, dann haben wir Kurz-Doskozil, was so ziemlich auf das Gleiche rauskommt. Vielleicht ist das ja Motivation für meine Abgeordneten-Kollegen, ein bisschen selbstständiger zu denken.

“Wenn wir es im Parlament nicht zusammenkriegen eine seriöse, ruhige Debatte über politische Sachfragen zu führen, wie können wir dann von einer Bevölkerung verlangen, dass sie es tut?”

Was würde eine schwarzblaue Regierung für die Grünen bedeuten?
Dass der Widerstand intensiviert werden muss. Das ist auch etwas, bei dem ich die Zivilgesellschaft in die Pflicht nehmen würde. Die Grünen können das nicht alleine stemmen. Ich habe gut gefunden, was der Robert Misik vor einiger Zeit gesagt hat: Wir sind viele. Die Leute, die alle in der Flüchtlingssituation zusammengehalten haben, das war irre. Ich war ja selber am Westbahnhof damals. Ich finde, dass es nichts stärkeres Gemeinschaftsbildendes gibt als gemeinsame positive Erfahrungen. Wie eine Audimax-Besetzung oder eine gemeinsame Aktion am Bahnhof.

Das schweißt vielleicht alle Leute zusammen, die dabei sind, aber was hält eine Gesellschaft im Großen zusammen?
Ich gebe zu, dass “Uni brennt” eine Nischensache war. Eine blaue Regierungsbeteiligung betrifft die ganze Republik. Sollte tatsächlich Schwarzblau kommen – was ich tatsächlich befürchte –, wird das Zusammenschweißende schon auch der Widerstand sein.

Aber wenn man gegen ein größeres Thema demonstriert, fördert das die Solidarität unter denen, die demonstrieren. Aber nicht die Solidarität einer Gesellschaft. ÖVP und FPÖ gehören ja auch zur Gesellschaft dazu.
Aber die Solidaritätswelle 2015 hat viel breitere Wirkung gezeigt als nur auf die Leute, die involviert waren. Und mein Anspruch und meine Hoffnung sind ja nicht, dass der Widerstand gegen Schwarzblau dazu geeignet ist, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen umzudrehen. Das wäre ja völlig naiv. Die Aufgabe in der Situation wird sein, so viel Widerstand zu leisten, dass die Regierung so schnell wie möglich Geschichte ist und etwas Neues aufgebaut werden kann. Natürlich ist es etwas Solidarisches, wenn man sich gegen eine Regierung ausspricht, deren Hauptprogramm Sozialkürzungen sind und der Rassismus das tragende Motiv ist.

Ja, aber ich denke eher daran, was eine Gesellschaft, die sich entsolidarisiert, zusammenhalten soll. Die Antwort von rechten Parteien, die wahrscheinlich die gleiche Problemanalyse haben, ist, die “Verteidigung” unserer Kultur und Nation.
Warum denkst du, dass sie die gleiche Problemanalyse haben? Da würde ich total widersprechen. Eine rechte oder rechtsextreme Ideologie, wie sie auf die FPÖ zutrifft und auch auf immer mehr Teile der ÖVP, baut ja grundlegend auf der Idee auf, dass Menschen nicht gleich sind. Dass Menschen nicht die gleichen Chancen verdient haben. Sondern, dass es sowas wie einen Verdienst im Leben gibt, der einem Zugehörigkeit zur besser gestellten Gruppe erlaubt. Die Grundausrichtung widerspricht ja der Solidarität.

“Das Ziel der FPÖ ist es, das Parlament zu zerstören.”

Vielleicht ist die Problemanalyse nicht gleich. Aber die Antwort auf die teils unsicheren Zeiten von rechten Parteien ist doch: OK, wir müssen näher zusammenrücken. Also in dem Fall eben das Nationalgefühl stärken.
Da würde ich auch wieder widersprechen. Das Nationalgefühl ist ja nur ein Trick, um so zu tun, als wären wir in einer Gemeinschaft, die überhaupt keine Gemeinschaft ist. Das ist ja nur die absolute Blendung. Aber da sind wir wieder bei der Abwertung: alles was in dieser nationalen Einbildung nicht enthalten ist wird abgewertet und abgestoßen. Eine rechte Partei hat nur das Interesse, das gute Leben für die autochthone Bevölkerung herzustellen, sobald diese Separation erfolgt ist. Es gibt in der ÖVP Leute – und das ist neu –, die das übernommen haben. Diese Entwicklung macht mir Angst. Strache ist schmähstad, weil sie ihn von rechts überholen.

Was befürchtest du?
Dass sich der Diskurs noch weiter in Richtung Entsolidarisierung verschiebt. Etwa beim 12-Stunden-Arbeitstag oder bei Leuten, die “Sozialschmarotzer” geschimpft werden. Ich hätte nicht gedacht, dass wir heute so weit sein könnten, dass ich Schiss vor einer schwarz-blauen Zweidrittelmehrheit im Parlament habe. Und das ist leider ein realistisches Szenario. Ich habe absolut keine Ahnung, was die damit anstellen.

Wir malen ein paar Schreckensgespenster – Einschränkungen im Bereich Bürger-, Arbeitnehmer- und Medienrechte – an die Wand. “Eigentlich absurd, dass wir ernsthaft darüber nachdenken”. Wir schweigen. Maurer macht zwei positive Zäsuren in der parlamentarischen Debatte fest: Die Grenzöffnung und Antrittsrede von Christian Kern. Seither geht es bergab. “Es wird immer offener gehetzt.” Eine Befürchtung skizziert Maurer näher.

Ich habe mich mit dem Historiker Franz Schausberger, dem ehemaligen Landeshauptmann der ÖVP von Salzburg, getroffen, der eine Habilitation mit dem Titel “Ins Parlament, um es zu zerstören” geschrieben hat. Er hat darin den Aufstieg der Nationalsozialisten in den Landtagen untersucht. Drei Gründe für den Aufstieg sind letztlich rausgekommen.

Das müsstest du jetzt bitte ein bisschen genauer erklären.
1. Die Imitation, also der Versuch, rechts zu überholen. Das haben wir jetzt überall haben. 2. Die Kollaboration, also die Zusammenarbeit mit den Rechten, was es schon gab und jetzt wieder angekündigt wird. 3. Die Erosion der politischen Kultur, also die Möglichkeit, seriös ohne Untergriffe zu diskutieren. Die ersten beiden Punkte sind erfüllt. Den dritten Punkt gilt es zu retten.

Das ist schon eine sehr harte Ansage.
Das ist auch ein Grund, warum ich medienpolitische Fragen für zentral halte. Wir müssen im Parlament wieder zu einer anderen Form des Diskurses finden. Wenn wir es im Parlament nicht zusammenkriegen eine seriöse, ruhige Debatte über politische Sachfragen zu führen, wie können wir dann von einer Bevölkerung verlangen, dass sie es tut?

Ich bin in Anbetracht der harten Ansage noch immer ein wenig sprachlos. Maurer redet weiter.

Das Ziel der FPÖ ist es, das Parlament zu zerstören. Die haben kein Interesse an einem funktionierendem Parlament. Den Beweis hat Norbert Hofer mit seinen autoritären Ansagen wie “wir werden uns noch wundern, was alles geht” angetreten.

Naja, das war ein Zitat, das man auf viele Arten verstehen kann.
Natürlich nicht nur das. Die Begleiterscheinungen wie der Wunsch über Verfassungsrecht direkt abstimmen zu lassen oder die Grundrechte von einzelnen Personen auszuhebeln, passen ins Bild. Die FPÖ ist eine zutiefst autoritäre Partei. Als Oppositionspartei schwimmt sie zwar häufig auf der parlamentarischen Kontrollwelle mit, aber immer dann, wenn es darum geht, sich selber zu kontrollieren, ist die FPÖ schnell draußen.

Immer wieder kommen Leute in grünen Jacken vorbei und begrüßen Maurer, die an diesem Abend eigentlich eine Beisl-Tour mitmachen hätte sollen. “Das Ergebnis ist ja fast das Gleiche”, sage ich. Eine Gruppe lädt einen Trolley voller Flyer für Maurer ab. Bei einer Gruppe ist der designierte Bezirksvorsteher des 7. Bezirks, Markus Reiter, dabei, der sich zu uns dazu setzt. “Nana, passt schon, bleib da. Das ist ein VICE-Sauf-Interview. Das ist voll unseriös”, hat Maurer bereits zu einer Gruppe davor gesagt.

Wir reden noch ein bisschen über die Grünen und den streitbaren Jugendsprecher Julian Schmid. Maurer, die Peter Pilz schon öfter kritisiert hat, verteidigt Schmid. Es sei wichtig, jemanden in den Reihen zu haben, der mehr zuhört als er selber predigt. “Der Julian kann, was ich nicht kann – und umgekehrt”, erklärt sie. Dazu trinken wir, ehe Maurer mit 7 Achterln den 6 Spritzer-Rekord von Claudia Gamon knackt – und das Limit ihrer besten Freundin bricht. Beim Heimgehen um 00:44 Uhr ist eins der letzten Dinge, die Maurer sagt: “Glaub mir, ich bin wirklich witzig!”

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