Der härteste Türsteher Berlins steht heutzutage zwischen dir und dem Mietvertrag deiner Traumwohnung: der grimmige Makler. Schufa-Auskunft, haste nicht? Sorry, komm morgen wieder. Ach, du bist Freelancer? Versuchs doch mal in Spandau. Du würdest die Kaution gern in Raten bezahlen? Schön für dich und ich hätte gern heute Nacht ein Doppeldate mit Beyoncé und Jay Z.
Hast du es erstmal in die Wohnung geschafft, kommt das nächste Level: Du musst dich um Bauschutt und freiliegende Starkstromkabel herumwinden und jetzt – jetzt heißt es: Es kommt auch nicht nur darauf an, was unsere Lebensläufe und Kontoauszüge zu bieten haben, sondern auch noch darauf, was wir anhaben, wenn wir nach einem neuen Zuhause betteln.
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Genau hier setzt Designer Guido Maria Kretschmer an. “Wohnungssuche – Mit diesem Outfit kriegst du sie!” wird der Artikel auf der Titelseite seines Magazins Guido angeteasert. Alle lieben den Shopping-Queen Moderator und neuerdings auch “Editor-at-Large”. Sein knuffiges Aussehen und seine “Ich-bin-dein-Freund”-Art – Frauen in ganz Deutschland vertrauen auf seine Meinung.
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“Guido, geht das so?” fragt im Magazin deshalb eine rehäugige und unsicher wirkende Frau in Rüschenbluse, Jeans und Boots. Guido richtet gnadenlos: Das Outfit sei “zu alltäglich für so einen besonderen Anlass”. Auf der nächsten Seite trägt die gleiche Frau ein Blümchenkleid mit Lederjacke. Dieses Outfit zeige, so Guido: “Ich tue was für mein Geld und kann verantwortungsvoll damit umgehen.” Dass dieses empfohlene Outfit fast das Doppelte kostet, verschweigt Guido mal lieber.
Wir haben uns gefragt, ob die Sorge um die Wahl der “richtigen Kleidung” wirklich eine Rolle spielt. An einem kalten Januarvormittag sind wir also mit der Guido zu einer Wohnungsbesichtigung in Berlin-Neukölln gefahren und haben die Leute in der Schlange nach ihrer Meinung gefragt.
Sophia, 29, Architektin
“Bei meiner allerersten Wohnungsbesichtigung war ich 21 Jahre alt. Da habe ich mir definitiv vorher überlegt, was ich anziehe. Ich wollte mein Alter kompensieren und kompetenter wirken. Das mache ich heute nicht mehr.
Die Outfit-Wahl von Guido ist Geschmacksache. Ich persönlich finde das Blümchenkleid nicht schön, aber man kann es auch damit drauf haben. Grundsätzlich würde ich mich einfach so anziehen, wie ich ins Büro zur Arbeit gehe. Ein bisschen gesetzter, nicht zu sexy. Zu kurze Röcke oder ein tiefer Ausschnitt würden für mich komplett ausscheiden. Ein bisschen schick kann man sich machen.
Ich glaube aber nicht, dass man am Outfit erkennt was man beruflich macht oder verdient. Persönlich hätte ich mich für die Bluse und Jeans entschieden.”
Merle, 19, Studentin
“Ich komme aus der Nähe von Köln und suche aktuell eine neue Wohnung. Bei meiner ersten Wohnungsbesichtigung habe ich mir schon Gedanken gemacht. Ich habe eine Bluse getragen. Als 19-Jährige Studentin mit Nebenjob wollte ich kompetenter wirken. Aber das bringt eigentlich nichts. Das läuft danach alles über E-Mail, da weiß keiner mehr was du getragen hast. Ich mache mir da keinen Stress mehr. Es kommt glaube ich, mehr darauf an was man zu bieten hat. Nur eine Jogginghose würde ich nicht anziehen.”
Aaron, 37, Fotograf & Jaret, 30, Komponist
Jaret: Ich mache mir schon vorher Gedanken, was ich trage. Im Winter ist die Auswahl, dank Jacke, natürlich nicht so groß. Aber grundsätzlich einfach etwas Simples. Schwarzer Pullover, Jeans. Nicht zu viel.
Ganz anders: in meiner Heimat Brisbane. Zu meiner ersten Wohnungsbesichtigung, mit 18, habe ich Flip-Flops und zerrissene Jeans getragen. Es ist dort einfach viel zu warm für etwas Anderes. Berlin ist, glaube ich, auch offener. Ich hätte gedacht, dass man am Outfit erkennt, was die Leute beruflich machen, oder ob sie studiert haben. Aber gerade gestern war eine Frau mit uns auf einer Besichtigung, mit knallblauen Haaren. Sie trug einen Bademantel und wirkte nicht so, als würde sie sich die Wohnung leisten können. Wir haben uns dann darüber unterhalten und kamen zu dem Schluss, dass ihre Kleidung gar nichts aussagt. Vielleicht arbeitet sie irgendwo in der IT und verdient total viel. Ob der Makler dann auch der Meinung ist, ist natürlich noch eine andere Frage.
Aaron: Für mich darf es mehr Farbe sein. Ich habe mich bewusst für eine rote Jacke entschieden. Ich möchte versuchen, aus der Masse herauszustechen. Außerdem finde Schwarz einfach zu langweilig. T-Shirts mit politischen Aussagen oder den Logos von Punkrockbands sollte man vielleicht vermeiden. Das ist jedenfalls unsere Erfahrung aus Bremen. Da haben wir vorher sieben Jahre gelebt.
Somnath, 35, Angestellter
“Ich mache mir absolut keine Gedanken darüber, was ich zu einer Wohnungsbesichtigung anziehe. Kleidung sagt nicht besonders viel über den Menschen aus. Außerdem bin ich der Meinung, dass man generell niemandem vorschreiben sollte, was er oder sie zu tragen hat. Wenn jemand komplett nackt zu einer Besichtigung kommen würde, könnte es natürlich schwierig werden. Alles andere halte ich für nicht relevant.”
Michael Akl von der Immobilienverwaltung Ado (24.000 Objekte in Berlin):
“Man muss absolut nicht in Anzug und Krawatte erscheinen. Gepflegtes Auftreten reicht vollkommen aus. Der Hintergrund muss stimmen. Eine saubere Schufa und ein Einkommen, passend zum Mietpreis, sind die entscheidenden Kriterien.
Da stehen manchmal bis zu 60 Personen vor der Tür. Bei 20 Hausbesichtigungen pro Tag kann ich mir wirklich nicht merken, was die Leute getragen haben. Kurze Gespräche sind eher das, was man sich merkt. Das Outfit mit Kleid und Bikerjacke wirkt auf mich ansprechender. Ich persönlich mag einfach Frauen die Kleider tragen. Das beeinflusst die Entscheidung aber nicht.”
Wir empfehlen also: Teure Klamotten shoppen, die einem am Ende noch die Schufa-Auskunft verhageln? Lieber bleiben lassen.
Es interessiert niemanden, was du trägst. Rede mit den Leuten, die dir eine Wohnung geben sollen. Das echte Leben ist kein Tinder-Feed, in dem dich Leute nach rechts wischen, weil du geile Klamotten anhast. Trag irgendwas, was aussieht, als würdest du die Wohnungssuche ernstnehmen, und worin du dich wohlfühlst. Dann strahlst du. Diesen Tipp hätten wir ehrlich gesagt auch von Guido erwartet.