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Wie ich innerhalb von zwei Stunden die Corona-Impfung bekam

Ich bin jung und gesund. Trotzdem hat es nur 22 E-Mails gebraucht, bis ich köstliches AstraZeneca im Arm hatte.
Der Autor häl
Foto: Robert Hofmann: Privat | Astrazeneca: IMAGO / Antonio Balasco | Hintergrund: IMAGO / mhphoto | Collage: VICE

Wenn die Politik es nicht hinkriegt, muss man sein Glück selbst in die Hand nehmen. Was jetzt nach neoliberalem Lindner-Schwurbel klingt, ist eigentlich nett gemeint. Denn es gibt einen Trick, mit dem ihr problemlos und in kurzer Zeit den begehrten Impfstoff ins eigene Fleisch kriegt. 

Hausärzte impfen. Nicht alle, aber viele. Das weiß man spätestens, seit die Politik wochenlang darüber debattiert hat, ob sie das sollten oder nicht. Nach Ostern – manche sagen viel zu spät – war es dann so weit. Hausarztpraxen erhielten die ersten Impfdosen. Kommende Woche sollen sie insgesamt zwei Millionen Dosen verimpfen, berichtet die Rheinische Post unter Berufung auf die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV).

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Für die Hausärzte gilt derweil genauso wie für die Impfzentren, dass zuerst die Alten und Vorerkrankten geimpft werden sollen. Allerdings ohne zentrale Einladung, die Ärzte sollen ihre Patientinnen und Patienten selbst kontaktieren. Man gesteht ihnen also ein gewisses Maß an Flexibilität zu. Man möchte ihnen weniger bürokratischen Aufwand aufbürden und ihnen nicht absprechen, dass sie den Impf-Bedarf selbst einschätzen können. Sie dürfen in bestimmten Fällen von der Priorisierung abrücken. Das soll Geschwindigkeit bringen.


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Außerdem, und hier kommt mein Life-Hack ins Spiel, wollen gar nicht alle Alten und Vorerkrankten geimpft werden, die dazu berechtigt wären. Das kann sein, weil sie Angst haben vor AstraZeneca, dem Impfstoff, der nach viel schlechter Presse in den Wind geschossen wurde, statt ins Muskelgewebe der Bevölkerung. Es kann auch daran liegen, dass die Impfberechtigten ihre Informationen von Russia Today, Compact, Bild oder dem Internet ziehen und deshalb lieber an Reptiloide und Pädophilen-Ringe der internationalen Eliten glauben als an eine tödliche Pandemie. 

Jetzt ist jedenfalls Impfstoff übrig, von dem mancher schlecht würde, wenn man ihn nicht bald benutzt. Ärzte dürfen diesen übriggebliebenen Impfstoff nun verimpfen und dabei selbst entscheiden, wer ihn kriegt. Und so bekommen diejenigen den Zuschlag, die, nun ja, einfach mal nett fragen. Per Mail, weil telefonieren dauert und die Praxen überlastet sind. 

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Wie genau ich aber innerhalb von nur zwei Stunden die Impfung bekommen habe? An einem sonnigen Montagnachmittag um 14.59 Uhr verschicke ich folgende E-Mail an 22 Berliner Hausarzt-Praxen:

 "Guten Tag, Nun habe ich es bereits im Radio gehört und der Zeitung gelesen, deswegen meine Bitte: Wenn Sie Impfdosen übrig haben sollten, würde ich mich sehr freuen, wenn Sie mich kurzfristig berücksichtigen würden. Ich kann in einer knappen Stunde in Ihrer Praxis sein. Welcher Impfstoff ist mir auch egal. Mein Name ist Robert Hofmann, ich bin 34 Jahre alt und, so weit ich weiß, zu gesund für eine Priorisierung. Sie können mich über diese E-Mail-Adresse erreichen oder unter (hier stand meine Telefonnummer, die ich nur ungern teilen will). Wenn Sie weitere Informationen benötigen - immer gern. Danke und allerbeste Grüße Robert Hofmann"

Die E-Mail-Adressen der Hausärzte habe ich von deren Webseiten. Eine gute Übersicht über Hausärzte findet ihr auf den Portalen, über die ihr auch Arzttermine online buchen könnt. Ich sammle also 22 E-Mail-Adressen, die ich alle in den BCC meiner Mail kopierte und drücke auf "Send".

Um 15.12 Uhr, 13 Minuten später erhalte ich folgende Antwort: "Guten Tag, wenn Sie möchten kommen Sie heute bis 17:00 in die Sprechstunde zur Impfung. Viele Grüße".

Ich putze mir also die Zähne, ziehe mir eine lange Unterhose, eine Hose und einen Pulli an, setze mich aufs Fahrrad und ärgere mich, dass ich so dick angezogen bin. 

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In der Praxis hat man nicht auf mich gewartet. Sie ist voll. Lange war ich nicht mehr mit so vielen Menschen in einem Raum. Die meisten Patientinnen und Patienten, das kann ich aus ihren knappen Gesprächen mit den Sprechstundenhilfen raushören, sind aus dem gleichen Grund dort wie ich. 

Zehn Minuten im Warteraum bis zum "Herr Hofmann bitte in Labor 1", fünf Minuten warten in Labor 1. Dann eine Unterschrift unter ein ungelesenes Dokument, mit dem ich der Impfung zustimme und zack, habe ich AstraZeneca im Arm. Ein Aufkleber, ein Stempel und eine Unterschrift in den Impfpass, einen Termin für die zweite Impfung am 9. Juli und ich bin fertig, zumindest fast. 

Die Arzthelferin, die mir die Spritze gegeben hat, während ich unauffällig weggeguckt habe, um mich nicht als Weichei zu outen, das nicht mitansehen kann, wie spitzes Metall in seinen Körper gestoßen wird, fragt beiläufig, ob ich denn bereits über die Nebenwirkungen aufgeklärt worden sei. Wurde ich nicht.

Die Aufklärung hätte eigentlich vor der Impfung stattfinden sollen, wie sich die Ärztin entschuldigt, die bald reinkommt, um das nachzuholen. Aber das ist okay für mich. Ich hätte die Impfung ja doch genommen, die Nebenwirkungen kenne ich aus der negativen Presse. Ich will einfach nur meine Freiheit. Hirnthrombosen seien sehr unwahrscheinlich aber möglich, sagt sie. Gliederschmerzen und Grippesymptome seien sehr wahrscheinlich. Danke und auf Wiedersehen.

Als ich die Praxis verlasse, ist es Viertel vor fünf, immer noch sonnig. Zwischen meiner Mail und der Impfung lagen eine Stunde und fünfundvierzig Minuten. In meinem Postfach liegen derweil weitere Mails, in denen Ärztinnen und Ärzte versprechen, mich auf ihre Wartelisten zu setzen. Wieder zu Hause kommt dann ein Anruf von einer weiteren Praxis, es seien Impfdosen übrig, ich könne jetzt vorbeikommen. 

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