Regel eins des modernen Onlinejournalismus: Leg dich nicht mit Verschwörungstheoretikern an. Denn auch wenn man davon ausgehen kann, dass diese Spezies Mensch allgemein in der Unterzahl ist, hat sie doch im Internet eine wortgewaltige Macht entwickelt. Oder um es nach Richard Nixon zu sagen: Die schweigende Mehrheit hält halt auch im Netz die Fresse. Die lautstarke Minderheit dagegen trollt und hatet und sieht eh nur, was Mainstream-Medien, die durch die Bank unter amerikanischer Kontrolle sind (wie eh alles und jeder in diese unfreien Republik—bis auf die lautstarke Minderheit natürlich) so den ganzen Tag an Unwahrheiten verzapft, um das Volk zu blenden und verdummen zu lassen. Denn Dumme lassen sich leichter beherrschen.
Keine Ahnung, ob VICE schon zu den Mainstream-Medien gezählt wird (ich vermute, ja), sollte dem so sein, gehöre ich also dem weltumspannenden Mainstream-Medien-Netzwerk an, das direkt von Barack Obama befehligt wird. Obwohl Obama vermutlich auch nur eine Marionette ist, die von irgendwelchen Menschen im Hintergrund installiert wurde und rein gar nichts selbst entscheidet oder zu sagen hat. Insofern werde ich eben doch nicht von Obama instruiert, sondern von den Männern in den schwarzen Anzügen, mit den unscheinbaren Gesichtern, die die Welt in ihrem festen Griff haben.
Videos by VICE
Worauf ich hinaus will: Ich habe eigentlich keinen Bock, mich mit diesem Thema zu beschäftigen. Aber Xavier Naidoo. Der hat richtig Bock. So sehr, dass er einfach nicht aufhören kann.
Da war dieser bereits nach wenigen Tagen legendäre Auftritt bei einer sogenannten Montagsmahnwache an einem Freitag im August (fragt mich nicht). Danach der große Aufschrei, nachdem offenbar Spiegel Online durch unseren VICE-Artikel auf das Thema aufmerksam geworden ist. Nachdem also erst der VICE-Text und dann der Spiegel Online-Text ins Visier der Anhänger Xavier Naidoos (oder einfach nur der Anhänger diverser Verschwörungstheorien) gelangt ist, rollte die Aufmerksamkeitswelle durchs Netz. Vermutlich dachte sich ein großer Anteil der schweigenden Mehrheit, dass Xavier Naidoo ein provozierender Verwirrter ist, der irgendwo zwischen rechtem Gedankengut und Wahrheitsprediger surft. Was vermutlich auch stimmt. Allerdings wirkt die schweigende Mehrheit im Netz klein gegen die Schreihälse, die die Kommentarfunktionen unter den Artikel trollen. Nehmt euch einfach mal ein wenig Zeit, um die Kommentare unter diesem Textoder diesem Text zu lesen. Mehr muss man dazu eigentlich gar nicht sagen.
Außer natürlich Xavier selbst, der fühlt sich durch diese Welle der Sympathiebekundungen aus eher zwielichtigen Lagern des Internets nämlich massiv in seiner Weltanschauung bestätigt, statt zu beginnen, sich mal selbst zu hinterfragen. Solche Videos—allein die Arbeit, die Menschen darein stecken—sollten eigentlich Warnung genug sein.
Und wie reagiert der Xavier? Er gießt schön Öl ins Feuer. Xavier Naidoo nennt sich jetzt Straßenunterhaltungsdienst und macht Propagandamusik—man muss die Möglichkeiten nutzen, die einem zur Verfügung stehen. In seinem Song „Die Wahrheit“ singt er also nun über die Wahrheit, die die Mehrheit eben noch nicht kennt.
Wir erfahren also:
„Die Wahrheit ist ein rotes Tuch, Blutrot wie ein rotes Buch.“
Keine Ahnung, was das bedeutet soll, aber zumindest reimt es sich schon mal. Nach diesem Prinzip geht es dann auch weiter, als Xavier über das höchste Gut, Freiheit, ääh, rappt:
„…Freiheit ist Frieden, ist Leben. Mein Leben hat sich so ergeben, und ich kann diesen Herausforderungen begegnen.“
Inhaltlich erschließt sich noch immer rein gar nichts (Leben hat sich ergeben? Und von welchen Herausforderungen spricht Xavier?), aber zumindest reimt sich alles. Super.
„Da bin ich wie mein Hund, der sich mit viel größeren Hunden anlegt, aber nie ohne Grund.“
Aha.
In der zweiten Strophe wird’s dann endlich mal konkret. Gar nicht mal so zu Unrecht greift Xavier Naidoo den deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck an, wirft ihm Kriegstreiberei vor und empfiehlt ihm, sich für Freiheit zu engagieren.
„Freiheit auf der Fahne und Krieg in den Taschen.“
Man kann unterschiedliche Meinungen zu Gaucks Politik haben, genau das sollte in der Demokratie möglich sein. Allerdings hat das wenig mit der großen vom amerikanischen Geheimdienst systematisch verschleierten Wahrheit zu tun. Ehrlich.
Im letzten Teil des Songs beginnt Xavier eine Ansprache, die sich direkt als Statement gegenüber den Medien liest: „Reichsbürger—da bin ich, glaub’ ich, ein bisschen zu jung dafür. Ich seh’ mich, glaub’ ich, am ehesten als libertären, gläubigen Menschen. Libertär, das kann man nachschlagen, Rothbard hat das definiert und es gibt ein Buch von Oliver Janich, das heißt: „Vereinigte Staaten von Europa“—lest mal nach, so seh ich’s auch.“
So ist das also mit der Wahrheit. Wir sind zwar ohne jenes Buch gelesen zu haben, keinen Schritt weiter, aber wir nehmen es uns als nächste Urlaubslektüre vor. Versprochen. Bis dahin lesen wir lieber Kommentare unter Xavier Naidoos Videos und Facebook-Posts:
Das sehen wir ganz genauso.
Wir würden uns dieser Aussage gern anschließen, aber leider wissen wir nicht, von welcher Wahrheit die Rede ist.
Nur was verstehen? Wir verstehen nicht ganz.
Die bittere Pille ist wohl eher so eine Art Placebo, in die Menschen eine Wahrheit interpretieren, die gar nicht existiert. Aber: Bleib wie du bist, Xavier!
„Je verzweifelter der Spiegel und VICE (sic!) gegen Leute wie mich (sic!) und Xavier schießen…“
So, der Zerfleischungsprozess innerhalb der Bewegung scheint zu beginnen. Stellt schon mal das Popcorn kalt.
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