Richtig lächerlich was die Presse da mit Xavier abzieht. Immer wenn ein Artist nicht in euer Klischee passt, wollt ihr…
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Als am letzten Donnerstag der NDR die Nachricht verkündete, dass Xavier Naidoo Deutschland beim Eurovision Song Contest vertreten werde—ohne Vorauswahl, ohne Diskussion—waren die Reaktionen im Internet heftig. Schließlich ist Xavier sehr umstritten, nicht etwa aufgrund seiner massentauglichen Musik, sondern aufgrund seiner umstrittenen Aussagen, Auftritte und Textzeilen. Als am Samstag die ARD ihre Entscheidung wieder zurückzog und ankündigte, Xavier wegen der extremen Gegenreaktion doch nicht nach Stockholm zu schicken, waren die Reaktionen nicht weniger heftig. Nur meldete sich diesmal ein anderes Lager.
Mehrere deutsche Comedians wie Michael Mittermeier, Atze Schröder und Bülent Ceylan, diverse deutsche Rapper wie Fler, Massiv, PA Sports und Celo & Abdi sowie Schauspieler Til Schweiger teilten Facebook ihre Meinung zu den ganzen Geschehnissen mit. Das, was in der Presse passiert, wäre „die billigste Form von widerlicher Meinungsmache“, würde deutschlandweit zu einem „Klima der Hetze“ führen und wäre sogar eine „Form von Terrorismus“. Atze Schröder fügte noch hinzu, dass „der Mob“ jetzt gewonnen hätte, was „wirklich traurig“ sei.
Gleichzeitig erschien ein Kommentar „Germany zero points“ von Jan Fedders auf eurovision.de, in dem er gleich im im ersten Absatz anklagte, dass „die Diskussion im Netz sogar stärker als bei den Terroranschläge von Paris“ geführt werde und fragte alle Kritiker, ob das nicht unangemessen wäre.
Es wird mit einigen Vorwürfen um sich geworfen, die allesamt mit einer Rhetorik geführt werden, die ungemein nach der „Lügenpresse“-Argumentation klingt. Offenbar wollen hier ein paar Menschen ihren Freund verteidigen, was auch ihr gutes Recht ist. Aber die Vorwürfe und besonders die Argumente, die angebracht werden, sind dann leider eher fragwürdig und verfehlen vollkommen, worum es dem aufgebrachten „Mob“ im Netz überhaupt ging.
Diese Argumente, die von der deutschen Comedy-Elite, Til Schweiger und ein paar Rappern angebracht werden, folgen alle dem gleichen Muster: Xavier sei ein guter Mensch, sie kennen ihn persönlich, die Medien hetzen grundlos, da sie laut Massiv „nie zufrieden und stolz auf eine Person sein“ können. Xavier wolle nur Leute vom richtigen Weg überzeugen (Bülent Ceylan), und ja, es gibt ein paar Zitate („wow, immerhin 5“), aber die werden „willkürlich aus verschiedenen Jahren und jeweils aus jeglichem Zusammenhang gerissen“. Der Konsens ist immer: Sie kennen Xavier und der wäre nicht homophob, nicht rassistisch, nicht antisemitisch.
… we are still Alive & Swingin! Hatte gestern einen wunderbaren sehr langen Tag zusammen mit meinen guten Freunden…
Michael Mittermeier Friday, November 20, 2015
Nun, wir kennen Xavier nicht persönlich. Dennoch ist es der Presse und auch jeder Person, die im Internet ihre Meinung kundtun möchte, erlaubt, eine öffentliche Person aufgrund seiner öffentlichen Auftritte und Aussagen zu hinterfragen. Wenn eine öffentliche Person seine Popularität dafür nutzt, „Wahrheiten zu verkünden“, muss er auch damit klarkommen, dass eben wegen seiner Popularität diese Wahrheiten infrage gestellt werden. Auch seine Freunde müssen damit klarkommen. Niemand spricht Xavier ab, eine nette Person zu sein und mit Sicherheit kann er auch ein guter Freund sein, wenn er das möchte.
Mit Sicherheit können aber auch der nette Opa, der nie ganz verkraftet hat, dass Hitler verteufelt wurde, die harmlose Arbeitskollegin, die Schwarze unter Generalverdacht stellt, und der liebenswerte Onkel auf der Straße in Dresden, der einfach nur Angst davor hat, dass die Moslems ihm seine Rente wegnehmen, gute Freunde sein. Wir möchten Xavier nicht mit diesen Menschen gleichstellen, sondern lediglich darauf hinweisen, worum es in der Diskussion eigentlich geht. Die meisten Menschen, die Xavier treffen und mit ihm nicht über Politik und die Deutschland GmbH diskutieren, fänden ihn vermutlich auch nett und sympathisch. Nur geht es hier nicht um einen Kaffeeklatsch, in dem derjenige, der die nettesten christlichen Worte hat, gewinnt, sondern um eine internationale Veranstaltung, die, auch wenn das bisweilen bestritten wird, durchaus ein Politikum ist.
Selbst wenn der Eurovision Songcontest in der Presse und auf Twitter schon seit Jahren jegliche Relevanz abgesprochen wird und seit gefühlten Ewigkeiten kein relevanter deutscher Musiker mehr teilgenommen hat, ist das noch lange kein Grund oder eine Rechtfertigung dafür, die fragwürdigste Person auf die Bühne stellen, die Musikdeutschland so zu bieten hat. Hier geht es schlicht und einfach um das Signal, das gesendet wird. Worüber werden alle europäischen Medien berichten, wenn sie sich zu dem deutschen Kandidaten äußern? Darüber, dass er mal in „Adriano“ mitgesungen hat? Wohl kaum, dafür ist das Reichsbürger-Kapitel dann doch zu spannend. Michael Mittermeiers Argument, „all die gesamtteilnehmerischen grottenschlechten bis mittelmäßigen Musikbeiträge in den letzten Jahren haben dem ESC mehr geschadet“ als Xavier das getan hätte, verteidigt genau wie die anderen Argumente etwas, das gar nicht in der Diskussion steht: seine Musik.
In Zeiten von Mattuseks, Bürgerparteien und Pegidas, in denen nichts wichtiger ist als Toleranz und Aufklärung, ist es ohne Frage eine unreflektierte Entscheidung, jemanden in den Mittelpunkt zu drängen, der sehr fragwürdige Ansichten hat, gern unbegründete Welttheorien verbreitet und vor eben jenen rechtsnahen Bürgern spricht, die Angst schüren und das Klima im Land verpesten. Dass noch dazu so eine Entscheidung von der ARD getroffen wird, der scheinbaren Instanz journalistischer Integrität in Deutschland, die einen Bildungsauftrag hat und eben nicht RTL oder VOX ist, bei denen es ausschließlich um Quoten geht, sollte genug Grund sein, das lauthals anzweifeln zu dürfen.
Dass die Presse jetzt also diese „wow, immerhin 5“ Zitate auseinandernimmt und aus dem Kontext reißt, ist schlichtweg nicht richtig. Nur weil Xavier Naidoo nach einem offenbar nicht unabsichtlichen Auftritt oder einem Interview, in dem die Moderatoren alles dafür geben, ihn vor sich selbst zu schützen, sich hier und da mal distanziert, macht das seine Taten und Aussagen nicht ungeschehen. Zumal man, liest man sich das ein oder andere Interview mit ihm durch, schnell erkennen kann, dass es sich nicht um einmaligen kleine Ausrutscher handelt, nicht um zweideutige Lyrics, die sich im der Kunstfreiheit rechtfertigen lassen, nicht um Nichtigkeiten, die unter den Teppich gekehrt werden können. Naidoo ist seit Jahren fest davon überzeugt, dass Deutschland besetzt ist, spricht auf rechtsnahen Demonstrationen wie der Montagsdemo oder bei den „Reichsbürgern”, hat sehr fragwürdige Textzeilen, die alle Antisemiten lieben würden und hat—nicht zu vergessen—bereits Pädophile mit Schwulen gleichgesetzt.
Nichts davon könnte in egal welchem Zusammenhang plötzlich Sinn ergeben und wäre okay. Das einzige, was hier wirklich unangemessen ist, ist der Vergleich zum Pariser Terror. Die und der ESC-Shitstorm haben nämlich genauso wenig miteinander zu tun wie die Flüchtlingspolitik von Merkel mit den Attentaten.