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Ritalin macht dich zum Roboter

Ritalin räumt dein Gehirn auf. Was vorher ein unordentlicher Haufen war, ist plötzlich in Schubladen. Das macht dich zu einem anderen Menschen.
Foto von VICE Media

ADHS ist nicht so schlimm, wie es immer heißt. Ich würde mich selbst jedoch nicht als klassischen Hyperaktivitätsfall bezeichnen—die meiste Zeit bin ich eher ruhig und ausgeglichen, aber langweilige Menschen langweilen mich nun mal einfach und wenn jemand stundenlang spricht, ohne etwas zu sagen, ist das für mich eben ein Grund, eine Unterhaltung zu beenden. In manchen Situationen geht das aber nicht so gut und das sind dann jene Momente, die für mich ein bisschen schwieriger zu handlen sind—Schule zum Beispiel. Wenn man gezwungen ist, 50 Minuten einem frustrierten Pädagogen dabei zuzuhören, wie er zum tausendsten Mal über ein Thema monologisiert, das ihn zu Beginn seiner Studienzeit eventuell noch interessiert hat, platzen einfach meine Nähte.

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Heute bin ich mit Schule und Studium fertig und nehme kein Ritalin mehr. Dass das geht, hätten früher einige Menschen nicht geglaubt—mich eingeschlossen. Aber es geht.

Nachdem ich schon in der Volksschule immer wieder disziplinäre Schwierigkeiten wegen meiner Konzentrationsschwäche hatte, kam es im Gymnasium so weit, dass ich schon in der ersten Klasse kurz vor dem Schulverweis stand. Auf einen Verdacht meiner Mutter hin und dem darauffolgenden Besuch bei einer Ärztin und Kinderpsychologin, die auf ADHS spezialisiert war, wurde bei mir genau das diagnostiziert und daraufhin Ritalin und später Concerta verschrieben.

Nach dem Absetzen der Amphetamine hatte ich lange Zeit die Schnauze so voll von Drogen, dass ich einige Jahre nicht einmal mehr Alkohol oder andere Dinge, die im Jugendalter zumindest fast selbstverständlich sind, angerührt habe.

Die disziplinären Auffälligkeiten gingen zurück, die Noten besserten sich teilweise. Aber voreingenommene Lehrer mit besseren Leistungen positiv zu beeindrucken ist nicht leicht und so blieben manche bei ihrem Bild, das sie von mir als Störenfried hatten, sitzen und behandelten mich gleich wie zuvor. Für richtige Antworten zurechtgewiesen zu werden und auf völlig zufriedenstellende Tests negative Beurteilungen einzusammeln, war also trotz der Medikamente an der Tagesordnung.

Ich selbst war aber ein völlig anderer Mensch. Normalerweise konnte ich mich nicht lange auf eine Sache konzentrieren—und kann es auch heute noch nicht ohne abzuschweifen. Wenn ich also jemandem bei einem fünzigminütigen Monolog zuhören muss, kann ich nicht permanent Augenkontakt halten, ohne nervös zu werden. Wenn ich etwa zeichne, kann ich mich perfekt nebenher auf den Vortrag konzentrieren und mir überdurchschnittlich gut Dinge merken. Wenn ich nebenher zum Beispiel nicht zeichnen darf, schweifen meine Gedanken teilweise so weit ab, dass ich früher von ganzen Schultagen abends keine blasse Erinnerung mehr hatte und ich trotz meiner Notizen zum Beispiel nicht mehr wusste, dass ich Hausaufgaben bekommen hatte.

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Manche Lehrer konnten sich nach wirklich unzähligen Sprechstunden mit meiner Mutter—ich denke, zeitweise hat sie mehr mit meinen Lehrern gesprochen als ich—damit abfinden, dass ich im Unterricht zeichne, dafür die Klappe halte und meine Noten sich in einem zumindest akzeptablen Bereich befanden. Andere wollten das nicht und ich wurde in ihrem Unterricht zu einem besserwisserischen Quälgeist. Es haben mich sogar Lehrer gebeten, am Tag der offenen Tür nicht in in die Schule zu kommen, weil das dem Bild der Schule höchstens schaden könnte.

Ritalin hat mein Gehirn so verändert, dass ich nicht mehr widersprechen konnte und mir nicht einmal mehr Antworten eingefallen sind. Ich war in einem isolierten Arbeitsmodus. Fast separiert von meinem auf Droge ständig strebsamen Körper, konnte ich mir selbst dabei zusehen, wie ich auswendig lernte. Verstanden hab ich in dieser Zeit, denke ich, weniger, dafür aber ganze Passagen lateinischer Texte auswendig gelernt, um sie copy-and-paste-mäßig eine Woche später bei der Schularbeit wieder auszuspucken.

Foto via: ftzdomino | Flickr | CC

Meine ganze Denkstruktur war so verändert, dass ich, wenn ich fünf Minuten etwas anderes machte—etwa zu zeichnen oder zu schnitzen versuchte—, so ins Schwitzen kam und mich so unwohl fühlte, dass ich in den Pausen anfing, Schüler auf dem Hof zu zählen, mathematisch zu teilen und ähnliches. Wenn ich dann nachmittags heim kam und das Präparat zu wirken aufhörte, war ich meistens nervlich so fertig, dass ich zu kaum etwas im Stande war und zum Runterkommen nicht mehr zeichnen konnte.

Manchmal lag ich einfach nur eine Stunde auf dem Sofa, um nichts zu tun. Normalerweise könnte ich das niemals, aber ich war so fertig, mir den ganzen Vormittag dabei zuzusehen, wie ich Dinge tue, die ich ohne Medikamente nicht tun würde, dass ich einfach zu nichts anderem in der Lage war. Ich war immer schon ein sehr kreativer Mensch. Aber nicht konzentriert zu arbeiten, stürzte mich auf Ritalin in Unwohlsein und ein Gefühl von Sinn- und Wertlosigkeit.

Ritalin räumt dein Gehirn auf. Zu meiner Mutter habe ich damals gesagt, dass mein Gehirn wie ein unaufgeräumtes Zimmer aussieht. Alle Schubladen und Schränke sind offen, um jederzeit auf alles Zugriff zu haben. Auf Ritalin ist dieses Zummer auf einmal aufgeräumt. Die Schubladen sind beschriftet und geschlossen, man findet Dinge leichter, aber kann sie nur schwer verknüpfen. Da gibt es dann einfach ein Thema, das geöffnet wird und wenn ich fertig bin, mach ich es wieder zu.

Um den Effekt zu schmälern, wurde ich nach ein paar Jahren auf das nicht ganz so starke, dafür länger wirksame Concerta umgestellt, von dem ich Bradykardie und einen arythmischen Puls bekam, weswegen es langfristig wieder abgesetzt wurde. Die Schule habe ich, zur Verwunderung einiger Lehrer, auch so geschafft. Nach dem Absetzen der Amphetamine hatte ich lange Zeit die Schnauze so voll von Drogen, dass ich einige Jahre nicht einmal mehr Alkohol oder andere Dinge, die im Jugendalter zumindest fast selbstverständlich sind, angerührt habe.

Für mich war die „Behandlung" mit Ritalin der Tod jeglicher Kreativität und eine sehr unangenehme Erfahrung. Dass es unter Umständen Menschen durch den Alltag helfen kann, denke ich schon. Ein vorschnelles Verschreiben hilft aber allen Beteiligten nicht. Einen Minderjährigen jeden Tag auf eine geringe Dosis Speed zu setzen um den Alltag bewältigen zu können, ist halt oft auch nicht gerade notwendig.