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Popkultur

​Dinge, die wir vom ,Tatort‘ über Großindustrielle gelernt haben

Wenn man superreich ist, wird man niedergeschlagen, seditiert und zu Hannibal Lecter. Und die Wiener Polizei ist natürlich komplett unfähig.
Alle Bilder Screenshots von Tatort, Episode „Gier“

Ich empfinde Tatort als den kulturellen Bodensatz aller Krimiserien und—wie in einer anderen Rezension über einen Alpendetektiv bereits erwähnt—gerade den österreichischen Ableger als das schlimmste Beispiel für die großen Probleme dieser festgefahrenen, altbackenen TV-Reihe.

Ich habe von einigen Leuten gehört, dass sie den Österreich- Tatort immer überspringen. Vielleicht liegt es an den miesen Drehbüchern oder an den unglaublich peinlichen Schauspielern, wer kann das schon genau sagen.

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Ich habe mir die Episode „Gier" von Robert Dornhelm—meine generelle Tatort-Abneigung runterschluckend—genauer angeschaut. Ich muss zugeben, dass bei der Geschichte rund um einen Chemieunfall und verrückt intrigante Großindustrielle erkennbar ein erfahrener, alter Regie-Hase am Werk war und aus den öden Kommissaren sowie dem sehr wackeligen Drehbuch wirklich organische, coole Szenen herausgeholt hat.

Doch die positiven Eindrücke zerlaufen schnell, wenn übertrieben schnelle Kamerafahrten vor einem Steh-Café passieren, um so etwas wie Spannung zu suggerieren, und mit unnötigen Split-Screen-Sequenzen verspielte Experimente gemacht werden. Kein wirklich progressives visuelles Stilmittel—erst recht nicht wenige Minuten nach dem steinalten Intro von Tatort, das genau dasselbe macht. Musik, wie aus Müllers Büro mit 80er Gitarrensolos, und überstilisierte Flashbacks mit überbelichteten Goldstich, nehme ich danach schulterzuckend einfach hin. Das ist wahrscheinlich irgendwie österreichischer Stil oder so, denke ich mir.

Vielleicht meint Regisseur Dornhelm das alles ja ironisch—könnte man sich jedenfalls einreden. Hauptsache Barbara Karlich hat einen Cameo-Auftritt als beherzte Ärztin und ohne die kleinste narrative Relevanz. Aber diese spielt beim Tatort ohnehin meistens keine so wichtige Rolle. Ich habe jedenfalls einiges über die privilegierte Konzernelite unseres Landes und die Wiener Polizeiarbeit gelernt.

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Die Mordkomission übernimmt jeden Fall, solange man ihr ein schlechtes Gewissen macht

Reden wir mal nicht davon, dass die Kommissare Bibi und Moritz die ganze Folge über nur Mist bauen und entgegen klassischer Krimi-Tropen ganz furchtbare investigative Arbeit leisten. Selbst dann bleibt leider immer noch, dass sich hier zwei Beamte der Mordkommission zu Beginn von ihrem Kollegen—gespielt von Hubsi Kramar—überreden lassen, einen Arbeitsunfall seiner Patentochter in einer Fabrik aufzuklären.

So schlendern die zwei Beamten der Mordkommission in eine Chemiefabrik, die übrigens am Weg zum Flughafen vor der OMV steht, und überprüfen einen Fall, der rein gar nichts mit ihrem Fachbereich oder ihrer Expertise zu tun hat, nur weil ein Freund gerne wüsste, was da genau passiert ist. Sie wurden von ihm schließlich auf eine Feier eingeladen, haben seine Mama kennengelernt und hätten ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihm nicht die Freude machen würden—auch wenn das komplett unprofessionell ist und bis zum Ende keinen berechtigten Anlass besteht.

Ich weiß nicht, was mich mehr beunruhigt—dass der Autor anscheinend keine Ahnung von Polizeiarbeit hat oder dass es in Österreich tatsächlich genau so zugehen könnte.

Dafür habe ich aber von Flusssäure erfahren und warum die anscheinend schwer tödlich ist—sie ist stark wie Alien-Speichel und entzieht dem Körper das Kalzium. Die Anfangsszene unter der chemischen Dusche, bei der sich die Todgeweihte im Zuge der Notfallmaßnahmen ihrer schweren Verätzung die Kleider vom Leib reisst, war tatsächlich sehr spannend und erschreckend inszeniert.

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Aber die nur sehr halbherzig agierenden Kommissare lassen sich in Folge des weiteren Falls komplett verarschen, beißen bei allen von den verbrecherischen Drahtziehern gelegten Ködern an und zeigen nur einmal kurz einen Funken von detektivischer Intelligenz beim Spazieren am Donaukanal. Und das kommt völlig unvermittelt—direkt nachdem sie jemanden unschuldig eingesperrt haben. Zum Schluss kommt raus, dass diese überaus schlechte Polizeiarbeit übrigens zwei Morde zur Folge hatte.

Superreiche werden von der Polizei endlich wie gewaltbereite Massenmörder behandelt

Aufgrund von Politverdrossenheit, Hypo, Grasser und Co. muss sich Österreich offensichtlich an der Oberschicht abreagieren. So dürfen Schwerreiche—wie die Figur der Wendler-Ehefrau, die unter Verdacht steht, einen Textilkonzernchef umgebracht zu haben—beim Verhör zwar kurz den Kommissar ohrfeigen, aber verlieren gleich in der nächsten Szene plötzlich ohne Vorwarnung jegliche Menschenrechte.

Der einsilbige Millionenanwalt sitzt bloß nutzlos daneben, als seine Mandantin komplett ohne Geständnis oder Beweise von der Polizei niedergerungen und mit Spritzen sediert wird.

Der irre Ehemann von der Wendler, der eigentliche Kopf des Textilimperiums, wurde von der niedergespritzten Frau vor vielen Jahren ins Gefängnis gebracht, da sie ungestört Firmengeld unterschlagen wollte—deshalb der Titel „Gier", duh. Auch bei diesem legeren Plan hat eine Falschaussage gereicht, um einen mächtigen Geschäftsmann unschuldig in die Geschlossene zu verfrachten.

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Was ist aus unseren Superreichen geworden, die ihre Haftstrafen über Jahre hinweg im Verschleißverfahren minimieren und hinauszzögern, bis nur noch eine Geldstrafe und erhobene Finger übrig bleiben? Wo bleibt Österreichs Freunderlwirtschaft und Korruption? In dieser Folge gilt: Je reicher, desto mehr Polizeiknüppel und unfaires Verfahren.

Keine Ahnung, wie man diese unverhältnismäßige Bestrafung von jedem, der reich ist, verstehen soll. Ist das alles Befriedigung unseres Wunschdenkens? Brot und Spiele für den Pöbel? Oder werden einflussreiche, steinreiche Konzernchefs in Wien einfach wirklich schneller und mit mehr Leidenschaft in Gefängniszellen geworfen als andere Menschen?

Großindustrielle sind verrückt, affektiert und Drama-Queens

Bin ich rassistisch, wenn mich der indische Diener in diesem Tatort an den Typen von der Telering-Werbung erinnert? Die verwöhnte abgehobene Konzernchefin Wendler hat also nicht nur eine Art Sklaven, der ihr Biotop mit einem Staubsauger säubert, sondern auch einen sehr absurden Fetisch gegenüber Handfeuerwaffen. Man verlässt sich auf die verallgemeinernde Prämisse: „Reiche sind doch immer irgendwie komisch, oder?"

Das ganze Dominanzgehabe dieser Frau mit Pistole—bei dem man nie genau versteht, woher genau die Erregung kommt, auch weil der Liebhaber keine Ahnung von der Art des Liebesspiels zu haben scheint, für das aber offenbar extra echte Props gekauft wurden—und ihre Hintergründe werden eigentlich in der gesamten Folge nicht wirklich erklärt. Das Ganze war wohl doch nur eine plumpe, idiotensichere Vorgehensweise, um eine Tatwaffe in die Geschichte zu quetschen.

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Der eingesperrte Wendler, der aussieht wie Thomas Brezina aus einer fiesen, altvorderen Parallelwelt, hat in einer Haftanstalt für abnorme Rechtsbrecher wohl zu viel Hannibal geschaut. Ich warte nur darauf, dass er mit geschlossenen Augen schnüffelnd Krassnitzers Parfum errät.

Aber Wendlers übertrieben affektierter Psychopathen-Gestus ist auch kein Wunder, da die psychiatrische Einrichtung mehr an eine Irrenanstalt aus einem Terry Gilliam-Film der 90er erinnert, als an den modernen Strafvollzug. Es fehlen nur ein paar verzweifelte Schreie durch Gitterböden und ein Typ, der mit leerem Blick einen blutigen Puppenkopf kämmt.

Besonders peinlich ist die letzte Szene. Nachdem Ehemann Wendler seine Strafe abgesessen und direkt danach seine Frau stranguliert hat, wirft er die Krawatte, die er für die Tat verwendet hatte, bei der Trauerfeier in das geöffnete Grab der anfangs bei dem Unfall getöteten Frau. Das ist die vom Chemiewerk, die wegen ihrer billig gemachten Schutzkleidung gestorben ist, für die wiederum die Wendler und ihre Schwarzeinsparungen beim Fabrikanten verantwortlich waren.

Ich denke, diese letzte Szene soll irgendwie das ausgleichende Karma symbolisieren. Die ganze Sache hat nur ein logisches Problem: Superbösewicht Brezina stand in absolut keiner Beziehung zu der Toten im Sarg. Warum geht er zu dieser Beerdigung? Es ergibt noch nicht mal Sinn, dass er überhaupt von der Beerdigung weiß! Es sei denn, das Ereignis wäre ihm auf seinem inneren Drama-Radar angezeigt worden oder er wollte uns einfach ein spektakuläres Ende für diesen sonst wirklich nicht sehr spektakulären Tatort schenken. Danke dafür.

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Und weil das für das Produktionsteam anscheinend noch nicht schlimm genug ist, wird am Ende auch die letzte Chance auf ein kleines, nettes Easter Egg, das man unter dem Hashtag Tatort im sozialen Netz diskutieren hätte können, damit kaputtgemacht, dass wir ein Standbild von einem Blumenstrauß mit herumgewickelter Krawatte bekommen. Unnötig zu sagen, dass der Blumenstrauß unscharf und die Krawatte als einziges Objekt dieser Einstellung im Fokus war.

Ziemlich peinlich, das alles. Natürlich könnten an diesem letzten Todesstoß auch die Produzenten schuld sein, weil das geldgebende Filmvolk dafür bekannt ist, uns unterbelichteten Zuschauern die Auflösung eines Krimis gerne mit dem Vorschlaghammer in die Retina zu hämmern.

Aber selbst dann darf man sich wohl fragen, ob es nicht irgendwie peinlich ist, dass eine Krimisendung, die aus 90 Minuten passiver Ermittlungsgleichgütigkeit besteht, nur durch die Nahaufnahme der Tatwaffe noch so etwas Ähnliches wie eine Auflösung bekommt. Und ich dachte anfangs wirklich noch, dass ich positiv über diese Folge schreiben würde …

Folgt Josef und seinem weiteren Leben ohne Tatort auf Twitter: @theZeffo


Alle Bilder Screenshots von Tatort, Episode „Gier"