FYI.

This story is over 5 years old.

News

Nein, nein und nochmals nein

Das Schweizer Stimmvolk lehnte am vergangenen Sonntag alle drei Abstimmungsvorlagen deutlich ab. Der pathologische Glaube an den alles von alleine regelnden Markt hat also wieder einmal obsiegt. Das ist wohl doch nicht ganz so gut, wie wir letzte Woche...
Foto: Juso Schweiz 

Letztes Wochenende war in der Schweiz Abstimmung, alle drei Volksinitiativen sind mehr oder weniger hochkant durchgerasselt. Das kam vielleicht nicht besonders überraschend, ist aber teilweise recht bedeutungsschwanger:

1:12 Initiative: Nein

Topverdiener können aufatmen; Sie dürfen weiterhin mehr als das Zwölffache ihres tiefst bezahlten Angestellten „verdienen". Der pathologische Glaube an den alles von alleine regelnden Markt hat in der liberalen Schweiz wieder einmal obsiegt. Die 1:12 Initiative, welche der sich stetig ausdehnenden Einkommensschere einen linken Kinnhaken verpasst hätte, wurde mit 2/3 der Stimmen abgelehnt.

Anzeige

Letzte Woche parodierten wir die 1:12 Initiative mit einem—sagen wir mal nicht gerade herausragend sachlich geschriebenen Text. In dem kontroversen Artikel Aufstand der Kindergartenkommunisten wurde die 1:12 Initiative als Max Havelaar für den Mittelstand bezeichnet und der Juso Effekthascherei vorgeworfen. Ich werde nun aufzeigen weshalb Spillmannder—Autor dieses „Textes"—sich irrte und dass die 1:12 Initiative der Schweiz sehr wohl etwas brachte, auch wenn sie vom Stimmvolk abgelehnt wurde.

Zuerst einmal handelte es sich bei der 1:12 Initiative nicht um eine PR-strategische Bewirtschaftung von selbstkreierten Feindbildern, sondern um eine politische Reaktion auf ein sehr reales und ernstzunehmendes Problem; namentlich die wachsende Einkommensschere. Das durchschnittliche Lohnverhältnis innerhalb der börsenkotierten Unternehmen ist seit Beginn der 80er Jahre bis zum Krisenjahr 2007 exponentiell von 1:6 auf 1:56 angestiegen. Dieser Prozess führte zu einer schier unfassbaren Vermögenskonzentration, in der das reichste Prozent der Bevölkerung mehr Reinvermögen besitzt als alle restlichen 99% zusammen. Die Tendenz bleibt steigend.

Das reichste Prozent der Bevölkerung kann wirklich aufs Geld scheissen. Foto von Supo Foto

Eine solche Vermögensverteilung ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch pragmatisch gesehen gefährlich für den Zusammenhalt einer ohnehin schon stark fragmentierten Gesellschaft wie jener der Schweiz. Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Der Kanon, in dem die bürgerlichen Parteien diese Verteilung rechtfertigten, ist etwa gleich unreflektiert wie eintönig: Der Markt würde eine solche Ordnung halt verlangen. Der Markt … Wer zum Teufel ist eigentlich dieser „Markt", der wie ein Messias massenhaft Jünger um sich schart, die es plötzlich normal finden, dass gewisse Chefs (Vasella, Dougan und Co.) mehr als 500-mal so viel verdienen wie ihre Mitarbeiter? Führte uns nicht unlängst eine globale Finanzkrise vor Augen, was geschieht wenn man den Markt einfach wirken lässt?

Anzeige

Schaut man sich die Reaktionen der bürgerlichen Parteien auf die Finanzkrise an, könnte man meinen die Antwort wäre nein. Völlig lethargisch versanken sie allesamt von der CVP bis zur SVP in gähnender Tatenlosigkeit. Niemand aus der bürgerlichen Ecke wagte es den selbsternannten „Masters of the Universe" die Leviten zu lesen. (Es wäre schon einmal aufschlussreich, etwas Transparenz in die Parteifinanzierung hineinzubringen und zu sehen, wie es sich mit den Cashflows in der Politik so verhält, aber das ist eine andere Geschichte).

Wie auch immer, dass heute Vertreter eben dieser realitätsverweigernden Parteien öffentlich eingestehen müssen, dass es sich bei den Multimillionenbezügen von Topmanagern überhaupt um ein Problem handelt, ist ein erster Verdienst dieser Initiative. Einsicht ist ja bekanntlich der erste Schritt zur Besserung. Nur die fleischgewordene Speerspitze des Turbokapitalismus, Ruedi Noser, scheint gegen diese Einsicht immun zu sein, wie auch sonst gegenüber jeder anderen Form von Kapitalismuskritik: „Wir haben entsprechende Korrekturen vorgenommen, es sind keine weiteren Schritte notwendig."

Die fleischgewordene Speerspitze des Turbokapitalismus; Ruedi Noser (FDP). Foto von Stefan Rechsteiner

Und so war es eine Jungpartei, die als einzige Organisation in der breiten Parteienlandschaft der Schweiz die Eier hatte, den Topmanagern Paroli zu bieten und die 1:12 Initiative auf den Plan zu rufen. Unterstützt wurde die Initiative einzig von der Mutterpartei (SP) und den Grünen. Alle anderen Parteien übten sich gegenüber dem Geldadel in Duckmäusertum. Das Problem sei zwar vorhanden, aber die 1:12 Initiative würde es nicht lösen, so lautete das Grundargument der Initiativengegner. Das Gesetz wäre durch das Aufteilen einer Unternehmung in eine Produktions- und eine Managementfirma einfach zu umgehen. Eine bessere Lösung, die simpler umzusetzen wäre, konnte im Vorfeld der Abstimmung dann aber auch niemand präsentieren.

Anzeige

Und so entschied man sich für eine von der Economie Suisse finanzierten Angstkampagne: Arbeitsplätze würden verloren gehen und Steuerausfälle würden dem Sozialstaat zusetzen, Firmen würden abwandern und Investoren würden andernorts investieren. Der Kinderkommunisten-Artikel schloss sich der Kampagne an und sprach sogar von Minderheiten Hetze auf die armen Reichen. Die Kampagne war also erfolgreich.

Eine engagierte Jugend weckt Zukunftshoffnungen. Foto von Unia Zürich-Schaffhausen

Was ist also neben einem „Nein" von der 1:12 Initiative übriggeblieben? „Gar nichts!" Würden die Gegner wahrscheinlich proklamieren. Schaut man sich allerdings die Geschichte an, kann man zu einem anderen Schluss kommen. So war es 1979 die abgelehnte Initiative zum Atomausstieg, welche ein neues Umweltbewusstsein in der Gesellschaft schuf und die Ablehnung der Armeeabschaffung führte 1989 zur Einführung des pazifistischen Zivildienstes.

Hätte die Initiative vor 10 Jahren wahrscheinlich nicht einmal genügend Unterschriften zusammen bekommen, so hat gestern ein ganzer Drittel des Elektorates seinen Unmut gegenüber der wachsenden Einkommensschere Kund getan. Dies zeigt nicht nur, dass sich Haltung der Schweizer gegenüber Wirtschaftsregulierung massiv verändert hat, sondern deutet auch an, dass die Tage, in denen die Schweizer die Tätigkeiten ihrer Grosskonzernen mit einer diskreten Gleichgültigkeit tolerieren, langsam aber sicher gezählt sind.

Anzeige

Foto von Unia Zürich-Schaffhausen

Des Weiteren hatte die 1:12 Initiative eine internationale Signalwirkung, die nicht nur verschlafenes Konterfei des Juso Präsidenten, David Roth, auf BBC World News brachte, sondern auch New York Times Reporter den Fokus wieder einmal auf das beschauliche Schweizerländchen richten liessen. Anders als Spillmann behauptete, kann von einem Aufmerksamkeitsdefizit bei der Juso keine Rede sein. Diese Aufmerksamkeit kann die Jungpartei auch gut gebrauchen, denn die nächste Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation sei bereits in der Pipeline, liess David Roth gestern an einer Pressekonferenz verlauten.

Ach ja, da waren ja noch zwei andere Abstimmungen:

Nationalstrassenabgabegesetz: Nein

Dass die Erhöhung des Preises einer Autobahnvignette von 40 auf 100 Franken abgelehnt wurde, ist eigentlich selbsterklärend und bedarf keiner weiteren Ausführungen. Zur Illustration haben wir ein schönes Bild gefunden:

Alle wollen fahren, niemand will bezahlen. Foto von debildeluxe

Familieninitiative: Nein

Jaja, die SVP und ihre Mogelpackungen. Nachdem das Klagelied über Sozialschmarotzer von rechter Seite her langsam ausgeklungen ist, wollte die SVP traditionellen Familien allen Ernstes einen Steuerabzug für nicht erbrachte Leistungen ermöglichen.

Dieses Familienmodell sollte Steuerabzüge auf Ausgaben erhalten, die gar nie stattgefunden haben. Foto von Dr. Shordzi

Eine Herdprämie für Hausfrauen sozusagen. Das ist in etwa wie wenn man einem Menschen ohne Beine sagt, er solle sich ins Knie ficken. Gut hat das Stimmvolk diesen Unsinn doch noch erkannt, insbesondere da frühe Meinungsumfragen noch das Gegenteil prognostizierten.

Mehr Schweizer Politik:

Aufstand der Kindergartenkommunisten

Die Wehrpflicht ist der Witz der Woche

Mörgeli schiesst sich den goldenen Tweet