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Leyk vs. Edathy: Vor Gericht herrscht das Recht, auf Facebook die Moral

Facebook ist ein Hahnenkampf. In der Arena gehen die größten Streithähne bewaffnet mit einer fast lose gehämmerten Ausrufezeichen-Taste aufeinander los, um ein großes Ziel zu verfolgen: sich durchzusetzen.

Foto: Imago/CommonLens

Jan Böhmermann wurde gerade von einer Jury des Männermagazins GQ auf Platz 1 der Liste der deutschen Meinungsmacher 2015 gewählt. OK, Listen sind schnell erstellt und die einzelnen Platzierungen sind durch ihre undurchsichtig nachvollziehbare Positionierung ein herrliches Streitthema. Und Böhmermann selbst winkt in der jüngsten Ausgabe seiner Radio-Sendung Sanft & Sorgfältig im Bezug auf das Ranking ab: „Als Meinungsmacher sage ich Ihnen, man muss nicht so sehr auf Listen von der GQ hören. Trotzdem geiles Gefühl." Wie potent die eigene Meinung durch viele Facebook-Likes werden kann, zeigte am Wochenende allerdings auch mal wieder der durch die Fernsehsendung Berlin Tag & Nacht bekannt gewordene Digital-Schreihals Jan Leyk, dessen Fans in Böhmermanns Sendung Neo Magazin Royale auch gerne und oft von Talk-Urgestein und Kleiner-Mann-Darsteller Hans Meiser verköpert werden.

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Facebook ist ein Hahnenkampf. In der Arena gehen die größten Streithähne bewaffnet mit einer fast lose gehämmerten Ausrufezeichen-Taste aufeinander los, um ein großes Ziel zu verfolgen: sich durchzusetzen. Am Ende geht es wohl einfach darum, dem Algorithmus keine Chance mehr zu lassen, nicht in der Timeline anderer übersehen zu werden. Und man selber ertappt sich immer wieder dabei, aus gelangweiltem Interesse durch die Timeline zu scrollen und bei besonders vielen Ausrufezeichen stehen zu bleiben.

Jan Leyk ist hierzulande mit knapp 1,3 Millionen Likes einer der größten sogenannten „Meinungsmacher" auf Facebook. Er sieht es als seine Aufgabe, all das auszusprechen, was „man ja wohl noch sagen dürfen" muss. So zieht sich der Streit zwischen Leyk und dem wegen Besitzes von kinderpornografischem Material beschuldigten SPD-Politiker Sebastian Edathy in eine nicht enden wollende öffentliche Auseinandersetzungsschleife.

Kurz zur Vorgeschichte—Jan Leyk beleidigte Edathy nach Bekanntwerden der Anschuldigungen im Mai 2015 unter anderem als „perversen Bastard" und wünschte sich, Edahty solle „an jedem Ort auf diesem Planeten bespuckt und mit Steinen beworfen" werden. Daraufhin erstattete Edathy Strafanzeige.

Das ursprüngliche Posing aus dem Jahr 2015 | Screenshot: Facebook

Die Mühlen der deutschen Justiz mahlten mal wieder langsam, aber gründlich. So veröffentlichte Jan Leyk am vergangenen Wochenende das augenscheinliche Ende der vor fast einem Jahr gestellten Strafanzeige: Die Justiz entschied im Sinne des Strafrechts eine Zahlung von 6.000 Euro. Dieser Umstand hinderte Leyk aber nicht daran, seinem Lieblingskontrahenten mit Kraft seiner Facebook-Fans erneut eine digitale Backpfeife zu verpassen:

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Man könnte jetzt wie viele Facebook-Kommentatoren annehmen, dass Edathy hier von Leyk die Summe, die er selber als Strafe zahlen muss, ja eigentlich erstattet bekommt. Man könnte auch wie viele Facebook-Kommentatoren annehmen, dass eine Beleidigung für das deutsche Gericht höher wiegt als der Kauf von kinderpornografischem Material. Man könnte auch das ganze, wilde Unglück auf der Welt, welches sich durch dieses Posting mal wieder manifestiert hat, durch hasserfüllte und in alle Richtungen (Edathy, alle Pädophile, deutscher Staat) geifernde Kommentare zum Ausdruck bringen. Und dreimal darf man raten …

Dabei handelt es sich jeweils um zwei unterschiedliche paar Schuhe, die zudem nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun haben. Erstens: Edathy bekommt die 6.000 Euro von Leyk nicht, denn hier greift nicht das Zivil-, sondern das Strafrecht. Der Unterschied zwischen Zivil- und Strafrecht ist schnell erklärt: Das Zivilrecht regelt die Anspruchsforderungen, die ein Bürger an einen anderen stellt. Die von Seiten eines Gerichts bestimmte Strafe geht von einem Bürger auf den anderen über. Das Strafrecht klärt auf der anderen Seite das Verhältnis des Staates zum Bürger—Tätigkeiten, die über das Zivilrecht hinausgehen, werden also auch vom Staat bestraft. Edathy und Leyk bezahlen also parallel aus eigener Tasche die Strafe an den Staat. In Edathys Fall hat das Gericht zudem bestimmt, dass die Summe an eine Kindernothilfe gezahlt werden solle.

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Zweitens: Sebastian Edathy hat zwar für ein gesellschaftliches Brandthema, also den Klick auf den Bestellbutton von expliziten Fotografien von Minderjährigen, nur 5.000 Euro zahlen müssen—diese milde aussehende Strafe steht aber im krassen Vergleich zu der öffentlichen Ächtung, die ihm als neues Konterfei des deutschen Pädophilen von allen Seiten entgegen schlägt. Gerade in Zeiten des wiederbelebten Hahnenkampfes kann es Jahrzehnte dauern, bis sich eine durch die sozialen Medien getriebene Sau auch nur ansatzweise wieder rehabilitieren kann. Was Edathy durch den Prozess an öffentlicher Menschlichkeit verloren hat, lässt sich nicht mit Geld aufwiegen. Und Jan Leyk hat als Unbeteiligter mit seinem Posting aus wüsten Beschimpfungen, für das er zu Recht zu 6.000 Euro Strafe verurteilt wurde, maßgeblich zu dieser modernen Hexenjagd beigetragen. Dass allerdings auch Edathys Verhalten zum Teil Kinderpornografie bagatellisiert hat, haben wir schon an anderer Stelle besprochen.

Drittens: Das Posting von Leyk ist leider bezeichnend für unsere Gesellschaft, in der viele Deutschen sich gerade von Staat und Medien unfair behandelt fühlen. Unverhältnismäßig weit hergeholte Vergleiche von Meinungsmachern wie Jan Leyk führen dazu, dass dieser dunkle Unmut zu Tage kommt und weiter angeheizt wird. Mit seinem durch und durch „authentischen" Auftreten inszeniert er sich als Kämpfer für Gerechtigkeit, als einer, der aus dem Bauchgefühl heraus schreibt und sich nicht aufhält mit juristischen Spitzfindigkeiten.

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Screenshot: Facebook

Dass es auf Facebook und vor dem deutschen Gesetz aber um ganz unterschiedliche Werte geht, hat noch nicht jeder verstanden. Denn auf Facebook herrscht die Moral und vor Gericht herrscht das Recht. Und das sind eben zwei unterschiedliche Paar Schuhe.

Jetzt legt Sebastian Edathy laut einem direkt folgenden Posting von Jan Leyk noch nach und lässt das Zivilrecht sprechen, um eigene Ansprüche zu erheben: Leyk zahlt also 6.000 Euro an den Staat, weil in unserem Land eine derartige Beleidung eine Straftat darstellt—und eventuell nochmal 15.000 Euro an Edathy, da dieser durch die Diffamierung einen erheblichen, persönliche Schaden davongetragen hat. Denn auch wenn die Ausübung von Pädophilie ein Verbrechen darstellt, ist die Neigung in unserer Gesellschaft eine psychische Störung.

„Ich möchte meinen Fans das Gefühl von Freiheit geben", titelt Jan Leyk in einem Interview, das er selber durch den netzwerkinternen Video-Upload gejagt und auf seine Facebook-Seite gestellt hat. Lieber Jan Leyk, ein Mann, der das Gefühl von Freiheit aussendet, bist du nicht. Das ist vielleicht Jan Böhmermann. Du gibst deinen Fans hingegen das Gefühl, von Staat und Justiz betrogen zu werden. Und zwar immer und jederzeit.