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Ich habe noch nie geraucht, aber Schockbilder könnten mich dazu bringen

Wie ein geschlagener Köter paffte mein Vater in der Kälte auf dem Balkon, während seine Glatze mit der Kippe um die Wette qualmte. Das war wirksamer als jedes Schockbild.

Foto: imago | Blickwinkel

Mutter war militante Nichtraucherin. Vater rauchte wie eine Dampflok. Immer draußen auf dem Balkon, auch im Winter bei klirrender Kälte, bibbernd mit Schlappen, und die aus seiner Glatze entfleuchende Körperwärme qualmte mit dem Zigarettenrauch um die Wette. "Reicht ja, dass deine Zähne gelb sind und dein Atmen stinkt, lass wenigstens die Tapete weiß und die Möbel geruchlos, wie sie sind", pflegte Mutter zu sagen. Die beiden haben sich noch nie so wirklich gemocht.

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Hineingestellt zwischen diese beiden Pole schlug Mutters Seite bei mir definitiv durch, was die kindliche Prägung und den Umgang mit Zigaretten anbetrifft. Ich bin über 30 und habe noch nie an einer Tschick gezogen. Und weil Rauchen als Option für mich nicht in Frage kam, habe ich auch noch nie gekifft. Heute ist Weltnichtrauchertag, er feiert Menschen wie mich, ich bin der wahr gewordene, feuchte Traum der WHO und aller Mitarbeiter von Nichtraucher-Kampagnen. Wie kriegt man sie hin, Fluppenasketen wie mich, gesunde Zigarettenabstinenzler?

Nur die wenigsten durch Schockbilder, wie sie jetzt seit Mai eingeführt wurden. Der Bundestag hat ja ein Gesetz verabschiedet, das die Tabakkonzerne dazu verpflichtet, Warnbilder und aufklärende Texte auf mindesten zwei Drittel ihrer Verpackung zu drucken. Bereits produzierte Schachteln dürfen zwar noch ein Jahr im Handel bleiben—man kann also davon ausgehen, dass erst alle alten Bestände abverkauft werden, bis die Tabakkonzerne mit der Auslieferung der Schocker beginnen—, aber spätesten ab Mai 2017 muss dann die Umstellung von den schönen blauen oder roten Gauloises-Farbverläufen auf die schwarze Raucherlunge oder ein derart zerbombtes Gebiss erfolgen, dass selbst die zwei Rabauken Karius und Baktus es besser nicht hinbekommen hätten:

Das Gesetz ist beschlossen: Ab Mai sollen — Ostsee-Zeitung (@OZlive)25. Februar 2016

Als nächste Maßnahme ist die Vereinheitlichung der Farben auf allen Zigarettenschachteln in Planung und die Firmen-Logos sollen auch komplett verboten werden. Dann steht nur noch der Markenname über den Todesbildern. Schön ist anders. Sehr gut.

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Doch wenn ich die abgestorbenen Füße und zerschossenen Zähne so sehe, bekomme ich richtig Lust zu rauchen. Ihre bewusst aggressive Art fordert mich heraus. Was hier von Seiten der Regierung betrieben wird, nennen Verhaltensökonomen "Nudging". Man versucht, uns mit einem kleinen Schubser in die "richtige Richtung" zu lenken, wir sollen vernünftig handeln, nicht rauchen. Ein subtiles Beispiel der Verhaltensteuerung ist die aufgemalte Fliege auf dem Pissoir, die das Spielkalb in uns Männern wachrufen soll und uns durch das Zielen auf den rechten Fleck davon abzuhalten versucht, quer über die Wand wie die Feuerwehr zu schiffen.

Nur leider ist ein sich auflösender Gammelfuß ein zu grober Wink mit dem Zaunpfahl und wir Menschen neigen dazu, uns nicht so gerne sagen zu lassen, was gut für uns ist, auch wenn es gut für uns ist. Dumm, ich weiß, aber mit Klugheit hat Trotz ja auch nicht viel zu tun. Das bezeugen tausend verbrannte Kinderhände, nachdem Mutti sagte: "Nicht auf die Herdplatte fassen! Vorsicht, ist heiß!" "Ja ja, Mutter; leck mich am Arsch mit deinem 'Vorsicht ist heiß'. Jetzt erst recht!" Umso deutlicher eine Autorität auftritt, desto größer der Wunsch, gegen sie zu rebellieren. Das macht den Spaß an der ganzen Sache ja aus. Und gerade in einer Zeit, wo Essen von Wechseljuicern getrunken anstatt gegessen wird und wo bereits der als Punk gilt, der keine private Altersvorsorge abgeschlossen hat, kann der Griff zur Zigarette Ausdruck und Linderung der eigenen Sehnsucht nach rebellischer Unvernunft bedeuten.

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Es ist uns scheißegal, dass mindestens vier der Marlboro-Männer an den Folgen des Rauchens gestorben sind, der Mythos von Freiheit durch Selbstbestimmung zieht noch immer. Und auch der ehemaligen EU-Gesundheitskommissar Tonio Borg scheint mit seiner Aussage, dass nur zwei Prozent der Bürger aufgrund der Schockbilder zu rauchen aufhören würden, die These einiger Mediziner zu bestätigen, wonach Tschick und Ratio kaum vereinbar seien: "Rauchen ist keine rationale Sache. Raucher blenden die Bilder einfach aus, die nehmen das gar nicht wahr", erklärt Dr. Roland Brey vom Gesundheitsamt Amberg-Sulzbach gegenüber Onetz. Jein, denn wenn "Rationalität" tatsächlich ein vernunftgeleitetes und an Zwecken ausgerichtetes Denken und Handeln bezeichnet, das mit einem Sinn belegt wird, dann sollten wir bei ihrer Bewertung die Zeit als Faktor nicht vergessen. Genau wie bei Unterhosen gibt es auch bei der Rationalität verschiedene Formen davon: Kurz und lang greifende, sexy und unsexy.

Mit dem Griff zum Nikotinstengel folgt der Raucher einer hedonistischen Logik, kurzfristiger Genuss sticht langfristige Gesundheit aus, akute Coolness und Attraktivität wird um den Preis erkauft, in 20 Jahren beim Treppensteigen von Kurzatmigkeit wie ein angeschossener Iltis gebeutelt zu werden und über das Hautbild einer abgewetzten Lederjacke zu verfügen. Kurzfristig betrachtet ergibt das total Sinn. Wissenschaftler der Uni Genf haben in einer Studie sogar nachgewiesen, dass Männer, die Zigaretten rauchen und Alkohol trinken, für Frauen auf der Suche nach einer unverfänglichen Affäre als besonders attraktiv angesehen werden. Sie strahlen eine anziehende Art von "Gefahr" aus. Rauchen kann sexy sein, wussten wir aber auch schon ohne die Wissenschaft.

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Foto: imago | United Archives International

Und welcher Teenie hat nicht darauf gehofft, die Aura eines coolen Badass auszustrahlen, nachdem er als Erster in seiner Clique zu rauchen anfing? Würden dagegen den Männern sogleich nach der allerersten Tschick die Penisse abfallen oder Frauen aus den Brüsten die Luft entfleuchen, wären Raucher eine weit seltener gesehene Spezies. Auch beim Qualmen folgt der Mensch einem rationalen Kosten-Nutzen-Kalkül, nur ist er gegenüber den Kosten nahezu blind, wenn sie zu weit in der Zukunft liegen.

Vernunft in ihrer unvernünftigen Form kommt auch beim sogenannten "Raucherpenis" zur Geltung. Ja, es gibt ihn wirklich. Dauerhafter Zigarettenkonsum greift Bestandteile des Bindegewebes an, nämlich das Elastin, das elementar für den Druck des Schwellkörper und die Aufrechterhaltung der Erektion ist. Doch der Druckverlust im Arbeitsgerät ist bei den männlichen Rauchern offensichtlich nicht groß genug, um mit dem Rauchen aufzuhören, und außerdem kann das ursprüngliche Ausmaß der genitalen Versteifung bereits nach einem Rauchverzicht von sechs Wochen wiederhergestellt werden. In der Summe ist das nicht abschreckend genug, um von den kurzfristigen Vorteilen abzusehen.

Selbst wenn es Zigaretten nur noch verpackt in toten Schweineherzen gäbe, würden die Menschen rauchen, und trotzdem sind die Schockbilder eine gute Sache; denn auch wenn nur eine Person damit vor Lungenkrebs bewahrt werden kann, hat sich der ganze Aufwand gelohnt. Dabei klingen die besagten zwei Prozent an Menschen, auf die das neue Zigaretten-Artwork lediglich eine abschreckende Wirkung haben solle, zunächst nach nichts, doch wenn man bedenkt, dass in Deutschland 23,5 Prozent aller Menschen ab dem 15. Lebensalter rauchen, dann reden wir hier von insgesamt 450.450 Menschen. Kann man machen. Und dazu kommen noch all jene, die dadurch gar nicht erst mit dem Rauchen anfangen.

Und dennoch stellt sich die Frage, wie man an die restlichen 98 Prozent der Raucher herankommt? Wohl am besten, wenn man wie in meinem Falle sowohl auf die kurzfristigen als auch langfristigen Formen der Rationalität abzielt: Als Rafael, der älteste Sohn von den besten Freunden unserer Familie, von seinen Eltern beim Rauchen erwischt wurde, setzen sie ihn in der Küche auf einen Stuhl und er musste eine ganze Packung Camel rauchen. Der Klassiker. Es war die fünfte oder sechste Tschick, da hatte sich der Gute bereits eingekotzt. Als die Anekdote uns erreichte, war Vaters Kommentar nur: "Wenn ich dich erwische, rauchst du zwei von den Packungen." Im Hinblick auf Bestrafungen hielt Vater Wort wie die Schweizer Notenbank. Mit diesem Damoklesschwert akut über meinem Haupte schwebend wurde ich auf kurze Sicht dann doch vom Rauchen abgehalten und auch langfristig war mir Vater eine Hilfe; und zwar mit dem Bild, wie er einem geschlagenen Köter draußen in der Kälte glich und die Zigaretten auf dem Balkon paffte. Manchmal—wenn sich der Frost so richtig durch alle Lücken fraß—machte Mutter auch noch die Balkontür von innen zu und Vater musste sich wie ein Obdachloser den Einlass ins warme Haus erklopfen, während er von links nach rechts mit den Beinen umhertippte und sich die kalten Hände rieb. In der Realität sah der Marlboro-Mann dann doch irgendwie wenig überzeugend aus.

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