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Warum Geburtstag an Weihnachten der letzte Dreck ist

Wenn in den Regalen der Supermärkte Adventskränze und Weihnachtsstollen stehen, denke ich nicht an das Fest der Liebe, sondern all die Gründe, warum Jesus mich mal kann.
Titelbild von VICE Media

Hier noch mehr Gedanken, die wir uns dieses Jahr über Weihnachten gemacht haben: #Weihnachten2014

Wenn ich den Leuten widerwillig erzähle, dass ich zu Weihnachten—also am 24. Dezember—Geburtstag habe, höre ich in 99,9 Prozent aller Fälle sowas wie „Wirklich? Ist das nicht total scheiße mit den Geschenken?" Die gefühlt letzten 20 Jahre habe ich diese Frage immer klar verneint. Im Kindheitsalter wurde besonderer Wert darauf gelegt, dass ich am 24. sowohl Geburtstags- als auch Weihnachtsgeschenke bekomme. Lustig, was man sich erziehungstechnisch einfallen lassen muss, damit sein Kind einen nicht voll heult oder schon in der Volksschule in die Gestörtheit gehänselt wird. In späteren Jahren hab ich immer gesagt „Ist doch egal, oder? Anders kenne ich es eben nicht." Warum wird man außerdem mit 27 noch gefragt, ob das mit den Geschenken nicht scheiße ist, ihr materiellen Schweine?

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Nach all den Jahren finde ich das mit den Geschenken jedenfalls noch immer nicht scheiße, aber meinen Geburtstag als Ganzes mittlerweile leider schon.

Foto: fnogues | flickr | cc

Das liegt daran, dass meine „Familienfeierlichkeiten" wie vermutlich bei vielen von euch, die Weihnachten feiern, seit 12 Jahren gleich aussehen. Vor so langer Zeit ist meine Mutter von zuhause ausgezogen und seither verläuft mein Geburtstag jedes verdammte Jahr exakt nach demselben Schema. Dabei ist der Vergleich mit euren Familienfeierlichkeiten eigentlich noch zu großzügig. Ich könnte meine Familie auch dann noch an einer Hand abzählen, wenn ich Captain Hook wäre. Ich habe zwar theoretisch einen richtigen, lebendigen Großvater, den ich aber nicht kenne, weil meine Mutter keinen Kontakt zu ihm hat. Also bleibt noch meine Mutter, was aber okay ist, da ich wie bei der Geschenkesituation eh nie was anderes gekannt habe.

In der Regel kündige ich mich am 24. also für 7 Uhr Abends bei meiner Mutter und ihrem Lebensgefährten an und komme zirka 2 Stunden später. Es riecht nach Essen und Haschisch—beides der Verdienst meiner Mom. Dann quatschen wir ein bisschen, essen Steak mit Kartoffeln und Speckfisolen (wie weihnachtlich) und hören uns im Radio frommes Weihnachtsgesäusel an. Die Welt ist meine Auster. In der Zwischenzeit stechen SMS wie „Schöne Weihnachtsferien, ich hoffe das Christkind hat dich reich beschenkt" als unpersönliches Glückwunsch-Highlight hervor. Das Christkind, reich beschenkt? Ich BIN das Christkind, Bitch.

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Foto: Richard Elzey | flickr | cc

Nach dem Essen sowie ein bisschen Chit-Chat, ein paar Geschenken und einigen Glückwunschkarten, die von meiner Mutter liebevoll ausgesucht und verpackt wurden (meistens sind weihnachtliche, nicht kitschige Katzen auf den Karten, was mir gut in den Kram passt), steige ich vollgeladen mit Essen, Keksen und Geschenken ins Taxi.

Mit Taxifahrern führe ich eigentlich gerne Smalltalk—die wüssten natürlich auch nicht, dass ich Geburtstag habe, wenn meine Mutter nicht noch jährlich den Satz „Das ist mein Sohn! Der hat heute Geburtstag!!!" wie eine scharfe Handgranate kurz vorm Abfahren ins Auto werfen würde. Als nächstes fahre ich zu Freunden, die sich in einer unfestlich eingerichteten Wohnung versammeln und über ihre Familienfeiern, Geschenke, Würstelsuppe und Wollpullover reden.

Alle waren also bei ihren Familien, die dicke Omi hat groß aufgekocht und zwingt einem noch die letzten Reste Vanillekipferl die Speiseröhre runter. Ich habe mir schon mal überlegt, mir irgendeine Oma auszuborgen, nur um diese Zwangsbeglückung wieder zu erleben. An meinem Geburtstag denke ich eigentlich selten an mich, sondern lieber an andere. Beim Völlern, beim Nicht-alleine-sein, beim Spaß haben. Auch wenn das wohl nur meine idyllischen Wunschvorstellungen ist, und Familienessen- und treffen besonders zu Weihnachten bestimmt oft fürchterlich sind, bin ich neidisch.

Foto: formatc1 | flickr | cc

Obwohl Gerüchte kursieren, dass viele (anscheinend vor allem in ländlichen Regionen) am 24. ordentlich Party machen, konnte ich meine Freunde noch nie zum Fortgehen mobilisieren—viele sind so K.O. und vollgefressen, dass sie Angst haben, schon nach zwei Cocktails ihr Festessen in einem nach Zimt und Nelken duftenden Keks- und Kotzstrahl über dem Tanzparkett zu verteilen. Außerdem steht ja auch Silvester vor der Tür. Und ich kann ihnen das auch nicht übelnehmen … oder sollte ich?

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In den kommenden Tagen frühstücke ich meine zugegeben superleckere Geburtstagstorte und ernähre mich von lächerlich teuren Keksen und dem Kartoffelgulasch, dass mir meine Mom auf persönlichen Wunsch jedes Mal mitgibt. In Unterhosen oder Bademantel Torte zum Frühstück essen gibt mir das Gefühl, ein Weihnachts-Hugh Hefner mit Seifenblasen-Pfeife zu sein, der dem Hedonismus frönt. Also ohne all die Frauen natürlich.

Eine Woche nach meinem Geburtstag ist dann schon Silvester. Weihnachten ist noch nicht mal richtig vorbei, da steht schon das nächste Fake-Fest vor der Tür, und man muss sich Gedanken machen, in welche zugekotzte Wohnung man diesmal geht, und schaut, dass es vielleicht auch ein begehbares Dach gibt, damit man fischförmige Brösel-Biskotten essen und um 00:00 Uhr sehen kann, wie Leute ihr Geld in Richtung Himmel pulvern. Vom Besinnlichen zum Besoffenen in sieben Tagen. In der Zwischenzeit habe ich viel Zeit, um über mein Leben zu sinnieren, wie man das nach seinem Geburtstag eben so macht. Wen sieht man, wen sieht man nicht, wer hat keine Zeit, von wem bekommt man generische Weihnachts-SMS … Das haben ja Silvester und Geburtstag irgendwie gemeinsam, dass man ordentlich Selbstreflexion betreibt. Wenn diese 2 Tage dann nur 7 Tage auseinander liegen, und man jede Menge Zeit mit sich selbst hat, ist das nicht immer gut. Man überlegt, wo man gerne sein würde, und wo man gerade ist. Ein post-feierlicher Reality-Check. „Wer bin ich, und wo gehe ich hin?", hat sich schon schon Tony Soprano gefragt, als er aus dem Koma erwacht ist.

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Foto: romana klee | flickr | cc

Vorsätze mache ich mir nie, trotzdem versuche ich, Dinge an meinem Leben zu ändern. Spätestens zu Silvester überkommt mich dann entweder die Jahresbilanz-Depression oder die „Diesmal wird alles besser"-Euphorie. Ob ich dann tatsächlich glücklich bin oder nicht, hängt meistens nicht von mir, sondern von meinen Freunden ab. Meine Grundstimmung zum Fest der Freude und zum Fest des Feuerwerks ist jedenfalls trüb wie die schöne blaue Donau.

Mittlerweile will ich nichts geschenkt haben, sondern würde gerne den Spieß umdrehen und meiner Mutter irgendwas schenken. Ein Haus am Meer, eine Horde fliegender Affenbuttler, einen Urlaub, irgendwas. aber es geht nicht, ich bin Egoist, und arm obendrauf. Vielleicht bin ich auch selbst Schuld, dass ich meinen Geburtstag selten genieße. „Wir sind unseres eigenen Schicksals Schmied", heißt es schon in Terminator 2. Vielleicht werde ich diese Weihnachten Mülltonnen anzünden, Bäume aus dem Fenster schmeißen und Karussell-Pferde mit dem Vorschlaghammer zertrümmern. Oder ich gehe fort und erzähle fremden Menschen solange, dass ich Geburtstag habe, bis ein Mitleidsfick dabei rausspringt. Oder ich flüchte nach Thailand, Australien oder auf den Mond. Da muss ich mich dann auch nicht über unpersönliche Gruppen-SMS ärgern. Aber vielleicht kommt auch alles anders und ich fühle mich geliebt glücklich und zufrieden. Eigentlich weiß ich das im Vorhinein nie.

Und genau genommen geht es mir ziemlich gut, also hör auf zu jammern, Adrian. Immerhin bist du nicht am 29. Februar geboren, und mit ein bisschen Fantasie kannst du dir einbilden, dass die Leute deinen Geburtstag auf der ganzen Welt feiern, auch wenn sie dich nicht kennen.

Flüchtet mit Adrian auf den Mond, huldigt dem Messias oder werft Bäume aus dem Fenster: @doktorSanchez