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Zensiert Facebook die syrische Opposition?

Assads Gegner fühlen sich durch Mark Zuckerberg um ihr Recht auf Meinungs- und Redefreiheit betrogen.

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Im Dezember kontaktierte mich eine Frau der syrischen Gemeinde in Toronto, weil eine Facebookseite, die sie zur Unterstützung der syrischen Opposition mit verwaltet hatte, aus dem Internet entfernt worden war. Als „Likes for Syria“ Mitte Dezember gelöscht wurde, hatte die Seite bereits mehr als 80.000 Likes.

Erstellt worden war die Seite 2011, kurz nach dem Beginn der Revolution in Syrien, von einigen Kanadiern syrischer Abstammung. Sie nutzen die Seite, um Nachrichten über die Krise zu verbreiten, Hoffnung zu spenden und ein Bewusstsein in der westlichen Welt zu schaffen.

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„Wir haben das Gefühl, dass uns unsere Redefreiheit genommen wurde“, sagte Faris Alshawaf, ein weiterer Administrator von Likes for Syria. „Wir haben ein Recht darauf, über die Ereignisse zu sprechen.“ Facebook hatte die Seite schon einmal entfernt, kurz darauf—nach dem Einspruch der Administratoren—aber wieder veröffentlicht. Nur wenige Tage später löschte Facebook die Seite ein zweites Mal.

Mit diesem Schicksal steht Likes for Syria nicht allein da. In den letzten sechs Monaten löschte Facebook Dutzende oppositionelle Seiten. Darunter auch eine, die einen Monat vor Beginn der Revolution von syrischen Jugendlichen ins Leben gerufen worden war und angeblich gegen die Standards der Facebook-Gemeinschaft und die Nutzungsbedingungen verstoßen hatte. Bereits vor zwei Wochen hatte die Zeitschrift The Atlantic über das Verschwinden oppositioneller Facebookseiten berichtet.

Während meiner Recherchen zu  diesem Thema löschte Facebook eine weitere Webpräsenz—die der Syrischen Nationalen Koalition. Dieser Schritt schockierte Administratoren und ließ die syrische Gemeinschaft in Panik geraten, da es sich um eine der wichtigsten Seiten der Revolution handelte. Auch diesmal kontaktierten mich Leute aus der syrischen Gemeinde und schickten mir Screenshots der ehemaligen Seite, aus denen nicht ersichtlich wurde, warum die Seite Anstoß erregt haben sollte.

Facebook scheint sich in eine komplizierte Lage gebracht zu haben. Die Tatsache, dass Facebook die weltweit größte soziale Plattform ist, wurde dem Unternehmen zum Stolperstein, da seine Maßnahmen nun direkte Auswirkungen auf einen Bürgerkrieg haben. Nach Angaben der UN hat der Konflikt bereits über 100.000 Menschenleben gekostet. Einerseits ist Facebook für die Überwachung seiner User verantwortlich, von denen viele an gewaltsamen Revolutionen beteiligt sind und deren Meldungen gegen die Nutzungsbedingungen des Unternehmens verstoßen. Gleichzeitig haben sich diese User aber darauf verlassen, ihre Informationen über Facebook teilen zu können.

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Auch ich habe Facebook für Interviews mit untergetauchten Leuten genutzt. Letzten Frühling, zum Beispiel, interviewte ich einen Mann namens Louay Sakka, der mit Hilfe sozialer Plattformen wie Facebook von seinem Haus in Ontario aus dabei half, den Informationsfluss der Freien Syrischen Armee (FSA) zu erleichtern.

Im ganzen Land sind Medienzentren eingerichtet worden, in denen vertriebene Syrer und Rebellen oppositionelle Facebookseiten aufrufen und über aktuelle Ereignisse berichten können. Dass Sakka den Rebellen half, sich über den halben Globus zu vernetzen, wirkte damals noch ziemlich ausgefallen—heute gilt es als ein Kennzeichen der Revolution.

Ich habe Kontakt mit der Syrian Support Group (SSG) aufgenommen, einer der wenigen nordamerikanischen Organisationen, die Syrien unterstützen, und gefragt, ob sie ebenfalls von den Zensurmaßnahmen betroffen waren. Dem Sprecher Dan Layman zufolge, der eng mit gemäßigten Mitgliedern der FSA und dem US-Außenministerium zusammenarbeitet, um die gemäßigten Oppositionsmitgliedern zu unterstützen, war dies der Fall.

Layman sagte, das die SSG an einer englischen Übersetzung der Facebookseite des Obersten Militärrats gearbeitet hatte, der vormals die moderate Komandoführung der Freien Syrischen Armee innehatte. Die arabische Version ist zwar noch online, das englische Pendant wurde jedoch entfernt.

„Das hat Auswirkungen für uns, weil wir diese Seiten dazu genutzt haben, den Westen über die Vorgänge in Syrien zu informieren und mit gemäßigten Oppositionsmitgliedern in Syrien zu kommunizieren“, erzählte mir Layman. Als er sich ans US-Außenministerium wandte, um der Sache auf den Grund zu gehen, erzählte man ihm, dass es bei Facebook Angestellte gäbe, die durch die Seiten scrollen und nach gewalttätigen Inhalten oder anstößiger Sprache suchen.

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„Facebook hat anscheinend entschieden, dass einige Dinge, die wir gepostet haben, Gewalt verherrlichen würden. Dabei wollten wir nur erklären, was gerade passiert. Die Oppositionellen sind keine Terroristen“, sagte Layman. Ein Teil seines Jobs besteht darin, Meldungen wie „In Damaskus gab es vier Bombenanschläge und viele Märtyrer“ vom Arabischen ins Englische zu übersetzen.

Es ist möglich, dass die Sprache als anstößig empfunden wurde, doch mit Sicherheit weiß das niemand. „Die Revolutionsseite war der einfachste Weg, um den westlichen Medien den Standpunkt des Obersten Militärrates zu vermitteln“, sagte Layman.

Viele in der Community glauben, dass die Syrian Electronic Army (SEA) hinter den meisten Meldungen stehe und für die Löschung der entsprechenden Seiten verantwortlich sei. Die SEA soll eng mit dem Assad-Regime zusammenarbeiten, auch wenn diese Behauptung von den Mitgliedern beharrlich geleugnet wird. In jedem Fall hat sie sich als intelligente elektronische Kraft erwiesen und behauptet, Systeme wie Skype und Twitter gehackt zu haben.

Im Dezember gab die SEA in einem Post bekannt, dass sie daran arbeitet, sämtliche oppositionellen Seiten zu löschen. Mittlerweile wurde diese Meldung wieder gelöscht. Ob sie tatsächlich ihre Finger im Spiel hat oder nicht: Fest steht, dass die Entfernung von Seiten sich häuft. Ein Experte für Internetsicherheit, der anonym bleiben wollte, erzählte mir, dass man wahrscheinlich auf die SEA stoßen würde, wenn man die gelöschten Facebookseiten und die gemeldeten Bildern zurückverfolgen würde.

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Obwohl die SEA offensichtlich versucht, Massenmeldungen zu inszenieren, hat Facebook seine Kontrolle über derartige Aktivitäten verbessert. Das Unternehmen überlässt die Verantwortung offenbar den Angestellten, die die Beschwerden überprüfen. Der Experte glaubte nicht, dass Massenmeldungen allein bewirken, dass eine Seite tatsächlich gelöscht wird.

Natürlich kann Facebook nicht für die Vorgänge in Syrien verantwortliche gemacht werden. Dennoch muss sich das Unternehmen mit seiner Rolle in der Revolution auseinandersetzen und reagieren. Da das soziale Netzwerk bereits von Dreizehnjährigen genutzt werden kann, gibt es gute Gründe für das Bestreben, die Inhalte sauber zu halten. Zugleich dienten viele Bilder, die auf Facebook gemeldet und gelöscht wurden, dazu, Leute vor bestimmten Orten zu warnen, an denen Bomben explodiert waren.

Unter den gelöschten Meldungen befanden sich auch Berichte der UN über die Lage des Konflikts. Leute wie Alshawaf haben Familienangehörige in Syrien, mit denen sie ausschließlich über soziale Medien kommunizieren können.

An dem Tag, als die Seite der Syrischen Nationalen Koalition gelöscht wurde, sprach ich mit Linda Griffin, Kommunikationsleiterin von Facebook in London. Facebook befindet sich in einer schwierigen Lage. Griffin schien sich darüber klar zu sein, dass die gelöschten Seiten eine wichtige Rolle bei der Kommunikation und Vernetzung der syrischen Opposition gespielt haben. Sie dementierte jedoch, dass Facebook von der SEA gehackt worden sei.

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Darüber, dass Leute das System in gewisser Hinsicht missbrauchen würden, sei man sich bei Facebook schon früh bewusst gewesen. Sie erklärte, dass Seiten, die wiederholt gegen die Regeln verstoßen, gelöscht werden—dabei sei es unerheblich, ob diese Seite ein ein- oder tausendmal gemeldet worden sei.

Kurz nach unserer Unterhaltung schickte ich ihr die Screenshots, die ich von den Administratoren der Seite der Syrischen Nationalen Koalition bekommen hatte, und bat sie, mir zu erklären, inwiefern diese Bilder gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen hätten. Am nächsten Morgen erhielt ich eine E-Mail, in der stand, dass Facebook bei der Seite der Syrischen Nationalen Koalition ein Fehler unterlaufen sei und die Seite jetzt wieder online sei.

Für viele Beteiligte war dies eine Erleichterung. Doch die Administratoren von Likes for Syria und der englischen Seite des Obersten Militärrats wollen ihre Seite ebenfalls wieder reaktiviert haben. Die beiden Seiten, die über 300.000 Follower verzeichneten und vor den gleichen Probleme standen wie die Seite der Syrischen Nationalen Koalition, haben nun eine Onlinepetition gestartet, in der sie Facebook auffordern, die Zensur zu stoppen.

All die Administratoren, mit denen ich gesprochen habe, kannten die Nutzungsbedingungen und versicherten, dass sie versuchen, Verstöße dagegen zu vermeiden. Ein heikler Punkt ist wahrscheinlich das Verbot von Nacktheit. Auf vielen Seiten wurden Bilder von abgemagerten Kindern und Erwachsenen entfernt, auch wenn es sich dabei um Bilder des Krieges handelte.

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Weil es zu gefährlich ist, berichten momentan nur sehr wenige Journalisten aus Syrien (unsere Serie Ground Zero: Syria kannst du dir hier ansehen). Noch eingeschränkter sind die Möglichkeiten, dem Westen zu vermitteln, was im Land vor sich geht. So wurde Facebook das primäre Medium der Kommunikation mit der Außenwelt. Mit jeder Seite, die Facebook löscht, blockiert es einen der wenigen Wege, auf denen die Opposition die Menschen außerhalb von Syrien erreichen kann.

„Indem sie Inhalte löschen, richten sie mehr Schaden als Nutzen an. Es handelt sich nicht um [Maßnahmen gegen den] Terrorismus—vielmehr werden Seiten von Leuten gelöscht, die al-Qaida-Rebellen bekämpfen“, sagte Layman. „Irgendjemand bei Facebook begreift nicht, worum es hier geht.“

Es gab eine Zeit, in der Facebook die Verwicklung in den Arabischen Frühling als etwas ansah, auf das man stolz sein konnte. Der Gründer und Geschäftsführer Mark Zuckerberg sprach sogar darüber, dass seine Social-Media-Plattform als eine Art Hilfsmittel dienen könne. 2012 berichtete Reuters, dass Zuckerberg im Zuge des geplanten Börsengangs einen offenen Brief an zukünftige Investoren schickte. Darin hieß es:

„Wir glauben, einen Dienst anzubieten, der die Menschen beim Austausch von Informationen unterstützt und zu einem ehrlicheren und transparenteren Umgang miteinander führen kann - auch in Hinblick auf Regierungen. Es kann die Eigenverantwortung der Menschen erhöhen, Verantwortungsträger zur Rechenschaft zwingen und bessere Lösungen zu den größten Problemen unserer Zeit finden.“

Zweifellos könnten sich die Zensurvorwürfe für das milliardenschwere Unternehmen zu einem PR-Albtraum entwickeln. Während sich Facebook die nächsten Schritte zurechtlegt, werden sich Revolutionäre, die sich in Sachen Kommunikation und Vernetzung bisher auf die Plattform verlassen haben, nun sehr vorsichtig sein müssen und mögliche Alternativen in Betracht ziehen. Niemand weiß, wie die Revolution weiter verlaufen wird.

Ich sprach mit Sami, einem Administrator der Facebookseite der syrischen Revolution, der nur beim Vornamen genannt werden wollte. Er erzählte mir, dass die Seite „von einer Gruppe syrischer Jugendlicher eingerichtet wurde, die den alten Traum der Freiheit hegte—so wie die meisten Menschen … Also haben wir diese Seite gegründet, als wesentlicher Antrieb für unser Verlangen nach Freiheit und Demokratie.“

Sami erklärte, dass hier jeden Freitag ein Wort ausgewählt wird, das Leute in ganz Syrien auf Schilder schreiben und in die Öffentlichkeit tragen, um herauszufinden, wer auf ihrer Seite ist. „Als Facebook diese Seite gelöscht hat, sorgte das für große Verwirrung.“

Sami zufolge haben viele das Gefühl, die Welt würde anfangen, ihnen—trotz der offensichtlichen Verbrechen Assads—den Rücken zuzuwenden. Dennoch werden sie ihre Botschaften weiter verbreiten. „Es wird uns nicht davon abhalten, unseren Weg der Freiheit und Gerechtigkeit weiter zu verfolgen. Wir werden unser zerstörtes Land weiterhin aufbauen. Wir stecken voller Willen und Entschlossenheit.“