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Kann eine Online-Petition das Leben von Reyahneh Jabbari retten?

Diese Frau sitzt in einer iranischen Todeszelle, weil sie sich gegen eine Vergewaltigung gewehrt hat.

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Reyhaneh Jabbari soll möglicherweise morgen gehängt werden. Auf Avaaz.org läuft zur Zeit eine Petition, die die Hinrichtung verhindern soll. Die Innenarchitektin hat einen Mann erstochen, der sie angeblich vergewaltigen wollte. Deswegen sitzt sie seit sieben Jahren wegen vorsätzlichem Mord in einer iranischen Todeszelle. Natürlich ist es immer fraglich, was eine solche Petition bringt, da sie natürlich keinerlei Einfluss auf die Rechtsprechung oder die iranische Regierung hat. Aber trotzdem ist es die vielleicht einzige Chance, Aufmerksamkeit für Reyhanehs Geschichte zu schaffen und damit vielleicht auf die Familie des getöteten Mannes einzuwirken. Die hat nämlich nach iranischem Recht die Möglichkeit, Gnade walten zu lassen und die Hinrichtung zu verhindern.

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Der Name des Getöteten war Mortez Abolali Sarbandi, ein Arzt, dem Verbindungen zur Geheimpolizei nachgesagt werden. Sarbandi hatte sie angesprochen und wollte, dass sie eine Wohnung zu einer Arztpraxis umbaut. Er holte sie einige Tage später mit einem Auto ab und brachte sie in eine Wohnung, wo er ihr ein Getränk, in dem ein Betäubungsmittel war, anbot und danach versuchte, sie zu vergewaltigen. Sie konnte sich aus seiner Umarmung befreien und wehrte sich mit einem mitgebrachten Taschenmesser, das sie ihm angeblich in den Rücken rammte. Reyhaneh wurde vermutlich gefoltert und sollte unter diesem Druck „gestehen“, dass die Tat politisch motiviert gewesen sei. Sie wurde nach 56 Tagen Einzelhaft und einem dreitägigen Prozess zum Tod durch Hängen verurteilt.

Sehr wenig von dieser ganzen Geschichte ist bisher an die Öffentlichkeit gekommen. Die Familie hat Angst vor der Rache des Regimes und viele der Quellen, die es gibt, sind auf Farsi. Und dann tauchen auch externe Parteien auf, die Reyhanehs Situation für die eigenen politischen Ziele vor ihren Karren spannen wollen. Zum Beispiel das Gatestone Institute, ein ziemlich konservativer und tendenziell anti-islamischer amerikanischer Think Tank, auf dessen Website vor wenigen Tagen ein angeblicher Brief von Reyhaneh veröffentlicht wurde, bei dem man davon ausgehen kann, dass er nicht echt ist. All das hat sich zu einer Gemengelage aus undurchsichtigen Quellen, Angst und merkwürdigen politischen  Verbindungen entwickelt, was dazu führt, dass wenig über die Situation von Reyhaneh berichtet wird.

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Wir haben mit einem Vertreter der Familie gesprochen, einem der wenigen, die wissen, was gerade vor sich geht. Allerdings will er aus Angst vor Repressionen gegen die Familie im Iran anonym bleiben. Amon ist nicht sein richtiger Name.

VICE: Weißt du, wie es Reyhaneh im Moment geht?
Amon: Die Familie ist sehr vorsichtig am Telefon. Es kann sein, dass die Gespräche abgehört werden. Sie sagen, dass es ihr gut geht.

Kann man sie im Gefängnis besuchen?
Die Eltern und Verwandte ersten Grades können sie einmal die Woche besuchen. Wann der letzte Besuch war, weiß ich nicht. Ich habe sie auch nicht gesehen, weil ich schon viele Jahre nicht mehr im Land war.

Möglicherweise soll die Hinrichtung jetzt schon morgen stattfinden?
Man kann stündlich damit rechnen. Es kann nächste Woche oder morgen sein. Man weiß es nicht genau.

Wie schätzt du das Justizsystem des Irans ein?
Die Justiz im Iran ist Gewalt pur. Wenn man Geld und Beziehungen hat, kann man tun, was man will. Es passiert einem gar nichts. Wenn man das nicht hat, wie die Familie von Reyhaneh, kann man nichts machen. Sie hat sich lediglich verteidigt. Das ist die Justiz im Iran. Das ist der Alltag.

Mohammad Mostafaei, der ehemalige Anwalt in dem Fall, musste das Land verlassen?
Ja, und er sagt, dass es eine Menge Gespräche, SMS und Daten auf einer CD gab, die die Staatsanwaltschaft im Prozess nicht zugelassen hat und die jetzt verschwunden ist.  Man hätte nachvollziehen können, mit wem Sarbandi telefoniert und mit wem er sonst noch gesprochen hat, aber das einzige, was zugelassen wurde, waren die zwei SMS und die zwei Anrufe von Reyhaneh. Alles andere wurde vernichtet.

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Der Staatsanwalt ist Said Mortasawi?
Ja, das ist der gleiche, der bei der Verhaftung und anschließenden Folter von Zahra Kazemi, an deren Folgen sie dann auch starb, versucht hatte, Fakten unter den Tisch fallen zu lassen. Sie wurde dann ganz schnell beerdigt, ohne dass die Gründe für ihren Tod ans Licht kamen.

Angeblich gibt es noch eine andere Person, die mit involviert war?
Genau, ein Herr namens Schaichi, von dem Reyhaneh sagt, dass er während der versuchten Vergewaltigung in der Wohnung war. Die Frage ist, warum er keinen Arzt gerufen hat. Er hat Papiere mitgenommen und dann ist er geflüchtet. Man ist mit Absicht diesen Dingen nicht nachgegangen, damit man Reyhaneh diesen vorsätzlichen Mord anhängen kann. Alles andere hätte mehr Fragen aufgeworfen.

Und er hat auch eine Aussage gemacht?
Er kam in dem Prozess überhaupt nicht vor. Sie ist vom Geheimdienst verhört wurden und niemand ist dem nachgegangen. Es wurde einfach gesagt, dass er nichts mit der Sache zu tun hat und deswegen musste er auch nicht aussagen.

Was kann man jetzt noch tun, um diese Hinrichtung zu verhindern?
Mehr als 30 namhafte Schauspieler, Sportler, Weltmeister haben sich vorige Woche im Gerichtssaal eingefunden und versucht, auf die Familie des Opfers einzuwirken, weil es laut islamischem Gesetz so ist, dass die Familie des Opfers Gnade aussprechen kann. Die Familie will nicht mit sich ins Gericht gehen und darüber nachdenken, warum man sie gefoltert hat. Sie würden ja auch ein Zeichen setzen. Sie dürften ja auch aktiv an der Hinrichtung teilnehmen, also tatsächlich den Strick um ihren Hals legen und den Stuhl wegnehmen. Wenn sie sich dagegen entscheiden würden, wäre das auf alle Fälle ein großes Zeichen.

Was wäre denn passiert, wenn Reyhaneh sich nicht gewehrt hätte?
Einige junge Frauen sind danach gesteinigt worden, weil sie eine Beziehung zu einem verheirateten Mann hatten. Vielleicht hätte er sie auch nach der Vergewaltigung getötet, weil er ja auch die Möglichkeit im Geheimdienst gehabt hätte.

Was passiert normalerweise mit einem Täter?
So gut wie gar nichts. Man glaubt Frauen kaum. Männer sind die Täter und Männer haben die Macht, ob finanziell oder im Geheimdienst.