FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Mein Date mit Ron Jeremy auf der Erotikmesse

Er nannte mich „Doll“, küsste mich wie ein Eskimo und obwohl er Crocs trug, baggerte nebenbei alles und jeden an.

Als ich letzte Woche auf der Erotikmesse Venus ein 30-minütiges Interview mit der Pornolegende Ron Jeremy führte, hat er dreimal seine amerikanische Handynummer herausgegeben. Mir—er nannte mich „Doll“—einem deutschen Filmemacher-Pärchen (das einen Film mit ihm machen will) und Diana, einer Wasserstoffblondine in den 50ern (der er zusätzlich noch seine Hoteladresse und seine Zimmernummer gab). „Morgen früh reise ich ab“, sagte er, während er für Diana ein paar Zahlen auf meinen Notizblock kritzelte (Visitenkarten hat er nicht). „Schlafen kommt gar nicht in Frage.“ Ron Jeremy schläft und isst in Flugzeugen und Taxen. Er war in diesem Monat an fast jedem Tag in einer anderen Stadt oder in einem anderen Land. Das ist sein normales Pensum. Einmal ist er während eines Radiointerviews eingeschlafen (aber er rief zurück und entschuldigte sich). Auf YouTube gibt es einige Videos, in denen ein schlafender Ron zu sehen ist—eins davon wurde von einem Fan während eines Flugs von New York nach Chicago aufgenommen, ein anderes zeigt, wie er in einem Pool, umgeben von diversen Pornostars, vor sich hin döst. Ron erzählte, einer seiner Freunde habe den Blog sleepingwithronjeremy.com gegründet, da er regelmäßig beim Schlafen auf Hauspartys fotografiert werden würde. Was Ron allerdings nicht weiß, ist, dass der Blog leer ist.

Anzeige

Ron bezeichnet sich selbst als Analphabet, was Computer betrifft—seit zwei Monaten hatte er seine E-Mails nicht gecheckt. Er hat keine Ahnung, wie man twittert (seine Assistenten kümmern sich darum @RealRonJeremy) und er kann dir keinen einzigen Blog nennen, den er mag. Verdammt, er hat auch noch nie vom VICE Magazine gehört, aber er mag den Namen, weil er die Bedeutung des Worts ‚vice’ mag. Er lebt das Leben eines Teenagers und das, obwohl er mit 59 genau so alt ist wie mein Vater.

Während des Interviews kamen sieben Leute auf uns zu. Sie alle wollten nur eins: Ein Foto mit Ron, dem bekanntesten Pornodarsteller aller Zeiten. Er war offen, charmant und ließ sich mit allen fotografieren. Lächelnd stand er in der prallen Sonne vor der Messehalle Berlin, während immer mehr Leute kamen und Fotos mit ihren Smartphones machten. Er trug schwarze Crocs, eine schwarze Trainingshose und ein T-Shirt des Ron-de-Jeremy-Rums, für den er gerade Promo macht, auf dem sein Konterfei darauf ist. Er sähe darauf aus wie der junge Che, witzelte er.

Ron und ich setzten uns schließlich an einen Biertisch zu zwei Currywurst essenden Fremden. Zuerst sprachen wir über seine Mutter, eine Lektorin, die während des Zweiten Weltkriegs für den Nachrichtendienst des amerikanischen Kriegsministeriums gearbeitet hat und fließend deutsch sprechen konnte (Das einzige deutsche Wort, das Ron kannte, war ‚Nein’). Sie ist an Parkinson gestorben, gerade als Ron mit Ende zwanzig im Pornobusiness Fuß fasste. Sie wusste von seiner Karriere. Sie sagte immer: „Mein Sohn Ronnie tanzt zum Takt eines anderen Trommlers.“

Anzeige

Ich hatte ein Geschenk für Ron. Eine rote Buddha-Figur aus Plastik aus einem chinesischen Laden in Neukölln, da Ron, finde ich, ein wenig wie ein Buddha aussieht. Er bedankte sich und steckte die Figur in seine Hosentasche, wo er einen schwarzen Filzstift für die Autogramme und seine Mundharmonika aufbewahrte—er ist Musiker und spielt außerdem noch Klavier und Geige. Ron meinte, manche Interviews seien ziemlich langweilig, aber das Buddha-Geschenk gäbe dem ganzen einen ungewöhnlichen Touch und er fand mich interessant. Er ist Jude, aber respektiere das aus dem zwölften Jahrhundert stammende buddhistische Gebet „Nam Myoho Renge Kyo“, das wir beide kennen. Die Idee der Katholiken, für alle Sünden um Vergebung bitten zu können, sei Schwachsinn, schließlich könne man danach einfach rausgehen und wieder sündigen. Aber er glaubt an Engel. Er sagte, seine Mutter sei immer noch bei ihm. Ich fragte ihn, ob er die Buddha-Figur zum Grab seiner Mutter bringen würde. Als er ‚Nein’ sagte, war das einer der wenigen Momente, in denen Ron Jeremy, König aller Witzbolde, ernst wirkte. Er besuche das Grab seiner Mutter nicht oft genug. „Es ist schon sehr lange her“, erzählte er mir.

Während wir unsere Unterhaltung fortführten, schlüpfte er zurück in seine Rolle. Eine Frau um die 40, mit schwarzen Locken, erregte seine Aufmerksamkeit. „Kenn ich dich?“, fragte er sie. Sie verneinte. Dies sei ihr erster Tag auf der Messe. Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. Dann wurde nach Fotos gefragt und ein Foto führte zum nächsten und es wurde ziemlich schwer, ihn von der Schar seiner Fans wegzubekommen. „Hast du eine Freundin?“, fragte ihn mehr als eine Verehrerin. Er sah zu Boden und verneinte, dafür aber viele Bekannte. 2008 verkündete er in einem Interview, dass er sich Kinder wünschte. Ich fragte ihn, ob er heute immer noch Kinder haben möchte, und seine Antwort war ‚Ja’. Er wirkte ein bisschen traurig, vielleicht lag das aber auch an dem Gespräch über seine Mutter. Wir setzten uns wieder hin, teilten uns einen Plastikbecher Cola, während er damit beschäftig war, Flaschen zu signieren. Rum wurde jedoch keiner getrunken. Er riet seinen Fans dazu, die Unterschrift mit „clear nail polish“ zu versiegeln, damit sie nicht verblasste. Einige der deutschen Fans verstanden nicht, was Ron mit „clear nail polish“ meinte. Also nahm er sich die Zeit und erklärte er es ihnen, indem er so tat, als würde er mir die Fingernägel lackieren. Ich war tatsächlich eine Puppe.

Anzeige

Wenn du ihm tief in die Augen siehst, erkennst du seine spirituelle Seele, sein großes Herz und sein sanftes Gemüt. Sein Gesicht sah nicht aus, als ob er es sich heute Morgen gewaschen hätte, aber er ist engagiert, ehrgeizig und sehr großzügig, was Zeit betrifft, vor allem wenn es sich um Frauen handelt. Außerdem hat er ein enormes Selbstbewusstsein und baggert alles und jeden an—und das obwohl er Crocs trägt. Sein Trick bei weiblichen Journalisten—ich habe das schon oft beobachtet—ist der „Eskimo-Kuss“-Trick. Der Trick funktioniert so: Wenn ihr zusammen für ein Foto posiert, oder ihr während eines Fernsehinterviews nah beieinander steht, will er seine Nase an deiner reiben und sagt: „Lass uns wie Eskimo küssen.“ Du wirst kichern und einverstanden sein. Er taucht dann etwas tiefer und küsst dich auf den Mund. Alle 15 Minuten küsst er so eine andere Frau.

Ich fragte ihn, wie viele Interviews er seit seiner Ankunft in Berlin schon gegeben hatte, aber er hatte aufgehört, sie zu zählen. „Ich bin schon völlig erschöpft“, sagte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Sind wirklich alle Interviews nötig?“, fragte er seinen PR-Typen, der gerade dabei war, das nächste Interview mit einem Journalisten vorzubereiten.

Kurz bevor sich unsere Wege trennten, holte Ron den roten Buddha aus seiner Tasche, um mir eine Frage zu stellen. „Warum hat er ein schwarzes Gesicht?“ Die Figur hatte über ein Jahr auf einem Schrein gestanden und war völlig verrußt. Ich leckte über meinen Finger und befreite das Gesicht und vor allem den Mund des Buddhas vom Ruß.   Als wir uns verabschiedeten, versprach Ron, den Buddha zum Grab seiner Mutter zu bringen. Er sagte, dann hätte er einen Grund, dorthin zurückzukehren. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als er gestand, die genaue Stelle des Grabes vergessen zu haben. „Ich muss es wiederfinden“, sagte er. „Ich bin viel zu selten dort.“

Folgt Nadja Sayej auf Twitter.