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Warum der moderne Drogenkonsum noch unsicherer und gefährlicher geworden ist

Der Toxikologie Torsten Binscheck-Domaß befürchtet, dass moderne Drogen Auswirkungen auf uns haben werden, die wir jetzt noch gar nicht kennen—wie die Beschädigung von genetischem Material und Auswirkungen auf Neugeborene.

Ich weiß nicht, ob du schonmal davon gehört hast, aber es gibt so etwas wir ein Labor für klinische Toxikologie und Pharmakologie, wo Typen wie Torsten Binscheck-Domaß nichts anderes machen, als sich mit den neusten Drogen zu beschäftigen. Er betreut Abhängige, therapiert Vergiftungen und Drogenabhängige und ist immer auf der Suche nach dem Neusten vom Neusten auf dem Drogenmarkt, um entsprechend therapeutisch und wissenschaftlich darauf reagieren zu können. Bei ihm sitzen auch Insassen aus Justizvollzugsanstalten, Kliniken für  Maßregelvollzug, aber auch Personen, die entsprechende Bewährungsauflagen haben. Besonders besorgt ist er über neue Drogen, die im Reagenzglas hergestellt werden und keine natürlichen Vorbilder haben. „Wir wissen wenig oder nichts über ihre Giftigkeit sowohl akut als auch chronisch“. Er befürchtet auch, dass diese Drogen Auswirkungen auf uns haben werden, die wir jetzt noch gar nicht kennen—wie die Beschädigung von genetischem Material und die Auswirkungen auf Neugeborene. Das andere große Problem sieht er darin, dass wir gerne beim Drogennehmen Stoffe mischen—Polytoxikomanie. Wir haben uns mit Binscheck-Domaß für unsere Serie RauschGIFT über unser Drogenverhalten unterhalten, und parallel dazu hat uns ein Berliner Student das meiste, was Binscheck-Domaß sagt, in der Praxis bestätigt.

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Was sind die Substanzen, die Sie bei den eingelieferten Patienten hauptsächlich nachweisen können?
Bei akuten Vergiftungen—also Patienten, die notfallmäßig in Kliniken eingeliefert werden, weil sie eine Gesundheitsstörung aufweisen—weisen wir natürlich relativ häufig THC nach. Ähnlich häufig spielen auch Opiate wie Heroin eine Rolle. Was wir allerdings in den letzten zwei bis drei Jahren vermehrt beobachten konnten, ist, dass Menschen akut zu Notfällen werden, weil sie GHB [Liquid Ecstasy] konsumiert haben.

Werden Crystal und Alkohol also seltener nachgewiesen?
Die allerwichtigste Missbrauchssubstanz ist natürlich völlig richtig der Alkohol. Es gibt die sogenannte Monotoxikation, also Menschen, die „nur“ schwer alkoholvergiftet sind. Wir reden hier von vier, fünf Promille und mehr. Und zum Anderen ist Alkohol insbesondere bei Selbsttötungsversuchen sehr häufig beteiligt, weil gerade Personen im alkoholisierten Zustand ein erhöhtes Risiko haben, selbstgefährdendes Verhalten an den Tag zu legen.

Welche neuen Erkenntnisse haben Sie gemacht?
Wir haben heute sehr viel größere Bevölkerungsgruppen, die neben Alkohol auch andere Substanzen missbrauchen, und es gibt eine sehr viel größere Anzahl verschiedener Verbindungen. Wir haben—als Newcomer—in den letzten Jahren insbesondere bei Menschen mit Migrationshintergrund gehäuft den Konsum von Tilidin und Tramadol beobachten können. Beides sind starke Schmerzmittel, die auch als Arzneimittel auf Rezept verfügbar sind. Dann spielen, neben dem schon genannten GHB, auch die sogenannten synthetischen Cannabinoide eine zunehmende Rolle. Im Jahr 2008 kamen diese als sogenanntes „Spice“ hier in Deutschland erstmals auf den Markt. Es handelt sich nicht um irgendwelche mesotrophen Pflanzen, sondern um harmlose Pflanzenteile, die mit synthetischen Verbindungen präpariert worden waren. Und diese synthetischen Verbindungen—synthetische Cannabinoide—wirken im Prinzip so wie THC, sind aber um ein Vielfaches stärker.

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Hat sich das Cannabis, das auf dem Markt angeboten wird, auch verändert?
Von Cannabis wissen wir—insbesondere von dem aus den Niederlanden und den dortigen Zuchtbemühungen—, dass wir heute Cannabis-Sorten auf dem Markt haben, die einen sehr sehr viel höheren Gehalt an THC haben also noch vor 20, 30 Jahren. Der normale Indische Hanf enthält um die 2-3 % THC und wir haben heute Hochleistungszuchtsorten mit teilweise über 12% THC-Gehalt. Die Wirkung ist bei einer normalen Dosierung dieser Zuchtformen um ein Erhebliches stärker.

GHB im Labor von Dr. Binscheck-Domaß

Sie hatten erwähnt, dass eine viel größere Bevölkerungsgruppe heutzutage Drogen nimmt. Wie kommen Sie zu dem Schluss?
Wir wissen das aufgrund der Asservaten, die durch Zoll und andere Ermittlungsbehörden sichergestellt werden. Es ist davon auszugehen, dass das, was aufgefunden wird, auch gehandelt wird, und das, was gehandelt wird, ist das, was nachgefragt wird. Das heißt, wir wissen schon, dass heute in bestimmten Subgruppen, auch der Jugendkultur, der Konsum von Psychostimulanzien, GHB oder synthetischen Cannabinoiden wesentlich verbreiteter ist als noch vor 20 bis 30 Jahren.

Welche Problematik sehen Sie bei dem Konsum der Drogen, die heute auf dem Markt sind?
Vor einigen Jahrzehnten hatten wir ausschließlich mit Substanzen zu tun, die kulturgeschichtlich sehr lange Wurzeln haben, so wie das THC und der Alkohol in unserer Kultur, aber auch Heroin, das wir bereits seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts auch in Deutschland kennen. Heute werden wir konfrontiert mit einer Vielzahl neuer Substanzen mit synthetischen Verbindungen, also Stoffen, die im Reagenzglas hergestellt werden und keine natürlichen Vorbilder haben, sodass wir über ihre Giftigkeit sowohl akut als auch chronisch bisher nichts oder nur sehr wenig wissen. Das Verhalten mit langzeitlichen Effekten hinsichtlich der Störungen, wie zum Beispiel der Beschädigung von genetischem Material und der Auswirkung auf Fehlbildungen bei Neugeborenen, all das wissen wir nicht.

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Wie schätzen Sie die Tendenzen ein: Nehmen Leute mehr und mehr Drogen oder sind es einfach mehr Leute, die an Drogen interessiert sind?
Ich denke, eins der Phänomene, die wir beobachten, ist heute die Tendenz zur Polytoxikomanie—wir haben weniger Einstoffabhängigkeiten. Eine Person, die heroinabhängig ist, konsumiert nebenbei Benzodiazepine. Im Internet lässt sich sehr leicht eine Vielzahl an Foren, Blogs und Newsgroups verfolgen, die eine sehr breite Diskussion von Menschen widerspiegeln, die sich über die Wirkung bestimmter Substanzen sowie über die Risiken und die positiven Effekte, die sie erlebt haben, austauschen. Die Möglichkeit, sich über die Stoffe und natürlich über die Beschaffungswege dieser Stoffe zu informieren, ist natürlich viel breiter und einfacher für jedermann zugänglich, als das vor der Einführung des Internets der Fall war.

Ist es etwas Positives, dass sich Leute informieren können oder ist es eher etwas Negatives?
Also, dass sich Leute informieren können, ist, denke ich, grundsätzlich etwas Positives. Die Kunst ist eben herauszufinden, welche Infos belastbar sind. Da gibt es die Frage der persönlichen Auswahl. „Soll ich mal konsumieren, was würde ich denn konsumieren wollen und was würde mir gefallen?“ Allerdings muss das dann auch kritisch bewertet werden. Es geht hier um Stoffe, die sicher ihren Reiz haben, die aber eben auch unter Umständen eine gefährliche Kehrseite haben und beides ist untrennbar verbunden. Ich kann nicht das eine haben wollen und das andere leugnen.

Wie sehen Sie die Hilfeleistung für Drogenkonsumenten in Deutschland?
Na ja, da geht es in den politischen Bereich. Wie viel Hilfeleistung wir qualitativ und quantitativ anbieten, ist natürlich eine gesamtgesellschaftliche Entscheidung, weil das ganze natürlich Geld kostet. Hier in Berlin kann ich in vielen Bereichen weiterhin eine Fokussierung auf die, ich sage mal „Oldschool der Heroinabhängigen“ beobachten. Wir haben mittlerweile Metadon-Patienten, die marschieren auf den 70. Geburtstag zu oder haben ihn schon erreicht. Das ist aber nicht mehr die Nähe zur Realität heute. Wir haben es heute mit sehr jungen Leuten zu tun, die ganz andere Angebote benötigen als ein 50 Jahre alter Junkie. Hier haben wir einen massiven Nachholbedarf. Es ist wenig über GHB, synthetische Cannabinoide, Opioide bekannt—insbesondere bei Menschen mit Migrationshintergrund—und auch das Instrumentarium, das man anbieten kann, ist völliges Neuland. Da ist noch viel zu lernen in den nächsten Jahren.

Wer nimmt in der Gesellschaft Drogen?
Das weiß kein Mensch, denn wir haben kein objektives Messinstrument. Als Erstes muss ich definieren, was Drogen sind. Wenn ich beim Alkohol anfange, gibt das ein anderes Bild ab, als wenn ich ihn außen vorlasse. Wenn ich ihn abziehe, dann würde ich sagen, in der Masse sind es natürlich eher die jüngeren Leute. Von denen lässt aber der allergrößte Teil, wenn er ein bestimmtes Alter erreicht, die Finger von den Stoffen. Mal abgesehen davon, dass Leute vielleicht auch mit 40 oder so noch mal aus Sentimentalität einmal im Jahr einen Joint rauchen. Jüngere Leute sind experimentierfreudiger, die suchen nach neuen Reizen und dann gibt es natürlich die Möglichkeit in bestimmte Subkulturen hineinzuschauen. In der Schwulenszene sind beispielsweise GHB oder Ketamin massenhaft verbreitet. Da gibt es auch Leute mit 40 oder 50, die das konsumieren.

Wie sind denn Statistiken einzuschätzen?
Es gibt eine Telefonumfrage, die die Bundesregierung in Auftrag gibt, wo Leute am Telefon gefragt werden, und ich vermute, nur Festnetzanschlüsse—also nur Rentner—: „Jetzt mal unter uns, welche Drogen haben Sie konsumiert?” Und dann überlegen Sie sich mal, ob Sie jemand Fremdem am Telefon sagen würden, was Sie so konsumieren. Da wird kaum einer die Wahrheit sagen, denn wenn der die Telefonnummer hat, kann er auch den Namen und die Adresse herausfinden, und dem werde ich wohl kaum auf die Nase binden, dass ich hier und da mal gegen das Gesetz verstoßen habe—denn die meisten Stoffe, von denen wir hier reden, sind ja Missbrauchssubstanzen, BTM-Substanzen. Es ist auch nicht möglich, bei bestimmten Veranstaltungen oder Locations Massentests durchzuführen. Aber auch da würde man erwarten, dass die, die nichts konsumiert haben, eher eine Probe abgeben als die Leute, die konsumiert haben, weil sie Entdeckung und Strafverfolgung fürchten. Wir schauen nach jungen Leuten, die straffällig geworden sind, was die konsumiert haben und ob viele von denen wegen des Konsums straffällig geworden ist. Auch das ist aber wieder ein verzerrtes Bild.

Wir haben mit dem Toxikologen Dr. Torsten Binscheck-Domaß für unsere Serie RauschGIFT zusammengearbeitet, die ihr euch jeden Tag ab 22.00 Uhr in der ZDF Mediathek anschauen könnt