Ich habe einen Tag als Müllmann gearbeitet und dabei komplett versagt

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Ich habe einen Tag als Müllmann gearbeitet und dabei komplett versagt

Obwohl ich mir wirklich Mühe gebe, hagelt es von meinem Ausbilder Sprüche: "Im Schulsport nicht so die Eins gewesen, was?", "Bewegungstechnisch musst du mit dir noch'n büschn ins Reine kommen", etc.

Irgendwas stimmt mit den Leuten hier nicht, denke ich mir. Um mich herum wuseln Hunderte orangefarbene Männer, die sich permanent fröhlich "Moin!" zurufen, auf die Schultern klopfen und dann eifrig auf dem Hof verteilen. Es ist 6 Uhr morgens. Vor ein paar Stunden haben der Fotograf und ich noch in einer Kneipe auf der Reeperbahn gesessen, in der die Stammgäste eine wilde Diskussion darüber führten, ob sie jetzt alle ihre Schwänze rausholen sollen.

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Das war schön, aber jetzt laufe ich in orangener Funktionskleidung über diesen Hof im Nordwesten Hamburgs und muss mir alle Mühe geben, den Anschluss an meinen Vorarbeiter nicht zu verlieren. Dabei versuche ich, realistisch einzuschätzen, ob ich die nächsten acht Stunden überleben werde, oder ob ich mich einfach gleich hinten in einen Biomüllwagen legen soll, um allen Beteiligten Zeit zu sparen. Wie bin ich da reingeraten?

6 Uhr morgens in der der Kantine der Hamburger Müllabfuhr in Altona | Alle Fotos: Grey Hutton

Ganz einfach: Irgendjemand aus der Redaktion fand es eine großartige Idee, wenn ich einen Tag als Müllmann arbeite, und ich fand das damals auch. Denn obwohl wir der Müllabfuhr fast jeden Tag begegnen, macht sich kaum jemand Gedanken darüber, wie wichtig deren Arbeit für unsere moderne Zivilisation ist: Weltweit werden täglich 3,5 Millionen Tonnen Müll produziert, bis 2025 soll sich dieser sogar Wert verdoppeln.

Im Schnitt produziert jeder Österreicher 566 Kilo Müll, in Deutschland sind es pro Kopf 618 Kilo. Auch im Jahr 2016 wird das meiste davon per Hand aus den Kellern gehoben, über den Randstein gezerrt und in den Müllwagen gekippt. Rund 100.000 Behälter pro Tag leeren die Mistkübler binnen acht Stunden alleine in Wien. Ohne sie würden wir innerhalb weniger Tage an unserem eigenen Abfall ersticken.

Morgens um 5 in Deutschland: der Autor vor seinem Tagwerk

Trotzdem hat der Job nicht unbedingt den besten Ruf, was vielleicht in der Natur der Sache liegt. Wir denken nicht gerne über unseren Dreck nach. Aber wie denken die Müllmänner selbst darüber? Ich schrieb Müllabfuhren in mehreren deutschen Städten an, ob ich einen Tag bei ihnen mitarbeiten könnte. Nach mehreren Absagen kam dann der Anruf der Stadtreinigung Hamburg: Wann ich anfangen wollte, und welche Kleidergröße ich habe? So einfach geht das in Hamburg.

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Deshalb laufe ich also jetzt über diesen Hof. Kurz vorher hatte mir ein freundlicher Anzugträger meine Arbeitskleidung und eine schnelle Sicherheitseinweisung gegeben und mich zu Erik gebracht. Erik Siersleben ist 51, bereits seit 32 Jahren "bei der Mülle" und hat schon Hunderte Azubis ausgebildet. Dasselbe Programm wird er heute mit mir durchziehen, und deshalb verlieren wir keine Zeit, uns zu Klaus und Bernie vorne in einen der ziemlich modernen Mercedes-LKWs zu setzen und loszubrausen.

Mein Ausbilder Erik Siersleben gibt alles, um zu mir durchzudringen

Wie offenbar alle, die hier arbeiten, haben Erik, Klaus und Bernie schon um 6 Uhr morgens ausgesprochen gute Laune. "Sachma, habt ihr gestern Abend bisschen zu lang Kulturrecherche gemacht?", will Klaus wissen, während er den großen Wagen auf die Autobahn lenkt. Mein Eingeständnis, dass wir dem rauen Charme der Reeperbahn vielleicht etwas zu lang erlegen sind, sorgt für große Heiterkeit. Ob ich eigentlich "Müllmann" sagen darf, frage ich. "Kannste machen, wie du willst", antwortet Bernie. "Wir sind Hamburger, wir sind nicht empfindlich."

Kurz darauf zwei kleine Enttäuschungen: Statt in der Innenstadt werden wir heute in Niendorf sammeln, einer ziemlich beschaulichen Wohngegend im Hamburger Norden. Und zweitens machen wir Biomüll. Aber mein Verdacht, dass man für den Reporter eine besonders leichte Tour ausgesucht hat, wird schnell zerstreut: Biomüll ist kein bisschen besser als Hausmüll, und in Vororten muss man zwar nicht in die Keller, aber dafür umso mehr laufen, erklärt Erik.

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Bernie (links) und Erik (rechts) arbeiten, ich bin völlig fasziniert von der Kraft der Technik

Und dann geht es los: Erik und ich steigen aus, und er erklärt mir die Grundsätze des Müllsammelns. Die sind, wie vermutet, nicht besonders komplex. Man zieht den Mülleimer vom Gehweg zur Maschine und schiebt ihn dann hinten gegen die Anlage. Wenn der Eimer richtig eingerastet ist, dreht man sich mit einem "eleganten Tanzschritt" (Erik) zur Seite, während die Mechanik den Eimer automatisch zur Tonne hebt und ausklopft. Dann schiebt man den Eimer zurück auf den Gehweg, springt auf das Trittbrett und fährt zum nächsten Haus.

Und ja, das Trittbrettspringen war jedes Mal wieder geil

Im Grunde ziemlich simpel, deshalb bin ich umso überraschter, wie viel ich dabei falsch machen kann: den Eimer falsch einhaken, die Knöpfe in der falschen Reihenfolge drücken, den Eimer falsch herum wieder auf den Gehweg stellen, und und und. Einmal werde ich sogar leicht von einem Auto touchiert, als mein eleganter Tanzschritt zu weitschweifig ausfällt und ich auf die Gegenfahrbahn komme. Aber vor allem verzweifelt Erik an meiner absoluten Unfähigkeit, mir die richtigen Handgriffe und Bewegungen einzuprägen, die das Ganze erleichtern und vor allem flüssig gestalten sollen. "Du bist mehr so der Körperlegastheniker, oder?", konstatiert mein Ausbilder und schüttelt den Kopf.

Obwohl ich mir wirklich Mühe gebe, ihn zu beeindrucken, hagelt es die nächsten paar Stunden Sprüche. "Im Schulsport nicht so die Eins gewesen, was?" "Kommst du dann?" "Ich seh' schon, bewegungstechnisch musst du mit dir noch'n büschn ins Reine kommen". Irgendwann verlegt er sich darauf, mir zu versichern, ich sei bestimmt ein toller Online-Redakteur. Für Müllmann reicht es aber noch nicht so ganz. Offenbar bin ich aber nicht der erste Azubi, dem Eriks Tempo zu schaffen macht. "Heute Nacht träumst du von Onkel Erik, das kann ich dir versprechen", freut sich Bernie, als ich später erschöpft im LKW sitze.

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Erik macht vor, wie meine Bewegungsabläufe auf ihn wirken

Aber wenn es gerade mal nicht hektisch ist, macht die Arbeit auch Spaß. Erstens stinkt es gar nicht so schlimm, wenn man nicht gerade den Kopf in den Eimer steckt. (Ich habe aber auch Glück, dass es die letzten zwei Wochen nicht so warm war: Dann kann der Biomüll nämlich fiese Gase entwicklen, erklärt mir Erik.) Und zweitens ist es schon irgendwie erhebend, so früh am Morgen unterwegs zu sein. Man hat das Gefühl, hinter die Kulissen der Stadt zu schauen. Interessant ist auch zu sehen, wie die Zivilisten auf die Müllmänner reagieren. Rentner zum Beispiel kommen öfter sogar aus dem Haus, um kurz mit uns zu schnacken. Andererseits gibt es auch genug Menschen, die einfach durch uns hindurchschauen—als wäre man in dem Orange unsichtbar.

Erik leistet Dienst am Kunden. Für solche Schnacks ist leider nicht mehr viel Zeit, beklagen die Männer

"Nicht schlafen! Eimer ziehen!", reißt mich Erik aus meinen Betrachtungen. Ein paar Stunden haben wir noch. Tatsächlich finde ich die körperliche Belastung (für einen Tag zumindest) erträglich, aber das Tempo ist ziemlich flott. Und vor allem fällt mir auf, wie gewissenhaft die Männer ihren Job machen. Die Mülleimer müssen immer genau an die richtige Stelle zurück, denn die "Kunden" müssen zufrieden sein. Dabei sind die Kunden nicht immer rücksichtsvoll. Als er einen Eimer bewegt, schwappt Bernie ein riesiger Schwall von irgendeiner ziemlich vergammelten Flüssigkeit über den Anzug. Fluchend versucht er, das Zeug so gut es geht abzuputzen, aber es hilft nichts: Den Rest des Tages wird er sich von Klaus anhören müssen, dass er ihm die ganze LKW-Kabine vollstinkt.

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Hier muss Erik gerade "Passt so" gesagt haben, sonst würde ich nicht so grinsen

Unzufrieden mit ihrem Los als Müllmann scheint keiner der Männer zu sein, im Gegenteil: Der Stolz auf ihre Arbeit ist allen anzumerken. Klaus ist schon seit 37 Jahren dabei, sowohl sein Vater als auch sein Großvater haben schon bei der Müllabfuhr gearbeitet. "Die Mülle war hier früher fast schon ein Familienbetrieb. Da hast du in der Kantine 'Meier' gerufen und sechs Leute sind aufgestanden, alle miteinander verwandt", sagt er. "In Hamburg genießt die Müllabfuhr auch noch Respekt, die wissen, was sie an uns haben", wirft Bernie ein, der auch schon 17 Jahre Mülle auf dem Buckel hat. "Vor allem die Älteren wissen, was wir für sie tun", sagt Klaus. "Für manche Jüngere sind wir aber einfach die, die den Dreck wegmachen."

Fahrer Klaus im Führerhäuschen

Währenddessen ist der Job nicht einfacher geworden. Weniger Müllmänner müssen jetzt größere Gebiete abdecken, die Taktung hat zugenommen. Trotzdem findet Erik, dass der Beruf auch für junge Leute attraktiv ist: "Das ist eine sichere Anstellung, und das können auch Leute machen, die nicht unbedingt so gut ausgebildet sind", erklärt er. Und wenn man sich nicht allzu doof anstellt, zahlt der Betrieb auch Fortbildungen wie den LKW-Führerschein. Verdienen kann man je nach Dienstjahren zwischen 21.000 Euro bis 28.000 Euro pro Jahr, dabei bekommen die älteren Semester wegen ihrer alten Verträge aber noch deutlich mehr als die Neueinsteiger. Natürlich macht sich ein so körperlicher Job dann irgendwann doch in den Knochen bemerkbar: "Am Ende hat jeder irgendein Problem", sagt Klaus. "Wir haben hier eine Menge Leute mit Bandscheibenproblemen, und das sind bei weitem nicht nur Alte."

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Erhebend, im doppelten Sinne.

Als wir kurz vor zwei Uhr wieder auf dem Hof ankommen, habe ich dann auch genug. Zusammen haben Erik, Bernie und ich zwölf Tonnen Biomüll in den LKW verfrachtet, und das war noch weniger als sonst, weil gerade Ferien sind. Ich muss meine Kluft wieder abgeben, darf aber die Schuhe behalten, und zum Schluss überreicht mir Erik auch noch feierlich den Dreikantschlüssel, mit dem man Mülltonnen und Mülltonnenbehälter aufschließen kann. "Den hängste dir an den Schreibtisch, als Andenken an den schönen Tag." Wenn also irgendjemand dringend Müll braucht, ich kann jetzt jederzeit welchen besorgen.

Der Schlüssel ist jetzt meine Erinnerung an meinen Tag als nützliches Mitglied der Gesellschaft. Aber vor allem werde ich in Zukunft darauf achten, die Müllmänner zu grüßen, denen ich auf der Straße begegne. Es macht ihre Arbeit zwar nicht einfacher. Aber wenigstens wissen sie, dass ich ihnen dankbar bin, dass sie mich nicht in meinem eigenen Abfall untergehen lassen.

Selbstbild mit Müllberg