Ich wurde im Auftrag der Kirche von einer Schweizer Hexe geräuchert
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Ich wurde im Auftrag der Kirche von einer Schweizer Hexe geräuchert

Die Idee: Das Abholen junger Seelen auf Sinnsuche. Der Auftraggeber: Die katholische Kirche. Die Protagonisten: Eine alte Hexe und meine verlorene Seele.

Die katholische Kirche betreibt im Zürcher Viadukt das jenseits, ein Treffpunkt, der nach eigenen Angaben "ein Ort der Stille und des Rückzugs" für junge Sinnsuchende sein möchte. Man merkt dem steinigen Raum unter der gewölbten Decke auf den ersten Blick gar nicht an, dass es sich um eine Kapelle handelt. Das weisse Kreuz an der Wand ist nur im Ansatz erkennbar. Die Kirche gibt sich hier zurückhaltend, ja fast schon versöhnlich. "Dieser Ort bietet auch Platz für den Dialog mit anderen Sinnstiftern", erklärt Michael Mann, Leiter des jenseits. Der Theologe arbeitet ausserdem als professioneller Sinnstifter für Manager aus der Automobilindustrie, Banken und Versicherungen. Er bietet auf seiner Homepage Seminare mit verheissungsvollen Titeln wie "Energie statt Verspannung", "Gedanken werden Dinge" oder "Ausstrahlung & Schönheit" an.

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Die katholische Kirche scheint mittlerweile erkannt zu haben, dass ihr der Nachwuchs davon gelaufen ist. Um die verschollene Jugend auf der Sinnsuche abzuholen, ist die Kirche auch bereit dazu, neue Wege zu gehen. "Es ist für eine moderne Kirche notwendig, sich mit neuen Ausdrucksformen auseinanderzusetzen, wenn man die spirituellen Sehnsüchte junger Menschen verstehen und ernst nehmen will", so Mann. Einer dieser neuen Wege ist die Veranstaltungsreihe GEISTlabor, eine Zusammenarbeit mit der Jugendseelsorge Zürich. Das GEISTlabor bietet nach eigenen Angaben jungen Sinnsuchenden bewusstseinsfördernde Methoden und Formen des spirituellen Ausdrucks an, um näher zu Gott und zu sich selbst zu finden. Da wir bei VICE ebenfalls versuchen, unsere Leser zu erleuchten, konnten wir gar nicht anders, als der Eröffnung des diesjährigen GEISTlabors beizuwohnen. Du musst deine Konkurrenz schliesslich kennen, um sie hinter dir zu lassen.

Keine klassische Hexe

Eröffnet wurde die fünfte Reihe des GEISTlabors mit Tanja Walsers Einführung ins Räuchern. Walser—die sich selbst als alte Hexe bezeichnet—betreibt im Niederdorf das House of Spirits, einen Räucherutensilienshop, für den ich von der Besitzerin am Ende der Veranstaltung einen Rabattgutschein erhalte. Doch alles der Reihe nach.

Als ich die verkappte Kapelle betrete, haben die meisten Besucher bereits im Halbkreis um Walsers Räuchertisch Platz genommen. Die Runde ist bunt durchmischt, die Besucher sind jedoch vornehmlich weiblich und nicht mehr ganz so jugendlich, wie es das GEISTlabor ankündigte. Walser, die ganz und gar nicht wie eine stereotype Hexe, sondern viel mehr wie eine elegant-gepflegte Frau daherkommt, klärt einführend über den Hintergrund des Themas auf.

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Die Zeremonienmeisterin Tanja Walser

Räuchern sei eine von vielen Naturkreisen angewandte Methode zur Neutralisierung von negativen Energien und Gegenständen. Bereits die alten Sumerer hätten ihre Körper und Seelen mit dem Rauch gereinigt, der bei der Verbrennung von speziellen Harzen, Kräutern und Rinden entsteht. Auch in der christlichen Tradition spiele der Weihrauch noch immer eine zentrale Rolle, etwa bei Gottesdiensten oder Prozessionen.

Unerwünschte Mitbewohner loswerden

Wie ich von Walser erfahre, können auch Wohnräume durch Räuchern gereinigt werden. "Wir räuchern, um dicke Luft oder die Ausdünstungen von Besuchern aus unserer Wohnung zu vertreiben, um die Raumluft zu erfrischen und natürlich um Dämonen und Geister zu vertreiben", so die Zeremonienmeisterin. Vorher solle man jedoch ein paar Worte an die unerwünschten Mitbewohner richten und sie auffordern, das Haus zu verlassen. Untermalt werden sollten die Wörter mit den Klängen von Zimbeln, Trommeln oder Klangschalen. Dabei sei es wichtig, im Uhrzeigersinn durch die Wohnung zu laufen. Ich frage mich, ob Dämonen wohl tatsächlich in solch trivialen Systemen wie dem binären Uhr- und Gegenuhrzeigersinn denken, verkneife mir jedoch die ketzerische Frage. Walser reicht die verschiedenen Perkussionsinstrumente durch die Reihe und lässt die Besucher sie ausprobieren.

Zimbeln und Klangschalen, um Geister und Dämonen zu vertreiben

Ob wir etwas gespürt hätten, fragt Walser in die Runde. Eifriges Kopfnicken aus der Ecke der älteren Damen. Männer hätten halt manchmal etwas Mühe mit ihrer Sensibilität, fügt Walser aus heiterem Himmel hinzu. Spürt sie denn nicht, dass ich ein streunender Bluesman mit dem narbenübersäten Herzen eines einsamen Gauchos bin?

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Benebelnde Präsentation

Auf diese etwas merkwürdige Einführung folgt nun eine ausführliche Präsentation der verschiedensten Räucherstoffe. Walser verbrennt ein Harz nach dem anderen, erklärt kurz deren unterschiedliche Wirkung und wedelt den Rauch jedem Besucher zur Probe mit einer schwarzen Feder unter die Nase. Sie beginnt mit Weihrauch, dem All-Time-Räucher-Classic. Weihrauch öffne nach oben, sei gut fürs limbische System und ein besonders männlicher Rauch. Ich wusste bis anhin gar nicht, dass Rauch einem Geschlecht zugeordnet werden kann.

Walser präsentiert die benebelnde Wirkung eines Rauchstoffs

Weiter geht es mit dem weiblichen Gegenpart des Weihrauchs, der Myrrhe, die antiseptisch sowie verjüngend auf Körper und Seele wirke. Walser warnt, dass gewisse Frauen beim riechen der Myrrhe auch schon in Tränen ausgebrochen seien. Als nächstes macht Salbei die Runde. Einmal in verbrannter Form und einmal in bloss erhitzter, so dass die ätherischen Öle freigesetzt werden. Der Unterschied ist markant, mich sprechen jedoch beide Düfte nicht sonderlich an. Salbei konfrontiere einen mit dem Wesentlichen. Vielleicht hätte ich ja Probleme damit, suggeriert Walser, als sie meine sich rümpfende Nase registriert. Ich bin erstaunt über die Aussagekraft, die die unterschiedlichen Reaktionen der Besucher auf die Düfte beinhalten.

Ballast abschütteln

Es folgen desinfizierender Kampfer (riecht nach Vicks Vaporub), konzentrationsstärkende Wacholderbeeren, Myrtenblätter für den Neubeginn, nach vorne treibender Rosmarin, weissagende Lorbeeren, besonders auf Kinder beruhigend wirkender Lavendel sowie die Ich-Kraft stärkende Gewürznelke. Ich bin benebelt, dabei fängt jetzt die eigentliche Räucherzeremonie erst an. Nachdem Walser jeden Räucherstoff einzeln präsentiert und erklärt hat, mischt sie nun alle Stoffe in einem wundersamen Verhältnis in einer grossen Schale zusammen.

Sie legt wilde Trommelmusik auf, bittet uns aufzustehen und uns locker zu machen. Die Zeremonie beginnt. Wir schliessen die Augen und schütteln uns wild im Takt der Trommeln. Walser geht von Person zu Person und reinigt jeden Besucher einzeln mit der Energie ihres heilsamen Kräutergemischs. Wir sollen alles rauslassen und von uns ablegen, so die Anweisung der Zeremonienmeisterin.

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Wie ich den energetischen Ballast von meinem Körper abschüttel, denke ich an meine Ex-Freundin, die mich auf unserer Weltreise im Regen hat stehen lassen, an die Krankheit meines Vaters, an die US-Präsidentschaftswahl, an den Mond und zu guter Letzt ans Universum. Nach einer Minute ist der ganze Spuk bereits vorbei. Dabei hätte ich gerne noch ein bisschen mehr Ballast abgeschüttelt.

Astralreisen mit legalen Halluzinogenen

Was folgt, kann am ehesten mit Debriefing bezeichnet werden. Wir sprechen in der Gruppe über unsere Erfahrungen. Der Tenor ist positiv, die meisten Neulinge möchten das Räuchern als neue Lebensqualität in ihr Leben einbringen. Mich nimmt es Wunder, woher Walser ihren Stoff bezieht. Sie möchte ihre Quellen lieber nicht bekannt geben, aber sagt, sie stammten von lokalen Bauern bis hin zu mexikanischen Indianern. Sie betont dabei jedoch, dass sie keine illegalen Halluzinogene vertreibe. Die Formulierung weckt mein Interesse. Ob es denn legale Halluzinogene gebe, möchte ich von ihr wissen. Die Pharmaindustrie hätten schon viele Heilpflanzen wie Aztekensalbei in die Illegalität verbannt, aber wenn ich sie in ihrem Laden besuchen komme, werde sie mich mit legalen Halluzinogenen auf eine Astralreise schicken. Auch wenn ich immer noch etwas benebelt bin und dem ganzen Hokuspokus etwas voreingenommen entgegnet bin, fühle mich tatsächlich besser als zuvor.

Die Räucherstoffe haben ihre Wirkung nicht verfehlt

Grundsätzlich ist es ja zu begrüssen, dass die katholische Kirche versucht, von ihrem dogmatischen Weg abzukommen und ihre sinnstiftende Bühne mit anderen Akteuren teilt. Ob die Strategie, dadurch junge Seelen auf Sinnsuche abzuholen auch tatsächlich aufgeht, bleibt angesichts des Durchschnittsalters der Besucher allerdings fraglich. Nichtsdestotrotz war die Erfahrung, mich von Tanja Walser räuchern zu lassen, eine bereichernde.

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