Ich war auf dem Wiener Wiesn-Fest und es war eigentlich eh OK

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Ich war auf dem Wiener Wiesn-Fest und es war eigentlich eh OK

Die Wiener Wiesn wäre gerne die kleine edle Schwester des Oktoberfestes.

Ich liebe Trachten. Ehrlich. Ich habe in Dirndln schon C-Brüste gesehen, die eigentlich A-Brüste sind. Maximal. Ich habe in Dirndln Hüftspeck und Bauchspeck verschwinden sehen, als hätte er niemals existiert. Ich habe in Lederhosen knackige Ärsche gesehen, wo eigentlich keine sind. Und die Wadln! Die eine Art Mensch steht auf Lingerie (kann dieses Wort überhaupt jemand aussprechen?) und die andere Art Mensch steht auf die einzig wahre, sexuell-anregende Kleidung: Trachten.

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Und weil ich Trachten so liebe, ziehe ich sie gerne an. Dafür besuche ich auch gerne Feste, bei denen ich mein Dirndl ohne politische Zuschreibung und Verachtung tragen kann. Solche Feste finden aber eher außerhalb Wiens statt: Im Großteil Restösterreichs ist die Tracht kein politisches Zeichen, sondern Aufreiß-Hilfe und Tradition. Eventuell liegt es daran, dass sich auf den Festen am Land gewisse FPÖ-Politiker meistens nicht stolz blicken lassen, wie sie es hier in Wien tun. Ich fahre, um mein Dirndl tragen zu können, auch mal nach Bayern, in die Steiermark, nach Kärnten und ja, manchmal auch nach Niederösterreich. Ich bin quasi ein Trachten-Tourist. Das Ding mit Wiener Trachtenpartys ist: Sie sind echt scheiße und überhaupt nicht das, was sie sein sollten.

Wien hat es einfach nicht drauf. Ganz egal, ob Trachten-Clubbings, Trachten-Techno, Trachten-Bälle oder der Neustifter Kirtag—der eigentlich das Potenzial hätte, zumindest ein NÖ-Flair zu haben—diese "Feste" sind nicht gut. Die Menschen trinken nicht wirklich, zumindest nicht so, wie es sich gehört. Die Preise sind zu hoch. Die Zelte sind zu schön. Sie reden Hochdeutsch. Nur jeder dritte Mensch trägt eigentlich Tracht.

Mein Kollege aus Oberösterreich und ich. Alle Fotos von VICE Media.

Das hat sich auch bewahrheitet, als mein oberösterreichischer Kollege Benji mit mir hingehen wollte und in schwarzen Hosen und einem schwarzen T-Shirt auf mich gewartet hat. Wir halten fest: Ich bin eine Migrantin, ohne österreichischen Pass, nicht auserwählt, um in diesem Land zu wählen und er ist ein Eingeborener. Auf meine Frage, wo seine Tracht bleibt, sagte mir mein oberösterreichischer Kollege—ohne Scham wohlgemerkt: "Ich besitze keine." Ich glaube, weil er zu sehr Wiener geworden ist. In Wien ist es nämlich cool, keine Tracht zu besitzen und noch cooler Trachten, nicht zu mögen. Hier ist ja alles ein politisches Statement, so auch meine gequetschten Brüste. Wienern ist schon oft saufad.

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Jedenfalls waren unsere Erwartungen sehr niedrig, aber ich habe mich gefreut, dass ich mein Dirndl ausführen kann. Das Gelände vom Wiener Wiesn-Fest befindet sich am Praterstern, was ich belustigend finde, da mir als eine unpassendere Location quasi nur der Abschnitt zwischen der U6-Station Thaliastraße und Josefstädterstraße einfallen würde. Der Praterstern ist viel, nur nicht traditionell. Das Einzige, was der Location für das Fest eine Berechtigung gibt, ist die alkoholgeschwängerte Aura, die die Wiese vor dem Riesenrad ausstrahlt.

Der Einlass ins Gelände ist gratis, was ich ehrlich gesagt nicht so erwartet habe. Und am Gelände sind einige Zelte: Insgesamt habe ich drei gezählt, plus sämtliche "Stadln" von ORF, Penny und Servus-TV. Unser Staatssender ist also vertreten und zwar genau gegenüber vom Penny-Stadl. In dem zu jedem Zeitpunkt mehr Party abging als beim ORF.

Hi Tech-Zelt. Come on.

Es gibt auch wahnsinnig viele Standln, bei denen man sich Trachten, Trachten-T-Shirts, Lebkuchen-Herzen und lauter so Wiesn-Zeug kaufen konnte. Das Problem: Sie wollten unbedingt so sehr wie ein echtes München Wiesn-Ding rüberkommen, dass sie es für mich nur als halbherziges, hochnäsiges Plagiat geschafft haben. Das Herbstfest in Rosenheim ist mehr Wiesn als die Wiener Wiesn. Zumindest vom Gelände her. Zum Beispiel: Wo waren die ganzen Attraktionen? Das Riesenrad mit der Skoda-Werbung zählt nicht. Wo waren die kotzenden Dirndln und Buam?

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Was mir auch auffiel: Es waren echt viele Familien da. Also so Menschen mit Kindern. Nur es gab eben keines oder kaum Kinderprogramm. Sprich, da ging es in den Zelten ums Saufen und außerhalb ums Shoppen. Ich bin bei Gott keine Pädagogin, aber die Kinder zum Umhacken mitzunehmen und sich dann einzureden, man hat am Wochenende was Nettes mit den Kindern gemacht, ist schon eher weiter oben auf der Selbstlüge-Latte.

Außerdem hatte auch hier nur jede dritte Gruppe Tracht an. Es gab in den Zelten echt viel Multikulti. Da waren alte, dicke Wiener, die ihre ausländisch aussehenden Frauen in Dirndl mitgenommen haben und mit ihnen auf den VIP-Bänken saßen. Es waren ganz viele asiatische Touristengruppen dort. Und dann ganz viele Neo-Wiener, also eigentliche Landmenschen, die aber in Bad Oaschloch keinen Job bekommen haben und seitdem ihr Dasein in der verhassten Hauptstadt fristen müssen. Und natürlich ein paar Jus/WU-Menschen. Ich denke, in München sind die Gäste ähnlich aufgestellt.

In jedem Zelt konnte man rauchen, was ich hier löblich hervorheben möchte. Ich habe keine Ahnung von Brandschutz und die Rauchergesetze waren mir immer egal, aber alle Zelte fürs Rauchen freizuschalten, ist mutig und cool. Mutig deshalb, weil die Deko aus Papier besteht und cool, weil ich selbst gerne rauche. Die Kinder waren ein bisschen arm, vor allem, weil in jedem Zelt auch noch eine laute Band gespielt hat, die die besten Zeltfest-Hits drauf hatte. Aber hier wieder das typische Hauptstadt-Problem: Es war jede Band zu gut. Da war niemand angesoffen, die sexuellen Zwischenmeldungen des Sängers waren zu lasch und jeder hat perfekt gespielt. Auf einem richtigen Trachtenfest ist das nicht so. Ich weiß es.

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Auch das Licht war zu gut. Die Kellner waren zu freundlich und ungestresst. Es war alles so perfekt, dass ich willkürlich Sachen umstoßen wollte. Oder die Papier-Deko nur kurz an meine Tschick halten wollte. Als ich ein Zelt für mich gefunden hatte, habe ich vier Männer kennengelernt: Kurt, Franz, Christian und Alex. Zwei von ihnen sind in einem Lokal im zehnten Gemeindebezirk angestellt und sie sind nach ihrer Schicht mit ihren Stammgästen hergekommen. Ich habe mich auf anhieb mit ihnen verstanden, mit ihnen ein paar Maß Bier gesoffen und auf den Bänken getanzt. Außer mit Kurt, der Cola getrunken hat. Bei Alkohol und Dart-Spielen wird er angeblich ungehalten.

Es wurde auch richtig deep, als ich Christian erklärt habe, was ich hier tue und wie genau ich meine Erfahrungsberichte schreibe. Ich sagte zu ihm: "Ich hoffe, das lesen einige Menschen." Christian meinte—und traf damit sehr ins Schwarze—: "Jo, manchmal, wenn ma fad is und i am Heisl sitz, les i a und es is ned ois guad, wos i les." Versteht ihr? Es ist egal, wie viele Menschen das hier lesen, es ist und bleibt ein Blödsinn. Ich wünschte, wir alle wären ein bisschen so wie Christian.

Ich hatte trotzdem sehr viel Spaß.

Um 19:00 Uhr machte unser Zelt zu. Eigentlich wollte die Band mit "Joanna, du geile Sau" schließen, was einer meiner Lieblingssongs ist, aber sie schlossen dann doch andächtig mit "I am from Austria". Und da standen alle kollektiv auf, schwenkten ihre Werbegeschenk-Fahnen und waren ergriffen. Ich war vom—wohlgemerkt gesunden—Patriotismus des Zeltes ergriffen.

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Ich verlor dann auch meine vier Freunde, weil es hieß, dass es in einem Zelt weitergeht, in dem man zwölf Euro Eintritt zahlt. So ein Fest ist mir auch noch nie untergekommen. Also eines, bei dem man Eintritt für ein Zelt zahlt, aber OK. Wie Franz auch richtig anmerkte: "Des sind ja dann 22 Euro für mi, na des loss i aus." Er hat das Maß gleich mitgezählt, ich hatte Herzchen in den Augen. In dem Zelt war auch davor Waterloo und es wurde ein geheimer Stargast angekündigt. Die Stimmung wurde zwar in der Nacht lockerer und besoffener, aber das Zelt mit Eintritt füllte sich nur langsam und alle meine Freunde waren weg. Somit war es Zeit für den wankenden Heimweg.

Fazit: Man kann es sich schon geben, vor allem in den Gratis-Zelten. Am Wochenende ist da die Hölle los und die Dichte an Menschen, die vor Sonnenuntergang speiben, auch höher. Es kommt aber natürlich nicht an ein Fest auf dem Land an. An irgendetwas in Bayern schon gar nicht. Die Wiener Wiesn tut auf München mit den VIP-Bänken und der Lichtshow. Das wäre gar nicht notwendig, da Österreicher sehr gut eigene Zeltfeste feiern können. Außerdem ist sie ein schlechtes Plagiat. Mit den richtigen Freunden (die eine Tracht besitzen) kann es dort aber schon ziemlich lustig sein.  Die Musik ist die beste Rauschuntermalung und zehn Euro für einen Liter Bier finde ich OK. Aber aufpassen: Sobald man aus dieser Zauberwelt raus ist, wird man in den U-Bahnen wieder verächtlich angestarrt.

Fredi auf Twitter: @schla_wienerin

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