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Was zur Hölle hat es mit den Wahlkampfsongs auf sich?

Warum haben es Parteien auch im 21. Jahrhundert nicht verstanden, dass Wahlkampfsongs eigentlich nur zur allgemeinen Belustigung dienen?

Screenshot aus "HC Strache Rap 2014 feat. Leopold Figl: Patrioten zur Wahl!" | YouTube

Kurz vor dem Wahltag bricht bei vielen Parteien das sogenannte "Wahlkampffieber" aus. Dabei kann man bei vielen Parteien die fiebertypischen Symptome "Heißer Kopf" und "Kalte Füße" beobachten. Nach den ersten Wahlumfragen bricht der Angstschweiß aus, der eigene Kopf ist vom Dauer-Wahlmodus schon überhitzt. Hauptsache, man bekommt die Aufmerksamkeit der "mündigen" Bürger. Also gibt es von den meisten Parteien eine schier endlose Reizüberflutung an absurden Plakatsprüchen und fragwürdigen Aktionen. Und weil die Aufmerksamkeitsspanne der meisten Menschen nicht für die 30-minütigen Wahlkampfansagen ausreicht, packt man das ganze Wahlprogramm in "poppige" Songs und "mitreißende" Melodien. Besonders in Österreich scheint diese Wahlkampfstrategie—vielleicht kommt es mir auch nur so vor, weil ich Deutsche bin—bis zum äußersten Fremdscham-Moment genutzt zu werden.

Wahlkampfsongs sind natürlich kein landestypisches Phänomen. Sie haben ihren Ursprung in Amerika—schon lange bevor man die Sätze "Die Junge Union ist unsere Mission" oder "Ehrlich, grod und recht" in irgendeinen musikalischen Kontext gesetzt hat. Ursprünglich wurden sie damals eingesetzt, um möglichst viele—auch analphabetische—Wähler zu erreichen. Also könnte man in unserer eher alphabetisierten Welt denken, dass Wahlkampflieder damit schon längst ihre Daseinsberechtigung verloren haben. Doch zum Grauen der hörfähigen Bevölkerung haben sie ihre eigentliche Funktion überlebt. In meiner Verwirrung habe ich deswegen versucht, irgendeine Struktur in dieser politischen Ausdrucksform zu finden.

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Die einfache Methode: Lieder für den "höheren Zweck" missbrauchen

Spätestens seitdem Campino auf der Voices for Refugees-Veranstaltung vor einem hunderttausendköpfigen Publikum der FPÖ ein Spielverbot für "An Tagen wie diesen" erteilte, ist mir klar: Nicht alle Musiker finden es gut, wenn ihre Songs auf Wahlveranstaltungen gespielt werden.

Noch viel fragwürdiger ist da der Versuch von politischen Parteien, erfolgreiche Lieder zu adaptieren und damit zu politisieren. Außer bei solchen, die bereits politisch sind. So ist der inoffizielle Wahlkampfsong für Van der Bellen eine Umdichtung des ÖVP-Wahlkampfklassikers von 1966. Unterschied zur FPÖ ist hier aber, dass man den Urheber wenigstens angegeben hat. Tut man das nicht, muss man wie im Falle des FPÖ-Strahlemanns Strache ziemlich viel Geld bezahlen. Für das Liebeslied von Werner Otti, das ein bisschen zu sehr an Leona Lewis' "Run" erinnert, hat er sich schon mit Universal angelegt. Ich muss hier nicht erwähnen, dass geklaute Ideen nicht gerade die beste Parteienwerbung sind, oder?

Wischiwaschi-Lieder, um auf Nummer sicher zu gehen

Diese Lieder beinhalten so viele Phrasen, dass sie für wirklich jede beliebige Partei funktionieren könnten. Meistens werden Allgemeinbegriffe und heroische Forderungen wie "Geborgenheit", "Glück" und "Frieden" in dem inflationären Ausmaß eines ganzen Bourani-Albums eingesetzt.

Sie dienen aber sowieso nur als Hintergrundgedudel für Veranstaltungen oder Wahlwerbespots mit lachenden Kindergesichtern.

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Gut zu beobachten ist das an der Wahlkampfballade "Oberösterreich. Mei Dahoam." Nicht nur, dass da wirklich mit keiner Silbe eine konkrete Forderung benannt wird: Das Lied ist so inhaltsleer und allgemein, dass sich FPÖ-Anhänger das Lied für ein eigenes Musikvideo zu Nutze gemacht haben. Wie gesagt—Phrasen, die auf JEDE Partei zutreffen.

Getoppt wird das nur von der SPD, die für die Europawahl 1998 in einem furchtbar schmalzigem Musikvideo verkündet haben, dass sie jetzt "wie Wolken sein" wollen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum Wahlkampfsongs in meinem Geschichtsunterricht nie eine Rolle gespielt haben: Man will sie vergessen.

Songs mit "überzeugenden" Botschaften

Botschaften musikalisch zu vermitteln, ist eben nicht nur der Urgedanke des Wahlkampfsongs, sondern auch eine gute Variante, um sein patriotisches Gedankengut loszuwerden.

Dafür bietet es sich beispielsweise an (besonders bei Bezirksparteien), die Schönheit der Stadt zu beleuchten. Das ist zwar größtenteils nicht der Verdienst der Partei, aber immerhin kann dadurch das geografische Wissen der Partei gezeigt werden. Zudem kann man dabei auch ein relativ ideenarmes Musikvideo mit den genannten Sehenswürdigkeiten produzieren (Ja, SPÖ Linz, du bist gemeint).

Aber nicht nur die Stadt wird besungen, sondern auch der Kampfgeist: Die BZÖ verpackt beispielsweise die relativ aggressive Botschaft "Genug gezahlt!" in Gute-Laune-Pop. Und die BZÖ kann noch mehr Musikgenres entfremden: Da wird auch schon mal die Jörg-Haider-Rede einer Technokur unterzogen. Aber—und das sollten sich alle Wahlkampfsong-Produzenten bitte überlegen—selbst wichtige Zitate oder ganze Reden in ein Lied einzubauen, verändert nichts an der schlecht gemixten Gesamtheit. Leopold Figl hätte sich bestimmt im Grab umgedreht, wenn er seinen Namen auf dem CD-Cover von "Patrioten zur Wahl" gesehen hätte.

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Der Wahlforscher Fritz Plasser erklärt mir außerdem, dass Wahlkampfmanager neues Potenzial in der Mischung aus sozialen Medien, Videoclips und passenden Kampagnensongs sehen. Das erklärt vielleicht auch das aufwendig bearbeitete Musikvideo des aufgewärmten FPÖ-Hymnenhits "Immer wieder Österreich" mit Norbert Hofers theatralisch-leidendem Blick in Minute 1:23. Wo wir auch schon beim wahrscheinlich größten Trend in Österreich wären: Den rechtspopulistischen Ego-Lobeshymnen.

Ausschnitt aus der besagten Minute 1:23 des Musikvideos "Immer wieder Österreich" Screenshot via YouTube

Making myself great again

In Amerika hat sich Donald Trump für seinen Wahlkampf sogar einen fünf-köpfigen Mädchenchor besorgt, der als Trump-Marionette für die Freiheit singt. Dennoch kann niemand auf musikalischer Ebene mit der FPÖ mithalten. Die haben eine blaue Lady, eine hauseigene Band und sogar einen rappenden Klubobmann.

Zugegeben—Richard Lugners tanzbare Wahlkampfrede bot nicht nur einen Grund, ihn nicht zu wählen, sie lieferte auch in knapp 200 Sekunden ein weiteres Beispiel für die unberechtigte Existenz von Wahlkampfsongs.

Aber es kann eben nur einen Kanye West der Wahlkampfsongs geben. Und niemand stellt sein narzisstisches Wesen in seinen Songs so gut zur Schau wie Heinz-Christian Strache. Während die meisten Parteien ihre musikalischen Ergüsse irgendwann aus dem Internet entfernten (vielleicht aus Scham?), kann man sich durch die gesamte Diskografie des selbsternannten "Good Men(sch)" klicken. Er ist der Grund, warum ich mich das erste Mal mit Wahlkampfsongs in irgendeiner Form auseinandergesetzt habe. Aber auch der Grund, warum ich für deren Abschaffung plädiere.

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Strache deckt nämlich das gesamte Spektrum ab. Selbstverherrlichende Songs von Haus-und-Hof-Sänger Werner Otti, Schmutzkampagnen in Form des Battle-Raps "Patrioten zur Wahl" oder der recycelte Wien-Wahl-Song "Immer wieder Österreich" für Buddy Norbert Hofer. Er ist sich für keinen schlechten Reim oder mittelmäßige Punchline zu schade. Während wir uns danach nie wieder den Donauwalzer ohne MCBlues halbgarer Rap-Versuche vorstellen können, werden die Smashhits auf jeder FPÖ-Wahlparty von der Masse mitgesungen. Im Internet erreichen Songs wie "Steht auf, wenn ihr für HC seid!" eine Klickzahl in der Höhe von ca. zwei Dritteln der Wiener Bevölkerung—und das muss man ihm lassen, seine Songs mobilisieren und erregen höchstwahrscheinlich nicht nur zur allgemeinen Belustigung Aufmerksamkeit.

Leider wollte uns Wahlkampfmanager Herbert Kickl auch auf mehrmalige Anfrage nicht das Geheimrezept für die FPÖ-Wahlhymnen verraten. Stellvertretend hat sich der Pressesprecher von Team Stronach, Herwig Mohsburger, zu einem kurzen Statement bereiterklärt—schließlich hat Lugar dem Hofer ja erst letztens einen Song gewidmet: "Die 'Wahlkampfsongs' haben in meinen Augen einen ähnlichen Stellenwert wie Feuerzeuge, Kugelschreiber—also die üblichen kleinen Geschenke bei Wahlen. Die Menschen sollen aufmerksam gemacht werden."

OK, jeder weiß, dass Feuerzeuge und Kugelschreiber von Parteien meistens geschmacklos sind. Wahlkampfsongs sind also eine pure Täuschung der Sinne und nur deren Parodien eigentlich wirklich unterhaltsam. Wichtige Ziele und politische Botschaften sollte man nicht in mitreißende Poprhythmen und dazugehörige Amateur-Musikvideos verpacken. Egal, mit welchem Geschenkpapier dein auditives Werbegeschenk auch eingepackt sein wird: Ist es ein Feuerzeug der FPÖ, bleibt es selbst mit Echtblattgold-Geschenkpapier immer noch scheiße.

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