Ist Xenophobie eine Krankheit – und wenn ja, kann sie geheilt werden?

Facebook ist super: mit Menschen aus aller Welt vernetzen, in Kontakt bleiben, aus Höflichkeit die Posts von Freunden liken oder (quasi) von Jesus höchstpersönlich kontaktiert werden. Doch das soziale Netzwerk unseres Vertrauens ist gleichzeitig auch ein Medium, wo in Zusammenhang mit Flüchtlingen über brennende Kinder und „Erschießen und vergasen” fantasiert wird.

Rassistisch motivierte Posts und Vorurteile gegenüber Asylwerbern und Flüchtlingen scheinen im Schatten der aktuellen medialen und politischen Stimmung aufgeheizter denn je zu sein. Häufig ist das Wort „Xenophobie” zu hören, das meist synonym für Ausländerfeindlichkeit gebraucht wird.

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Ich habe von Psychologie nur bedingt Ahnung, doch wenn Xenophobie auf einer Stufe mit Klaustrophobie, also Platzangst, oder Arachnophobie, der Angst vor Spinnen, steht, muss es dafür ja auch Therapien geben. Mit dieser Frage im Hinterkopf habe ich mich mit Dr. Michael Leodolter getroffen, der als Psychiater und Psychotherapeut eine Ordination im 1. Wiener Bezirk betreibt.

VICE: Was ist Xenophobie im medizinischen Sinn?
Dr. Michael Leodolter: Xenophobie ist ein schrecklicher oder schöner—je nachdem, wie man das sieht—griechischer Ausdruck, und heißt so viel wie die Angst vor dem Fremden. Daneben gibt es andere Phobien wie etwa die Platzangst, die Angst vor weiten Räumen, vor Spinnen, Höhenangst oder dass man rot wird oder zu viel schwitzt.

Ist Xenophobie mit diesen anderen Phobien vergleichbar?
Eigentlich ist sie etwas ganz anderes, weil Xenophobie ein gesellschaftliches Phänomen ist und der einzelne Mensch unter seiner eigenen „Fremdenangst” ja nicht leidet. Es schmerzt nicht, wenn man xenophob ist—wobei man durch den eigenen Hass schon in gewisser Hinsicht eingeschränkt wird. Es ist also die Frage, wie die Xenophobie oder der Fremdenhass sich in jedem einzelnen Individuum abspielt, also wie der Hass, die Angst und der Neid innerlich verarbeitet werden.

Xenophobie ist am ehesten eine Perversion, die eher befriedigend als schmerzhaft wirkt. Das verhält sich ähnlich wie mit der Pornografie.

Kann Xenophobie als Krankheit bezeichnet werden?
Aus medizinischer Sicht würde ich Xenophobie nicht als Krankheit, sondern eher als Perversion oder perversive Struktur definieren, die eher befriedigend als schmerzhaft wirkt. Das verhält sich ähnlich wie mit der Pornografie.

Inwiefern wirkt Xenophobie befriedigend?
Es befriedigt, wenn man so richtig die Sau raus lässt—egal ob im Wirtshaus oder im Internet. Xenophobe Menschen genießen den Moment, in dem sie der Wut freien Lauf lassen. Symptome von psychischen Störungen wirken ja oft befriedigend: Essgestörte fressen in sich hinein, übergeben sich oder essen gar nichts—das sorgt zumindest kurzfristig für Befriedigung. Alkohol- oder Drogensüchtige schätzen auch den momentanen Kick und blenden die Konsequenzen, die sich später einstellen, aus.
Eine weitere Besonderheit hat die Xenophobie auch noch: Bei den Betroffenen wird sie nicht als Störung wahrgenommen, sondern im Gegenteil als das Normale und Richtige angesehen.

Sie hatten also noch keine Patienten, die sich selbst als krankhaft xenophob beschrieben und um Hilfe gebeten haben?
Nein. Xenophobie hat wie gesagt einen perversen Lustcharakter. Ich lade die Fremden mit meinen Problemen und Ängsten auf und lasse meine Wut dort ab. Das ist eher ein Ventil in Form eines irrationalen, impulsartigen Hinuntertretens. Das geht nicht übers Hirn, sondern eher über den Bauch.

Warum werden Menschen überhaupt xenophob?
Fremdenfeindlichkeit beruht—so wie beispielsweise die Angst vor Mäusen oder vor Spinnen—darauf, dass man etwas angstbesetzt. Man projiziert seine eigenen Ängste, die man mitunter von der Familie mitbekommen hat, auf andere. Wobei man diese Verhaltensmuster nicht mit dem „Fremdeln” von Säuglingen verwechseln darf, weil das ein durchaus wichtiger Lernprozess ist.
Bei der Xenophobie kommt eine vorteilslose Bösartigkeit ins Spiel. Es gibt Vermutungen, dass 5 Prozent der Menschen, oder auch mehr, einfach Lust am Leid anderer haben. Dem gegenüber steht eine nützliche Bösartigkeit, die einen nachvollziehbaren Kern hat. Dazu zählen auch Kriminelle wie zum Beispiel Bankräuber, die sich durch ihre Taten einen eigenen Vorteil erhoffen.
In bestimmten Situationen, in denen Menschen Macht über andere ausüben, kann diese nutzlose Bösartigkeit aber herausbrechen—etwa in Erziehungsheimen, im Militär oder in Konzentrationslagern.

Bei xenophoben Menschen hilft wahrscheinlich nur, wenn man es ihnen verhaltenstherapeutisch „austreibt”.

Gibt es für Xenophobie eine Therapie wie etwa bei Höhenangst?
Zu mir in die Praxis kommen eher die Opfer, wie zum Beispiel Asylwerber oder Migranten. Ich glaube jedenfalls nicht, dass durch individuelle Therapien bei xenophoben Menschen irgend etwas erreicht wird. Vor allem, weil der „Betroffene” wie erwähnt nicht im klassischen Sinne selbst leidet. Es gibt dazu einen guten Witz: Eine englische Lady liegt im Bett und träumt. Sie träumt, dass ein großer, dunkelhäutiger Mann sich ihrem Bett nähert. Sie schreit im Traum: „Nein, tu es nicht” und der Schwarze beginnt zu lachen und sagt: „Was soll ich nicht tun? Das ist dein Traum”.
Bei xenophoben Menschen hilft wahrscheinlich nur, wenn man es ihnen verhaltenstherapeutisch „austreibt” und offen anspricht, dass es keine rationalen Gründe dafür gibt, vor Fremdartigem per se Angst zu haben und dadurch Aggressionen zu entwickeln.

Ist Xenophobie Ihrer Meinung nach im Laufe der letzten Jahre verbreiteter oder eher weniger geworden?
Die Zivilcourage ist in Österreich traditionsgemäß ein etwas unterentwickeltes Pflänzchen, wobei es in den letzten Jahren besser geworden ist. Es ist heute durch das Internet und dank Social Media einfacher und komfortabler, xenophobe Ansichten in die Welt zu posaunen. Interessant finde ich persönlich, dass wir im Zuge der Ungarn-Krise im Jahr 1956 und 1957 sehr freundlich und bereitwillig Flüchtlinge aufgenommen haben—erneut dann beim Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in der damaligen Tschechoslowakei 1968 und dann später noch mal bei Jugoslawien-Krieg. Es ist schade, dass es uns jetzt anscheinend zu gut geht und viele leider auf Menschlichkeit und Nächstenliebe vergessen.

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