Politik

"Es ist gut, dass Soleimani tot ist"

Das sagen Deutsch-Iranerinnen und -Iraner zum Konflikt zwischen USA und Iran.
Umrisse einer Person vor Teheran und Berlin
Foto: Teheran: imago images | Photocase ||

Berlin: imago images | Dirk Sattler

Im iranischen Staatsfernsehen kann man zurzeit dramatische Bilder sehen: Flammen fressen sich durch die US-Flagge, die ein Mann durch die iranische Stadt Kerman trägt. Er nimmt Teil an der Beisetzung von General Qasem Soleimani, der in der in der vergangenen Woche durch einen US-Angriff getötet worden ist. Tausende Iraner sind bei dem Trauermarsch mitgelaufen. Viele weinten, manche schrien: "Tod den USA".

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"Propaganda", sagten die USA und strahlten Bilder von in ihren Wohnungen feiernden Iranern aus.

Europäische Medien sahen das etwas anders. Propaganda? Na ja. Immerhin zeigten sie auch die andere Seite: Weinende Iranerinnen und Iraner, die unter Schock stehen.

Zu Lebzeiten war Soleimani ein ranghoher iranischer Militär und enger Vertrauter des religiösen Oberhaupts Ajatollah Chomeini. Im Tod ist er Märtyrer oder Teufel, je nachdem, wem man zuhört.

Der Iran kündigte Konsequenzen an. In den sozialen Medien fragten Menschen: Kommt jetzt der Dritte Weltkrieg? Bislang sieht es nicht so aus. Die Reaktion des Staats fiel deutlich milder aus als zunächst befürchtet.

Was denken die Iranerinnen und Iraner, die in Deutschland leben, darüber? VICE hat drei junge Deutsche iranischer Herkunft gefragt, ob sie um die Situation im Land bangen. Sie alle haben Familie und Freunde in dem Land und verfolgen die Ereignisse auf Englisch, Deutsch und Persisch. Aus Sorge vor politischen Konsequenzen sprechen sie hier anonym.

Arian, 26: "Es ist gut, dass Soleimani tot ist"

"Ich habe gerade zum dritten Mal eine Reise in den Iran abgesagt, jedes Mal wegen politischer Unruhen. Als ich die Nachricht vom Tod Qasem Soleimanis las, war ich geschockt – ich wusste, dass er einer der wichtigsten Männer im Staat ist.

Wie die meisten Deutsch-Iranerinnen und -Iraner stehe ich dem iranischen Regime kritisch gegenüber. Es ist gut, dass Soleimani tot ist. Aber ich weiß, dass viele das anders sehen. Als ich in Teheran studierte, kämpfte Soleimani gegen den Islamischen Staat. Viele Iranerinnen und Iraner fürchteten sich vor der Terrormiliz. So machte er sich sehr beliebt.

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Ich habe Angst davor, dass die Situation zwischen den beiden Staaten eskaliert. Ich glaube zwar nicht an einen großen Krieg zwischen Iran und den USA. Der Iran weiß, dass er nicht gewinnen kann. Trotzdem zeigen die Angriffe auf US-Stützpunkte im Irak, dass der Iran immer wieder Aggressionen gegenüber den USA ausüben wird. Und dass die USA ein Attentat auf einen so wichtigen Funktionär verüben, macht viele Menschen im Iran wütend. Sie wollen nicht, dass sie sich in iranische Angelegenheiten einmischen.

Im November sind die Menschen für Veränderungen auf die Straße gegangen, nun wird die Regierung wieder stabiler und Veränderungen unwahrscheinlicher. Das Attentat hat dem Regime geholfen: Über einen Krieg könnten sich Konservative mit den Reformern wieder zusammenschließen. Die Iranische Bevölkerung hat die Hoffnung auf Reformen aber inzwischen fast aufgegeben.

Trotzdem wenden sich immer mehr Leute gegen das Regime. In den sozialen Medien schreiben viele junge Menschen, dass sie nicht für den Iran in einen Krieg gegen die USA ziehen würden."

Alina, 25: "Ihr Geld ist nichts mehr wert"

"Internationale Medien stellen die Reaktion der Iranerinnen und Iraner auf Soleimanis Tod falsch dar. Im US-Fernsehen sieht man Bilder von Feiernden, deutsche Medien zeigen Menschen, die sich weinend auf der Straße zusammenkauern. Es werden nur die Extreme dargestellt. Aber die iranische Bevölkerung ist nicht so homogen, dass es entweder das eine oder das andere ist.

Mich hat schockiert, dass die USA so einen direkten Angriff durchgezogen haben. Dass die das einfach bringen! Für mindestens 24 Stunden wusste ich nicht, was nun passieren würde.

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Viele Iranerinnen und Iraner in Deutschland sind überfordert und verwirrt von den Nachrichten der vergangenen Woche. Sie haben sich gerade erst von der Internetsperre während der Proteste am Ende des letzten Jahres erholt. Sie konnten keinen Kontakt zu Familie und Freunden aufnehmen, sahen in den Medien nur Bilder von der brutalen militärischen Reaktion des Regimes. Und dann kommt schon der nächste Schock.

Der milde Gegenschlag des Irans ist ein Signal: Sie wollen keine Eskalation. Ich glaube momentan auch nicht, dass es einen Krieg geben wird. Aber ich fürchte mich davor, dass die USA die Sanktionen verschärfen. Darunter leiden die Menschen dort bislang am meisten.

Ich habe ein Jahr in Teheran studiert, damals war ein Euro etwa 35.000 Rial wert. Heute liegt der Wechselkurs bei 1 zu 46.000.

Für die Bevölkerung ist das ein Problem: Ich kenne einige Leute im Iran, die Zusagen von den besten Universitäten der Welt haben. Aber sie können ihre Plätze nicht antreten, weil der Iran sie nicht gehen lässt – oder weil ihr Geld einfach nichts mehr wert ist."


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Niyousha, 27, "Man muss sich vorstellen, jemand würde einfach so Annegret Kramp-Karrenbauer töten"

"Bis zu seinem Tod kannte ich Soleimani nur aus dem Politik-Studium. Ich wusste, was seine Position ist, und dass er ein enger Vertrauter von Ali Chameini, dem religiösen Oberhaupt des Irans, war. Trotzdem hat das Attentat der USA mich wütend gemacht. Es war einfach so provokativ. Ich dachte, Trump hat jetzt endgültig den Vogel abgeschossen. Man muss kein Fan von Soleimani gewesen sein, um das zu denken.

Ich stehe dem Regime kritisch gegenüber. Ich bin im Iran geboren. Als ich acht Jahre alt war, kamen meine Familie und ich als politische Flüchtlinge nach Deutschland. Menschenrechtsverletzungen, Korruption – der Iran ist sicher kein Vorzeigestaat.

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Aber Soleimani war immer noch Teil einer eigenständigen Regierung. Man muss sich vorstellen, jemand würde einfach so Annegret Kramp-Karrenbauer töten. Vielleicht kann man das nicht direkt vergleichen, aber ich will damit sagen: Ihn einfach so zu töten, ist gegen das Völkerrecht.

Iran und USA sind zwei so aufgeladene Parteien, die sich so sehr hassen, dass niemand mehr im Interesse der Bevölkerung handelt. Der Iran denkt über Vergeltungsschläge nach, die USA will weitere Sanktionen verhängen.

Ich fürchte, dass sich die ganzen Bilder im Kopf der Menschen festsetzen. Millionen Menschen auf der Straße, brennende Israel- und USA-Flaggen. Das festigt dann wieder so ein bestimmtes Bild vom Iran.

Ich habe aber auch das Gefühl, dass die Attacke etwas Positives bewirkt hat. Einige Menschen, die sich sonst nicht mit der Nahost-Politik der USA beschäftigen, sagen nun: Das geht so nicht. Das finde ich wichtig."

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