Drogen

Die Paare, die im Lockdown versucht haben, mit Kokain ihre Beziehung zu stärken

"Koksen beschädigt die Nasenscheidewand, hat psychische Folgen und kann bei Überdosis zum Herzstillstand führen", sagt ein Suchtberater zu diesen gefährlichen Selbstversuchen.
LB
illustriert von Lily Blakely
Illustration von einem jungen Paar an einem Tisch mit Kokain, mehrere Paare haben im Lockdown zusammen Kokain genommen und Beziehungsgespräche geführt, der Konsum hat aber auch ein großes Risiko.
Illustration: Lily Blakely

Es ist kein Geheimnis, dass sich viele Paare im vergangenen Jahr auf die Nerven gegangen sind – einem niemals enden wollenden Lockdown und allgegenwärtigem Pandemie-Stress sei Dank. Allerdings hat das nicht zu so vielen Trennungen geführt, wie man vielleicht denken würde. Eine Umfrage von Elitepartner ergab im Dezember 2020, dass nur etwa zehn Prozent aller Paare unter 30 überlegten, sich zu trennen. Knapp die Hälfte der Befragten gab sogar an, bessere und tiefgründigere Gespräche als vor der Pandemie zu führen. Zahlen für dieses Jahr gibt es noch nicht. 

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Während manche Paare ihre Wut in Kopfkissen schrien oder sich gegenseitig so viel Platz gaben, wie eine 47-Quadratmeter-Wohnung zwei Menschen im Home Office eben bietet, fanden andere einen ungewöhnlicheren Weg, um mit der neuen Lockdown-Realität umzugehen: Sie nahmen Koks und sprachen sich aus.


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"Als der Lockdown kam, nahmen wir es an den meisten Wochenenden und manchmal auch unter der Woche", sagt Rachel, 24. Sie und ihr Freund Tom, 27, arbeiten seit vergangenem Jahr von zu Hause und leben im Norden Großbritanniens. Laut einer YouGov-Umfrage hat sich die Corona-Pandemie dort ähnlich auf Beziehungen ausgewirkt wie im deutschsprachigen Raum. Alle Paare, mit denen VICE sprach, wollten anonym bleiben 

Rachel und Tom sind nicht das einzige Pärchen, das seinen Kokskonsum erhöht hat, seit es mehr Zeit miteinander verbringen musste. Manche machen das sogar neben der Arbeit im Home Office. "Vor dem Lockdown hätte ich mich niemals an einem Abend unter der Woche abgeschossen, aber dann habe ich es sogar tagsüber getan", sagt Sarah. Sie ist 31 und lebt mit ihrem Partner Steve zusammen, ebenfalls 31.

Regelmäßig Koks zu ziehen, ist natürlich alles andere als gesund. Es "beschädigt die Nasenscheidewand, hat psychische Folgen und kann bei Überdosis zum Herzstillstand führen", sagt Nuno Albuquerque, Suchtberater beim UK Addiction Treatment Centre. Trotz der immensen gesundheitlichen Risiken sagen einige Paare, dass der gemeinsame Konsum ihrer Beziehung geholfen habe – zumindest fühlt es sich für sie so an.

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"Wir nehmen uns in der Regel nicht genug Zeit für Sex, weil wir immer viel zu tun haben. Aber wenn wir auf Koks sind, können wir es stundenlang treiben", sagt Dan, 37, der dieses Jahr von London aufs Land nach Wales gezogen ist. Ash, sein 36 Jahre alter Mann, stimmt dem zu. "Unseren ersten richtigen Analsex hatten wir bei so einer Session während des Lockdowns."

Sich gegenseitig stundenlang das Ohr abzukauen, kann sich auf Koks gut anfühlen, nüchtern betrachtet sind diese Gespräche jedoch meistens unerträglich. Mal ehrlich, niemand interessiert sich für dein hypothetisches Drehbuch für eine neue Netflix-Serie, die du dir gerade zusammengesponnen hast. Für manche Paare allerdings hatten die endlosen Koksunterhaltungen allerdings etwas Therapeutisches. "Wir führten ehrlichere und intimere Gespräche, zum Beispiel darüber, ob wir Kinder wollen oder nicht", sagt Rachel. "Das haben wir vor dem Lockdown nie angesprochen, aber jetzt reden wir auch nüchtern darüber." 

Ihr Freund Tom stimmt zu: "Ich fühle mich wie ein neuer Mensch."

Aber bei allen möglichen Vorteilen, als Paar hin und wieder die Nacht durchzumachen: Menschen reagieren unterschiedlich auf Kokain. Manche haben ihren Konsum mehr oder weniger unter Kontrolle, anderen gelingt das gar nicht. "Ash macht einfach weiter und bleibt bis zum nächsten Mittag wach, um alles aufzubrauchen, was noch da ist", sagt Dan sichtlich besorgt.

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"Es wurde so schlimm, dass ich Dan darum bat, es vor mir zu verstecken. Aber ein paar Stunden später wollte ich es dann wieder haben", sagt Ash.

Auch Rachel hat unterschiedliche Konsummuster bei sich und ihrem Partner festgestellt. "Tom besorgt manchmal schon etwas, bevor wir mit den Drinks angefangen haben", sagt sie. "Letzten Freitag hat er was geholt, ohne es mir zu sagen. Dabei hatten wir eigentlich darüber gesprochen, eine Pause einzulegen."

Aber neben den Sorgen um seinen Partner hat Dan auch festgestellt, dass seine eigene Lust auf die Droge zugenommen hat. "Ironischerweise können wir es jetzt gar nicht mehr machen. Mein Verlangen ist stärker als je zuvor", sagt er. Das ging so weit, dass er es nötig fand, von London an einen Ort ohne Trigger zu ziehen. Ash stimmte ihm zu, das Verlangen ist aber geblieben.

Die Paartherapeutin Kate Thompson sagt, dass regelmäßiger Kokainkonsum in der Regel ein Mittel sei, tieferliegende Probleme auszugleichen. Als Therapie solle man das auf keinen Fall sehen. "Wir interessieren uns vor allem für die familiären Systeme, aus denen diese Menschen stammen. Oft liegt ein Bindungstrauma oder Bindungsmangel vor, welche sie dann in der Form von Ängsten mit in die eigene Beziehung nehmen", sagt sie. "Es gibt eine Veranlagung, den Trost in Alkohol oder Drogen zu suchen – als eine Art Rückzugsort für die Psyche oder einfach als Betäubung."

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Albuquerque stimmt zu, dass vor allem Koks Beziehungen stark negativ beeinflussen kann. "Kokainkonsum kann Impulsivität und einen gesteigerten Sexualtrieb hervorrufen, was für ein Paar attraktiv erschienen kann. Untersuchungen haben allerdings ergeben, dass Menschen auf Kokain beim Sex eher nicht verhüten. Insbesondere bei Frauen kann der Konsum den Menstruationszyklus beeinflussen und bei beiden Geschlechtern erhebliche Stimmungsschwankungen auslösen."

Die Behandlung für Paare, die gemeinsam Drogen konsumieren, steht vor besonderen Hürden. Nicht nur müssen beide Parteien anerkennen, dass sie ein Problem haben, und sich einer Behandlung unterziehen, sondern sie müssen danach auch gemeinsam clean bleiben.

Die meisten Suchttherapien konzentrieren sich allerdings auf das Individuum, was bedeutet, dass beide Partner diesen Schritt separat gehen müssen, um eine bessere Chance zu haben, das Drogenproblem auf lange Sicht zu bekämpfen.

Jetzt, da Lockdowns hoffentlich der Vergangenheit angehören, werden sich auch unsere Beziehungen zu unseren Partnerinnen und Partnern ändern wie auch zu Drogen. Aber was ist mit denjenigen, die im vergangenen Jahr eine Vorliebe für Kokain entwickelt haben?

Dan, der extra weg von den Triggern aufs Land gezogen ist, sagt, dass er trotzdem nicht plane, in nächster Zukunft mit der Droge aufzuhören – egal, ob als Paar oder alleine. "Ich habe gar kein Bedürfnis danach", sagt er. "Es ist nämlich etwas, das ich gerne mache."

Du hast ein Suchtproblem oder machst dir Sorgen um betroffene Freunde und Verwandte? Hilfe bei Drogenabhängigkeiten findest du in Deutschland über das Suchthilfeverzeichnis oder unter 01805 31 30 31. In der Schweiz bietet Safezone anonyme Online-Suchtberatung, lokale Suchtberatungsstellen findet man bei Infoset. In Österreich findest du Beratung über den Suchthilfekompass.

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