Illustration einer Person, die in eine leere Brieftasche schaut, im Hintergrund türmen sich Mahnungen und Anziehsachen, viele junge Menschen sind verschuldet
Illustration: Djanlissa Pringels
Menschen

Ich glaube, meine Freundin hat hohe Schulden: Wie spreche ich das an?

Sie lässt sich dreimal am Tag Essen liefern, bestellt jede Woche neue Klamotten und hat einen Stapel ungeöffneter Mahnungen.

"Frag VICE" ist eine Artikelreihe, bei der uns Leserinnen und Leser bitten, ihnen bei verschiedenen Problemen zu helfen – egal, ob es sich um Beziehungsprobleme oder den Umgang mit nervigen Mitbewohnern handelt. Dieses Mal versuchen wir einer Person zu helfen, die befürchtet, dass ihre Freundin ein ernsthaftes Schuldenproblem hat. 

Hi VICE,

ich mache mir Sorgen um eine Freundin, die ich hier Esmée nennen werde. Sie tut so, als wäre alles in Ordnung, aber ich befürchte, dass sie ein schweres Schuldenproblem hat, vor dem sie ihre Augen verschließt. Ich habe Angst, dass sie vielleicht bald ihre Wohnung verliert, aber ich weiß nicht, wie ich ihr helfen soll.

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Soweit ich weiß, hatte Esmée eine normale Kindheit und liebevolle Eltern, die ihr immer alle Freiheiten gelassen haben. Es war zum Beispiel total OK für die beiden, dass sie nicht studieren wollte. Für die Eltern ist alles gut, solange Esmée etwas tut, das sie glücklich macht.

Im Laufe der Jahre hatte sie diverse Jobs, aber ich glaube, sie hat bis heute nicht wirklich herausgefunden, was sie mit ihrem Leben anstellen möchte – was an sich auch kein Problem ist. Sie lebt jetzt seit Jahren in einem sehr kleinen, aber cuten Appartement in Groningen in den Niederlanden. Ihr Leben ist ein bisschen chaotisch. Sie ist sehr spontan und eine Nachteule ohne geregelten Tagesablauf. Lauter Eigenschaften, die ich immer sehr an ihr geschätzt habe, aber jetzt habe ich Angst, dass sie ihr Untergang sein werden.

Esmée wurde vor einiger Zeit wegen Burnout als arbeitsunfähig eingestuft. Seitdem lebt sie von Sozialhilfe. Hin und wieder probiert sie einen neuen Nebenjob aus, aber nach ein paar Wochen bricht sie wieder zusammen und schmeißt alles hin. Ich habe das Gefühl, ihr Leben hat jegliche Struktur verloren. 

Manchmal liegt sie den ganzen Tag im Bett und hockt dann die Nacht nur vor dem Fernseher. Sie kocht nicht und bestellt ständig Essen. Als ich mal bei ihr übernachtet habe, wollte sie dreimal bei Lieferdiensten bestellen, anstatt einmal zum Supermarkt zu gehen. Sie bezahlt außerdem eine Reinigungskraft für ihre Wohnung und kauft ständig teure Geschenke für das Baby ihres Bruders. Jede Woche bestellt sie neue Klamotten im Internet. Ihre Wohnung ist voll von dem Zeug. Sie spendet jeden Monat ein paar Kleidungsstücke, aber ich habe keine Ahnung, wie sie sich das überhaupt leisten kann. 

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Ich war vor ein paar Wochen in ihrer Wohnung, um ihre Fische zu füttern, weil sie übers Wochenende verreist war, und ich habe einen Stapel ungeöffnete Briefe von Klarna gesehen, einem Dienstleister für Online-Bezahlungen. Mir sind auch ein paar Mahnungen und Zahlungsaufforderungen aufgefallen. Einige der ungeöffneten Briefe waren schon mehrere Monate alt.

Einmal habe ich Esmée vorsichtig gefragt, ob alles OK sei und ob sie Hilfe bräuchte – "finanzielle Unterstützung", wie ich es formulierte. Sie meinte nur, dass alles OK sei, außerdem würde ich klingen wie ihre Mutter.

Wie kann ich mit ihr vernünftig darüber reden? 

Viele Grüße

M.


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Hi M.,

durch die steigenden Lebenserhaltungskosten und einen starken Anstieg psychischer Erkrankungen haben viele junge Menschen finanzielle Probleme, kommen mit ihren Ausgaben nicht zurecht und häufen Schulden an. Wenn deine Freundin wirklich Schulden hat, ist sie damit also auf keinen Fall allein. Obwohl du vielleicht das Gefühl hast, dass in deinem Bekanntenkreis sonst alle ihre Finanzen im Griff haben, sieht es hinter verschlossenen Türen vielleicht anders aus. Geld ist ein sensibles Thema, mit dem viele nicht so offen umgehen. Wie spricht man solche Probleme also sinnvoll an?

Annemiek den Held ist eine Sozialarbeiterin in Amsterdam, die Menschen dabei hilft, ihre Miet- oder Versicherungsschulden zu tilgen. Was du in deinem Brief beschrieben hast, könne definitiv auf finanzielle Probleme hinweisen, sagt sie.

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"Zahlungserinnerungen und Mahnungen können ein guter Ausgangspunkt für ein Gespräch mit einer Betroffenen sein", sagt den Held. "Das sind tatsächlich Hinweise darauf, dass Esmée Probleme hat, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Das heißt nicht zwangsläufig, dass sie finanzielle Probleme hat, aber möglicherweise verpasst sie Zahlungstermine."

Den Held hat häufig beobachtet, dass verschuldete Menschen sich damit trösten, sich neue Sachen zu kaufen – gerade jetzt, da viele Zahlungsdienstleister Ratenzahlungen und eine spätere Bezahlung anbieten. Das macht es leichter denn je, Geld auszugeben, das man nicht hat.

"Stress macht mit dem Gehirn verrücktes Zeug", sagt den Held. "Es kann die Fähigkeit beeinträchtigen, nachhaltige Entscheidungen zu treffen, und lässt einen stattdessen Dinge tun, die sich kurzfristig gut anfühlen." Das könnte auch Esmées Online-Shopping-Verhalten und die Essensbestellungen erklären. Das sind kurzfristige Lösungen für echte und akute Probleme.

"Schulden entstehen häufig, nachdem viele Dinge bereits zusammengekommen sind", sagt den Held. "Eine hohe Stromrechnung allein ist vielleicht kein Problem, aber wenn du mehrere Zahlungen verpasst hast, schraubt sich das schnell in die Höhe. Wenn es dir obendrein psychisch nicht gut geht, kann es schwierig sein, dich pünktlich um Sachen zu kümmern. Es ist wie bei Dominosteinen."

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Die Sozialarbeiterin empfiehlt, das Thema anzusprechen, wenn ihr zu zweit seid und genug Zeit zum Reden habt. "Es ist sehr leicht, ihr einfach Vorwürfe zu machen oder ihr zu zeigen, wie schockiert du bist, aber das würde überhaupt nicht helfen", sagt sie. "Du willst nicht, dass Esmée sich fühlt, als würdest du sie bemuttern. Du willst ihr zeigen, dass du ihr zuhörst und für sie da bist. Wie eine Freundin."

Wie genau man Schulden am beste in Angriff nimmt, unterscheide sich von Person zu Person, sagt den Held. Es sei extrem wichtig, sie nicht zu verurteilen, sondern herauszufinden, was ihr am meisten hilft. Braucht Esmée eine Finanzberatung? Braucht sie einfach jemandem zum Reden? Oder würde es ihr helfen, wenn jemand dabei ist, wenn sie die ganzen Briefe und Mahnungen öffnet, die sich bei ihr stapeln?

Du kannst Esmée auch im Alltag helfen. Du könntest zum Beispiel mit ihr zum Supermarkt gehen und gemeinsam ihren Wocheneinkauf erledigen. Oder ihr kauft euch mal eine Flasche Wein und macht euch einen schönen Abend zu Hause, anstatt auszugehen. "Was sehr wahrscheinlich nicht helfen wird, ist, Esmée Geld zu geben", sagt den Held. "Bevor du diesen Schritt unternimmst, ist es wichtig, dir genau anzuschauen, was eigentlich bei ihr los ist. Ansonsten läufst du Gefahr, Geld in ein Fass ohne Boden zu werfen."

Um Hilfe zu bitten ist der erste Schritt, um sicherzustellen, dass keine weiteren Dominosteine mehr umfallen. Der nächste ist, sich die Gesamtsituation anzuschauen. Schulden sind häufig ein Symptom für ein tieferliegendes Problem. Vielleicht kämpft Esmée mit Depressionen, vielleicht fehlt ihr eine Routine.

Es ist auch wichtig, dass du dich gut informierst, bevor du deiner Freundin Ratschläge gibst. Du kannst ihr auch die Nummer von örtlichen Schuldenberatungen raussuchen, von Mieterschutzvereinen oder von Therapeutinnen, die auf Burnout oder Kaufsucht spezialisiert sind.

Auf jeden Fall solltest du nie vergessen, dass "sich jeder verschulden kann", sagt Annemiek den Held. "Aber mit der richtigen Unterstützung kommt da auch jeder wieder raus."

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