Menschen

Warum Corona die Liebe zu meinem Bett zerstört hat

Intimität und Öffentlichkeit, Arbeit und Freizeit sind verschmolzen und haben uns das genommen, was wir einmal für unser Leben hielten.
Ein Mann liegt im Bett mit mehreren Hunden. Durch Corona vermischen sich Freizeit und Arbeit und das Bett verliert seine Bedeutung als Ort der Ruhe.
Symbolfoto: imago | Everett Collection
In dieser Serie berichten wir über das Lockdown-Leben: Über Stimmungen und Hoffnungen und über alles, was wir vermissen.

Es gab mal diese Phase, da habe ich lieber auf dem Sofa gepennt. Ich schreibe gepennt, weil Schlaf etwas Friedliches ist, das man genießen kann. Wir pennen, wenn wir uns nicht anders zu helfen wissen. Und als ich damals, mit 14, 15, auf dem Sofa pennte, da hatte das etwas Hilfloses. 

Ich hatte in der Zeit nämlich ein Hochbett viele Meter über dem Meeresspiegel. Rauf zu klettern war mir oft zu anstrengend. Ich hatte schließlich meistens gerade einen Joint geraucht und das Snoop Dogg-Album gehört, das ich jeden Tag hörte, ohne die Texte zu verstehen, aus denen ich sonst Bestätigung für meinen Lebensstil hätte ziehen können.

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Außerdem hatte ich mich dort oben einmal mit Lars geprügelt und ihm, vielleicht aus Versehen, auf die Nase gehauen, die dann zu sprudeln begonnen hatte. Blutflecken waren eklig. Also pennte ich auf dem Sofa. Es war schmal und kurz und reichte mir trotzdem. Ich schlief nicht gut, aber für die Schule brauchte ich ohnehin keine Energie, wichtiger war mir das Kiffen danach und manchmal auch davor. Der Schlaf auf dem Sofa war etwas Notwendiges, auf das ich auch verzichtet hätte. Durch den Lockdown habe ich ein ähnliches Verhältnis zu meinem Bett entwickelt wie damals.


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Heute steht es da, 1,40 Meter breit, 2 Meter lang. Ein Fernseher thront an seinem Fußende. Ich mache ihn nie an. Er steht nur da, um einen Sichtschutz zu bieten für ungebetene Besucher. Er verhindert, dass sie mich sehen wenn ich im Bett liege. Meine Gäste, wie ich sie ungern nenne, weil man Gäste ja da haben will, würden mich sonst in unangenehm intimer Position sehen, sobald sie in mein Zimmer treten. Im Bett liegend, faul und träge wie ein Pizzateig, der immer größer und weicher wird und dessen Zweck erst dann zutage tritt, wenn er mit fettigen Dingen vollgepackt wird.

Aber die Zeiten, in denen ich ganze Tage im Bett verbringen wollte, sind vorbei. Corona hat sie mir genommen. Mein Bett ist jetzt weniger Sehnsuchtsort, als vielmehr eine Mahnung, dass ich mehr schaffen müsste. Wenn die Sonne nachmittags schon untergegangen ist, die Wirkung des Kaffees abgenommen hat und die Arbeitszeit zu kurz ist, um zu erledigen, was ich mir morgens vorgenommen hatte, dann ist das Bett nichts, worauf ich mich freuen kann. Dabei waren wir einmal beste Freunde.

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Mein Hochbett bezog ich zwar nie wieder, doch ich übernahm bald das alte Bett meiner Mutter, ein riesiges, 1,60 Meter breites Ding, das an jedem Balken quietschte. Darin lagen zwei Matratzen, was furchtbar unbequem war und dazu führte, dass ich trotzdem nur auf 80 Zentimetern schlief, weil ich ansonsten in die Lücke zwischen den Einzelmatratzen gesogen worden wäre und entweder gar nicht oder mit Rückenschmerzen aufgewacht wäre. Zu zweit konnte man darin trotzdem schlafen, nur halt nicht zusammen und nur schlecht miteinander. 

Trotzdem war es dieses knurrende, ächzende Ungetüm, dessen Balken irgendwann brachen und dessen Statik nur noch von Bücherstapeln aufrechterhalten wurde, das mein Verhältnis zum Bett veränderte. Es war das Bett, das mich Betten zu lieben lehrte, wie ich zuvor schon das Nachmittagsprogramm des Privatfernsehens liebgewonnen hatte. 

Bald lebte ich im Bett. Ich aß dort, ich las dort, rauchte, sah fern, spielte PlayStation. In dieser Zeit hätte mein Zimmer auch aus zwei Quadratmetern bestehen können, ich lag ja sowieso immer in der flauschigen Wärme der Düfte meines Körpers. Mein Bett war meine Zuflucht vor dem Alltag, vor der nervigen Mutter, der Schule mit ihren Hausaufgaben, die ich am nächsten Tag auf der Toilette abschreiben musste, dem sozialen Druck der Freunde und der Schwere des Seins, mit dem ein 16-Jähriger sich halt so vor dem Alltag drückt.

Heute spüre ich diese Schwere erst, wenn ich im Bett liege. Erst wenn mein Körper, der am Tag vielleicht mal einen Spaziergang geschenkt bekommt, wenn er Glück hat, zur Ruhe kommt, dann spürt er, was er alles hätte tun können. 

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Aber er tut halt nichts mehr. Ich fahre nicht mehr jeden Tag eine halbe Stunde mit dem Fahrrad zur Arbeit oder Bibliothek. Ich steige keine Treppen mehr, gehe mittags essen oder laufe die Flure eines Büros ab, um mit Kollegen zu plaudern. Ich sitze in meinem Zimmer, habe mein Bett im Blick und weiß: Bald ist der Tag vorbei.

Früher war mein Bett mein Alles. Nach der Uni, nach der Arbeit, nach der Ausbildung. Tagelang konnte ich versuchen, die Weltherrschaft in Strategiespielen zu erringen oder Tony Soprano dabei zuschauen, wie er versuchte, seinen Laden aufzuräumen. Draußen war es kalt, meine Chefs waren Ärsche und alles, was nicht im Bett stattfand, einfach eine Zumutung. Das Bett war ein Luxus, der dem dornigen Alltag trotzte, ihm den Mittelfinger zeigte und ihn schlicht nicht reinließ. 

Als Kind musste meine Mutter mich ins Bett zwingen, aber morgens gab ich manchmal vor, krank zu sein, um länger darin liegenbleiben zu können. Manchmal hatte ich Erfolg, meistens musste ich aufstehen. Dass ich also lernte, mein Bett als Symbol der Gemütlichkeit und als letzte Bastion des einfacheren Lebens zu betrachten, resultierte wohl auch aus dem alten Marketingtrick der Verknappung. Man will haben, was man nicht haben kann, ähnlich wie der "Chivas Regal-Effekt". Der Whisky galt mal als widerliches Gesöff, bis ein schlauer Marketing-Mensch auf die Idee kam, einfach den Preis radikal zu erhöhen. Plötzlich lobte man das Gesöff als edlen Tropfen und auch ich habe mir manchmal ein Gläschen davon gegönnt, während die Sopranos auf dem Bildschirm ihre Entsorgungen machten.

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Diese Verknappung besteht heute nicht mehr. Das Bett ist allgegenwärtig. Und zwar nicht nur, weil ich es ständig sehe, sondern auch, weil es keinen Alltag mehr gibt, der es mir verbieten könnte. Ich könnte an allen Konferenzen aus dem Bett teilnehmen, es würde niemand merken und wenn doch, würde es die Person nicht stören, weil, seien wir ehrlich, it takes one to know one, und die Person läge wahrscheinlich selbst gerade im Bett. 

Was man immer haben kann, will man irgendwann nicht mehr. Deshalb kaufen sich Deutsche neue Autos, neue Grills, trennen sich von ihren Partnern und finden rechtsextreme Parteien gar nicht mehr so schlimm: Alles andere wirkt irgendwann aufregender. 

Vor wenigen Jahren schenkte mir ein sehr guter Freund sein altes Bett. Sein Bruder hatte ihm ein neues gebaut, der kann nämlich zimmern wie Jesus. Und so erlöste mich mein guter Freund David von meinem alten Bett mit seinem viel zu weichen Lattenrost, dem man die Rückenschmerzen schon ansehen konnte.

Davids Bett ist ein simples, hellbraunes Holzgestell. Es ist schick in seinem dezenten Auftreten und sehr gemütlich, besonders seitdem ich ihm eine neue 130-Euro-Matratze von Ikea spendiert habe. Als ich noch einem richtigen Tagewerk nachging, also bis Mitte März, freute ich mich schon morgens darauf, abends ins Bett zu kriechen, zwei Decken über meinen kalten Körper zu legen und Serien zu gucken, bis mir die Augen zufallen. 

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Anfangs war Corona noch geil. Die meisten Videotelefonie-Programme bieten die Möglichkeit, den Hintergrund unkenntlich zu machen und so wussten meine Kollegen nie, ob ich beim Morgencall ungewaschen im Bett lag oder in Anzug und Krawatte am Schreibtisch saß, bereit, den Tag anzugehen. Manchmal habe ich mich nach der Konferenz einfach nochmal hingelegt. Also, ich lag ja schon. Aber dann halt noch tiefer. Ich dachte: Wenn das der Lockdown ist, dann ist mir egal, was die Leute sagen. Dann will ich für immer eingesperrt sein.

Ich weiß nicht mehr, ob es das Ziehen im unteren Rücken war oder das Eingeständnis, dass ich im Bett so wenig auf die Reihe bekomme, dass es meinen Vorgesetzten irgendwann auffallen würde. Aber nach ein oder zwei Wochen wechselte ich dann doch an den Schreibtisch. Nur ab und zu, in der Mittagspause, wenn nichts zu tun war, oder ich ohne Anlass plötzlich traurig wurde, wechselte ich zurück ins Bett.

Aber je länger Corona dauerte, je länger jeder soziale Kontakt mit einem schlechten Gewissen behaftet war und je länger sich mein Berufsleben auf mein WG-Zimmer beschränkte, desto weniger wollte ich ins Bett. Mein Rückzugsort fühlte sich nicht mehr wie einer an. Wer im Bett mit dem Chef telefoniert, der hat die Zugbrücke runtergelassen und den Feind in seine Festung einziehen lassen. Arbeit im Bett schleift jede Burg. Schlafen wird zum Pennen. 

Das Virus hat uns auf unseren intimsten Lebensbereich beschränkt. Und dadurch, dass wir 24 Stunden am Tag in diesem intimen Bereich bleiben könnten, gibt es keine Grenze mehr zwischen Intimität und Öffentlichkeit. Wie auch? Alles ist ja eins. Liege ich im Bett, kann ich den Arbeitslaptop sehen, sitze ich am Schreibtisch, blicke ich aufs Bett. 

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Privatsphäre und Berufsleben sind miteinander verschmolzen und die Legierung, die dabei entstanden ist, wiegt schwerer als Blei. Sie nistet sich genauso in unseren Körpern und Seelen ein wie ein giftiges Schwermetall und zersetzt beides so langsam, dass wir es kaum merken. Und doch haben wir irgendwann keinerlei Freude mehr an den Dingen, die wir einmal für unser Leben hielten.

Das mag pathetisch klingen, zumal es hier immer noch nur um mein Bett geht. Und doch verändert Corona unsere Beziehung zu Arbeit und Freizeit, Privatsphäre und Öffentlichkeit, Draußen und Drinnen. Ich hoffe nur, dass wir eines Tages wieder ein gesundes Verhältnis zu all dem entwickeln können, eines, das das Gleichgewicht hält. Ich hoffe, ich werde mich eines Tages wieder auf mein Bett freuen können. 

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