Sebastián Marroquín, der Sohn Pablob Escobars, sitzt hinter einem Stapel Bücher
Foto: Guido Adler
Drogen

Das hält Pablo Escobars Sohn von der Netflix-Serie über seinen Vater

Sebastián Marroquín wirbt für Frieden und glaubt nicht an ein Ende des Kokains in Kolumbien.

Es ist nicht leicht, Sohn des bekanntesten Drogendealers der Geschichte zu sein. Also suchte Sebastián Marroquín erst mal das Weite, verließ Kolumbien, änderte seinem Namen, wollte nicht mit seinem berüchtigten Vater in Verbindung gebracht werden. Aber wie das so ist, holt einen die eigene Vergangenheit ja meistens doch ein. Und so verlegte sich Marroquín, 43, irgendwann darauf, Bücher zu schreiben, durch die Welt zu reisen und etwas zu propagieren, das sein Vater gar nicht kannte: Frieden. Jetzt könnte man sagen, dass es makaber ist, mit dem Vermächtnis von Pablo Escobar Geld zu verdienen. Das sieht Escobar Junior aber vielleicht anders. Wir haben ihn mal gefragt.

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VICE: Klären wir zunächst mal die Ansprache. Soll ich Herr Marroquín oder Herr Escobar zu Ihnen sagen?
Marroquín: Das ist mir egal. Ich habe einen falschen Namen angenommen, um als Jugendlicher einen leichteren Neustart zu haben. Mittlerweile bin ich beides: Sebastián Marroquín und Juan Pablo Escobar.

Ihren Neustart haben Sie an vielen Orten versucht. Argentinien hat ihre Mutter, ihre Schwester und Sie damals aufgenommen. Was verbinden Sie mit diesem Land?
Ich bin Argentinien unendlich dankbar. Ich konnte hier in Sicherheit studieren, die Menschen haben mich nicht verurteilt. Ich liebe den argentinischen Wein, die Grillfeste und vor allem die Leidenschaft der Menschen für die Kunst und Musik.


Auch bei VICE: Wie Pablo Escobars Vermächtnis der Gewalt die Kartellkriege von heute antreibt


Das klingt so, als hätten Sie eine neue Heimat gefunden.
Ich habe mehr als die Hälfte meines Lebens hier verbracht. Trotzdem bleibt Kolumbien immer meine Heimat. Ich war 16, als mein Vater starb. Es macht mich traurig, dass ich so früh meine Heimat verlassen musste.

Sie sind Architekt, leben aber mittlerweile eher von den Einnahmen ihrer Bücher über ihren Vater und die Auftritte, in denen Sie zum Frieden aufrufen. Wie passt das zusammen, ihr Vater und ihre Friedensbotschaft?
Mein Vater hat mir so viel Gewalt gezeigt, dass ich gar nicht anders konnte, als mich für Frieden zu interessieren. Leider gibt es auf der Welt noch immer so viele Arten Politik zu machen, die zu kriegerischen Handlungen führen. Ich glaube, dass die Tabuisierung und das Verbot von Drogen nicht dazu führen, dass der Drogenanbau abnimmt. Doch viele Menschen an der Macht haben für sich begriffen, dass Illegalität ein besseres Geschäft ist als Legalität.

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Das hat schon ihr Vater gesagt …
… Und darin hat er Recht behalten. Kolumbien führt seit Jahrzehnten Krieg gegen die Drogen: sie besprühen Kokafelder, reißen Büsche aus. Doch mittlerweile haben die Kartelle oder Clans oder wie auch immer sie jetzt genannt werden sogar U-Boote und der Kokainexport floriert. In den USA kommen Drogendealer für ein paar Monate in Haft, nicht mehr für 30 Jahre wie früher oder sie können sich gleich freikaufen. Es ist ein gutes Geschäft für alle.

Alles, was mit unserer Drogenpolitik nicht stimmt

Ein Geschäft, von dem Sie indirekt ja auch profitieren. Nur durch den Namen ihres Vaters verkaufen sich Ihre Bücher, werden zu Auftritten eingeladen.
Das stimmt, ich verdiene Geld mit seinem Namen. Aber wer sollte eher das Recht haben, mit Pablo Escobar Geld zu verdienen? Sein Sohn oder Netflix? Ich glaube zumindest, dass ich verantwortungsvoll mit seiner Geschichte umgehe. Ich versuche ihn als das darzustellen, was er war: Ein Verbrecher, der vielen Menschen wehgetan hat. Aber eben auch als meinen Vater.

Was stört Sie an der Darstellung von Netflix?
Netflix hat meinen Vater heroisiert, wie so viele andere mediale Darstellungen auch. Außerdem waren die Produzenten nie an der ganzen Wahrheit interessiert. Ich habe der Produktion Einblicke in unsere Familienaufzeichnungen und Fotoalben angeboten, aber sie haben abgelehnt. Und das Resultat: Mein Vater ist so berühmt und beliebt wie nie zuvor. Ich bekomme täglich mehrere hundert Nachrichten, auch von Jugendlichen und Kindern, die meinen Vater toll finden. Sie schreiben mir: ´Ich will so sein wie er! Das ist doch traurig.

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Sie selbst haben aber auch Probleme mit der Justiz. Sie und ihre Mutter sind in einem Geldwäscheskandal um Drogenhändler José Bayron Piedrahita angeklagt.
Es gibt kein Beweismaterial gegen uns. Es stellt sich heraus, dass es reicht, Sohn und Witwe eines Drogenbarons zu sein, um in einem Geldwäscheskandal angeklagt zu werden.

Im August dieses Jahres kam ein Buch von Phillip Witcomb heraus, der behauptet, Pablo Escobars verlorener Erstgeborener zu sein. Er sagt, ein MI6-Agent, der Escobar ausspionierte, hätte ihn adoptiert.
Der Mann hat einen Schnurrbart und deshalb ist er Escobars Sohn? Ich habe keinen, heißt das, ich bin nicht sein Nachfahre? Es haben sich über die Jahre bereits drei andere Erstgeborene gemeldet. Ist in Ordnung, dann bin ich eben der Viertgeborene.

Warum glauben Sie, dass Witcombs Geschichte gelogen ist?
Fangen wir mit dem einfachen Fakt an, dass Pablo Escobar am angeblichen Zeugungsdatum von Witcomb elf Jahre alt gewesen wäre. Es ist traurig, wie Medien auf so eine Story aufspringen. Aber das passiert ja ständig: Hast du Escobar in der Überschrift, bekommst du Klicks. So haben die Medien aus meinem Vater einen Mythos gemacht.

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Was ist die größte Lüge, die ihrer Meinung nach über ihn verbreitet wurde?
Vielleicht dass er angeboten hat, Kolumbiens Schulden zu tilgen? Oder dass er auch legale Geschäfte hatte? Es gibt so viele, ich kann mich kaum entscheiden.

Wie sprechen sie mit ihrem Sohn über seinen Großvater?
Ich erzähle ihm, was ich weiß. Meine Wahrheit über einen Banditen. Aber er ist noch ein Kind. Bestimmte Gewaltszenarien erspare ich ihm bisher. Das soll er erst später erfahren.

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Würden Sie nicht gern mal über was anderes sprechen als ihren Vater? Vielleicht über Kunst oder Musik – oder mal über Architektur, das hab ich schließlich studiert. Aber ich habe mittlerweile das Gefühl, man nimmt mich eher wegen meiner Friedensbotschaft war, nicht nur wegen meines Vaters. Allerdings kann ich diese Botschaft natürlich auch nur so laut verbreiten, weil ich sein Sohn bin.

Wird es mit der Wahl von Joe Biden ihrer Meinung nach eine Veränderung im Vorgehen gegen die Drogenproduktion in Kolumbien geben?
Ich glaube nicht. Viele mächtige Menschen in den USA wie auch in Kolumbien sind zu sehr an dessen Fortbestand interessiert. Und eine wirkliche Alternative für Kokabauern gibt es bis heute nicht.

Was wünschen Sie sich für Kolumbien?
Dass das Land heilen kann. Kolumbien sollte für andere Dinge bekannt sein, als meinen Vater und die Guerilla. Aber das ist schwierig, wenn sein altes zu Hause, die Hacienda Napoles, in einen Vergnügungspark umgewandelt wird und sich ehemalige Täter mit ihrer Bekanntschaft zu Escobar brüsten können – während seine Opfer kaum eine Stimme erhalten.

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