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Graffiti

MDR erkennt "neuen Graffiti-Trend" Bombing und schwingt das verbale Kriegsbeil

"Wie aus dem Nichts kommen sie, bewaffnet mit Spraydosen und überfallen haltende Züge an Bahnsteigen."
Screenshot aus dem MDR-Umschau-Beitrag "Train-Bombing - Graffiti-Sprayer überfallen Züge"

"Was wir Ihnen jetzt zeigen, haben Sie vermutlich noch nicht gesehen." So leitet Umschau-Moderatorin Ana Plasencia den Beitrag des mitteldeutschen Rundfunks vom 12. Januar über den "neuen Trend Train-Bombing" ein. Die Umschau, das lokale MDR-Tagesschau-Pendant, bietet aktuelle Berichterstattung zur 20.15 Uhr-Primetime. Und wir so, warte mal: Bombing? Neu? Trend? Da hat wohl jemand beim MDR ganz investigativ recherchiert und dann in der Konfi stolz getönt: "Leute, ich hab's! Lasst uns über Graffiti und die üblen Schmutzfinken, die sie verzapfen, berichten. Das ist 2018 auf jeden Fall aufm Vormarsch zu DEM neuen Trend!!1!!!1!"

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Jedenfalls wetzt die gute Frau zur Einleitung des Beitrags erst mal ordentlich das verbale Messer: "Wie aus dem Nichts kommen sie, bewaffnet mit Spraydosen und überfallen haltende Züge an Bahnsteigen. Was nach nur wenigen Minuten zurückbleibt, sind bis zur Unkenntlichkeit verschmierte Züge, Entsetzen und Schäden in Millionenhöhe." OK, das Massaker-Vokabular sitzt.

Neu ist es nicht, dass Medien über die tatsächliche Zunahme von Graffiti-Bombing an Nahverkehrszügen im städtischen Raum berichten. Schon 2015 widmete sich die Berliner Morgenpost dem Thema mit lokalem Bezug auf besprühte Züge in der Hauptstadt. Dort wurde beschrieben, dass schon damals die S-Bahn und die BVG insgesamt rund zehn Millionen Euro pro Jahr zur Beseitigung / Reparatur von Vandalismus ausgeben mussten. Auch im MDR-Bericht spricht Yvonne Manger von der Leipziger Bundespolizei darüber, dass es eigenen Statistiken nach einen Anstieg von Graffiti auf Zügen in der Region Leipzig im Vergleich der Jahre 2016 auf 2017 gegeben hat.

Wenn da aber von "Überfall", "Bewaffnung" und "Entsetzen" die Rede ist, könnte man leicht meinen, es handle sich statt um Sprayer, um gemeingefährliche und mit echten Waffen ausgestattete Terroristen. Tatsächlich wirken die meisten S-Bahn fahrenden Menschen im Bericht jedoch während der "bedrohlichen" Sprayer-Aktionen relativ gelassen und desinteressiert. Eine Szene zeigt die Aktion der Sprayer-Crew 1UP an Silvester am Schlesischen Tor in Berlin. Dort sieht man wie eine, im Gesicht gepixelte Frau im Waggon steht und das Ganze filmt, während der Typ neben ihr entspannt seine Bierpulle umarmt.

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Auch musikalisch hat man auf Drama gesetzt, bei den Spray-Szenen erklingen immer besonders bedrohlich wirkende Sounds. Das unfreiwillig komische Highlight ist der Abschnitt, als MDR-Reporter Thomas sich gegen Ende des Beitrags im Selbstversuch auf das Gelände der deutschen Bahn in Leipzig schleicht. Er will überprüfen, wie leicht es die Sprayer tatsächlich haben, nachts unentdeckt abgestellte Waggons zu beschmieren. Und siehe da, keine Wachen, keine Absperrung und nicht einmal Verbotsschilder. Zum Dank hinterlässt der Reporter dann ein Herz aus Lippenstift auf einem der Waggons. "Leicht zu entfernen" – wie die Off-Stimme kommentiert.

Geteilt wurde der Beitrag bis jetzt übrigens über 1200 Mal mit überwiegend lobenden Worten für – ihr ahnt es vielleicht – die Sprayer, nicht die Berichterstattung. Ob der MDR sich das so vorgestellt hat? Und worüber die Trendspotter wohl als Nächstes berichten? Vorschläge: "Deutschrap – so gefährlich sind die Jungz von Aggro Berlin", oder warum nicht direkt "Rollbretter – wie Skateboard-Chatoten die Straßen erobern".

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