Vom Weltuntergang, Guru-Currys und Schweinegedichten: Zu Besuch bei einem veganen Kult
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esoterik

Vom Weltuntergang, Guru-Currys und Schweinegedichten: Zu Besuch bei einem veganen Kult

Hinter der vegangen Restaurantkette Loving Hut steckt mehr als nur Essen und eine Philosophie. Nämlich eine Frau, die sich für den direkten Kontakt zu Gott hält.

Zwischen aufgemalten Herzen und Bildern von fröhlich lachenden Menschen hängen an den Wänden der Wiener Loving-Hut-Filiale Plakate über die "vegane Elite". An einem Tisch im hinteren Eck blättere ich durch die Speisekarte des Lokals: Ich habe unter anderem die Wahl zwischen einem "Peace Burger", einem "Mutter Erde Salat" und dem "Curry des Gurus" und entscheide mich schlussendlich für das Curry.

Eine dauerlächelnde Kellnerin nimmt meine Bestellung entgegen, während im Hintergrund stumm ein Fernseher läuft. Zu sehen sind Nachrichten von Supreme Master TV – einem Sender, der ausschließlich positive Beiträge ausstrahlt. Seien es süße Tiervideos, gute Nachrichten aus aller Welt, Naturaufnahmen oder Lebensweisheiten.

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Da Loving Hut auf TripAdvisor teilweise als "Das beste vegane Restaurant in Wien" beschrieben wird, warte ich umso erwartungsvoller auf mein Essen. Während ich hungrig herumsitze und gelangweilt den beiden Hippies neben mir über ihre letzte Yogasession zuhöre, wird im Fernseher ein Buch über Nahtoderfahrungen vorgestellt. Anschließend folgt ein Format mit dem Namen "Spirituelle Weisheiten aus dem Himmel". Was gerade genau gezeigt wird, kann ich durch die ganzen Untertitel kaum erkennen. Supreme Master TV wird in 20 verschiedene Sprachen übersetzt, die alle gleichzeitig als Untertitel eingeblendet sind. Der Fernsehsender läuft 24/7, auch live im Internet. Hier könnt ihr euch gerne selbst ein Bild davon machen.

Bei Loving Hut handelt es sich allerdings nicht nur um ein Restaurant mit offensiver Veganismus-Linie, sondern auch um einen Kult. Als Begründerin und "Supreme Master" gilt die Vietnamesin Ching Hai. Private Informationen zu ihr gibt es kaum. Geboren wurde sie laut Selbstbeschreibung auf ihrer Website 1950. Schon als Kind sei sie "nicht gewöhnlich, sehr intelligent, mit einem überragenden Charakter" gesegnet gewesen, heißt es dort. Laut derselben Quelle soll sie außerdem einige Zeit als Übersetzerin für das deutsche Rote Kreuz gearbeitet haben.

In dieser Zeit habe sie auch erkannt, dass es "für eine einzige Person unmöglich sei, das menschliche Leiden" zu stoppen – nur die "Erleuchtung" könne das menschliche Leid beenden. Um sich vollkommen auf die Erleuchtung und das Ende des menschlichen Leids zu konzentrieren, trennte sie sich von ihrem Mann. Um diesem "spirituellen Ziel" noch näher zu kommen, baute sie außerdem ein massives Imperium auf.

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Mittlerweile lebt sie unter dem Namen "Celestia De Lamour" in den USA und besitzt nicht nur eine Restaurantkette, sondern auch die Website God's Direct Contact, einen dazugehörigen TV-Kanal sowie einen Onlineshop, in dem man Kleidung, Kunst, Lampen, Schmuck und veganen Fleischersatz kaufen kann.

Eine Malerei kostet zwischen 103 und 425 Dollar. Kostenlos ist nur die online angebotene Literatur: zum Download stehen Aphorismen, Bücher und Gedichte; unter anderem ein Gedicht mit dem Titel "Worte eines Schweinchens", aus dem der folgende Auszug stammt:

"… Liebevoll schautest du mich an
Und begeistert: „Oh, so rund, wie süß!“
Jeden Tag besuchst du mich
Brachtest kühles Wasser und köstliche Veggie-Leckereien …

Verfasst von der höchsten Meisterin Ching Hai mit Ende 20"

Der Weg zur Toilette ist voll von Ching Hais Bildern. Es sind hauptsächlich Malereien von Landschaften und vom Himmel, eingerahmt in Gold. Offiziell dürfen Franchise-Nehmer die Dekoration und die Speisekarte selbst auswählen. Nur Supreme Master TV und Bücher von Ching Hai müssen vorhanden sein, um den Gästen die Philosophie des Kults zu vermitteln.

Aber worum genau geht es in Ching Hais Weltbild? Der Kult ist esoterisch; im Zentrum steht die sogenannte Quan-Yin-Methode. Darunter verstehen ihre Anhänger eine Art von Meditation, die das "innere Licht und das innere Wort" ansprechen soll (und damit vermutlich nicht viel anders als, sagen wir, alle anderen Arten von Meditation ist). Nur wenn beides angesprochen werde, sei es möglich, zu Gott zu finden.

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Welcher Religion man angehört, ist dabei unwichtig. Das wirklich Wichtige scheint die vegane Ernährung zu sein – eine absolute Grundvorraussetzung, um "Erleuchtung" zu erfahren. Durch vegane Ernährung könne man wortwörtlich die Welt retten. Und die hat es laut des Kults dringend nötig: Bereits 1997 und 2012 prophezeite Ching Hai den Weltuntergang, der nur durch ihre Anhängerschaft verhindert werden konnte.

Eine Frau berichtet , dass sie von einer von Ching Hai gesegneten Süßigkeit geheilt worden sei.

Neben dem Veganismus und der Quan-Yin-Methode sind fünf Grundregeln wichtig: Kein Töten, kein Stehlen, kein Lügen, keine Drogen und kein sexueller Missbrauch. Darüber hinaus soll alles Schlechte nicht nur aus dem Handeln, sondern auch aus dem Denken verbannt werden. Nur positives Denken ist erlaubt.

Die Psychologin Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen erklärt im Interview mit VICE, warum dieses Verhalten gefährlich werden kann: "Emotionen in der Richtung Wut, Ärger und Verletztheit werden weggespült und ein Harmonieteppich drüber geschmissen. Untendrunter brodelt es und oben drüber entsteht eine zwanghafte Fröhlichkeit miteinander."

Diese zwanghafte Fröhlichkeit merke ich auch im Restaurant. Entspannungsmusik läuft im Hintergrund, die Kellnerin spricht ebenso langsam, wie sie sich bewegt, und ihre Stimme ist auffällig leise. Dazu immer ein Lächeln.

Sektenexpertin Schiesser erklärt, dass real bestehende Probleme durch die dauerhafte Fröhlichkeit eventuell nicht entsprechend ausgelebt werden könnten. Hinzu komme eine Unterbindung von jeglicher Kritik durch den Kult.

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Doch nicht nur im Emotionalen, auch im Privatleben könne der Kult negative Auswirkungen haben: Weil sich Ching Hai für den direkten Kontakt zu Gott hält, erwartet sie von ihrer Anhängerschaft, in ständigem Kontakt mit ihr – und somit zu Gott – zu stehen, da nur so "Erleuchtung" geschehen könne. Diesem direkten und ständigen Kontakt dient auch der Fernsehsender. Abgrenzung und Selbstbestimmung werden so zusätzlich erschwert.

Hinzu kommt eine tägliche zweieinhalbstündige Meditation, um den Kontakt weiter zu intensivieren. Ulrike Schiesser erzählt von einem Fallbeispiel, in dem ein Elternteil stundenlang meditierte, um den Kindern positive Energien zu schicken. Dass im tatsächlichen Leben überhaupt nichts mehr mit der Person anzufangen war und sich alles nur noch um die "Meisterin" drehte, realisierten die betroffenen Anhänger aber nicht. Ähnliche Geschichten finden sich online auf diversen Blogs; darunter auch von Aussteigern, die vor Ching Hai warnen. So wirke die Gruppe erst harmlos, setze aber bewusst auf Shaming und Schuldzuweisungen, um Kontrolle über ihre Mitglieder zu bekommen – und auch aufrecht zu erhalten.



Dennoch wird Ching Hai von ihrer Anhängerschaft verehrt. Eine Frau berichtet etwa, dass sie von einer von Ching Hai gesegneten Süßigkeit geheilt worden sei. In San Jose, USA, berichtet ein Mann, dass seine Frau ihre Kinder zu schlagen drohte, wenn diese sich weigern sollten, täglich mit ihr nach der Quan-Yin-Methode zu meditieren. Ebenso finden sich im Netz einige Erzählungen von Menschen, die ihre PartnerInnen verlassen haben, um der Erleuchtung näher zu kommen und Ching Hai vollständig zu dienen.

Das Dienen kann in esoterischen Kreisen verschiedene Gesichter haben: Sei es unbezahlte Lohnarbeit in der französischen Loving-Hut-Filliale , oder das Erbauen einer künstlichen Insel mitten in einem US-amerikanischen Nationalpark, die 2004 von Ching Hais Anhängerschaft errichtet wurde.

Darüber hinaus wurde gegen Ching Hai wegen eines illegalen Geldtransfers in Höhe von zwei Millionen Dollar ermittelt. Und sowohl Bill Clinton als auch UNICEF nahmen ihre Spenden in Höhe von 600.000 Dollar und 100.000 Dollar nicht an, nachdem sie sich mit ihr näher auseinandergesetzt hatten.

Die Gäste im Wiener Loving-Hut-Restaurant scheint dieses Wissen nicht weiter zu belasten – oder aber, es ist ihnen genauso unbekannt wie mir bis vor kurzem. Bei meinem ersten Besuch war jedenfalls jeder Tisch in der Filiale reserviert. Die Besucher reichten von Rockern mit gefärbten Haaren und Piercings bis zur klischeehaftesten Hippie-Familie. Und zugegeben, das "Curry des Gurus" ist tatsächlich lecker. Trotzdem werde ich mein nächstes veganes Curry wohl eher in einem der unzähligen anderen Restaurants, die ein solches auf der Karte haben, zu mir nehmen. Ganz ohne zwielichtigen Kult-Hintergrund.

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