Eine Wahrsagerin hält eine Bitcoin-Glaskugel hoch
Screenshot: GDAX, Foto: imago | Ikon Images

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Finanzen

Ich habe mithilfe von Wahrsager-Hotlines Bitcoins gehandelt

"Das wird nicht gut ausgehen, das sehe ich ganz klar" – Gypsy, griechische Hexe.

"Bitcoin" – ein magisches Wort. Wenige Begriffe haben im letzten Jahr so viel Aufregung, Augenrollen, Wut, Freude, Zynismus und Unverständnis auf einmal ausgelöst wie der Name der Kryptowährung, deren Wert im Laufe des vergangenen Jahres von etwas weniger als 1.000 US-Dollar auf fast 20.000 Dollar gestiegen ist.

Diese krasse Wertsteigerung ist natürlich der Grund, warum Bitcoin sich innerhalb weniger Monate von einem Nerd-Thema (sorry, Motherboard) zu einer Art popkulturellem Phänomen entwickelt hat, zu dem mittlerweile fast jeder irgendwas zu sagen hat (also auch wir).

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Das Problem ist nur: Bis jetzt weiß immer noch niemand, ob Bitcoin das Pulp Fiction oder eher das Matrix unserer Zeit ist. Das eine ist ein Produkt der 90er, auf das wir immer noch voller Stolz zurückblicken und auf das viel aufbaut, die Coolness des anderen ist schneller ranzig geworden als ein Stück Butter in der Tasche eines Nu-Metal-Ledermantels. Und so glauben die einen, dass Bitcoin so etwas wie der Grundstein ist für ein völlig neues Internet, in dem alles über die heilige "Blockchain" funktioniert, und die anderen, dass es sich um eine riesige Spekulationsblase handelt, die bald explodieren und ihre Anhänger in einen Abgrund aus Armut reißen wird. Auf welcher Seite man steht, scheint vor allem davon abzuhängen, ob man selbst welche besitzt.

Um zu wissen, wie das mit den Bitcoins ausgeht, müsste man also in die Zukunft schauen können, dachte ich mir. Und dann fiel mir ein, dass es ja tatsächlich Menschen gibt, die behaupten, das zu können: Wahrsager! Auch wenn die Krypto-Trader auf Reddit sich gerne über "Chart-Analysen" den Mund fusselig reden – es liegt auf der Hand, dass Magie das Einzige ist, womit ein seriöser Bitcoin-Anleger sich auseinandersetzen sollte.

Der Plan: Ich würde 100 Euro in die Hand nehmen und jeden Tag eine Wahrsager-Hotline fragen, ob ich in Bitcoin investieren soll oder wieder aussteigen. Was soll schon schiefgehen?

1. Tag

Die Zeiten, in denen du noch selbst ein halber Hacker sein oder deinen komischen Cousin anrufen musstest, um Bitcoins kaufen, sind vorbei. Erstens, weil sich bei den Preisen heutzutage niemand mehr "ein paar Bitcoins" leisten kann, und zweitens, weil es jetzt Börsen gibt, die den ganzen Prozess so einfach machen, dass sogar deine Oma ihre Rente dort verspielen kann. Die größte, idiotensicherste und beliebteste heißt Coinbase, und die benutze ich natürlich. Nach ein bisschen Gefuddel mit Ausweisen und einer Überweisung nach Litauen (yolo) habe ich es endlich geschafft, 100 Euro auf der Trading-Plattform von Coinbase, GDAX, zu hinterlegen.

Auf Wahrsager-Sammel-Websites kann ich mich in Ruhe zwischen all den Meiras, Amoras, Lillyens und Maagoras entscheiden. Meine Wahl fällt auf Gypsy, die sich als "erfahrene griechische Hexe" bezeichnet und auf dem Foto ein bisschen wie ein jugoslawischer Filmstar aussieht. Wer kennt sich besser mit Geld aus als die Griechen?

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Ich bin etwas nervös, als ich die Nummer (1,99 Euro aus dem Mobilnetz) wähle.

Ich: Hallo, ich bräuchte Beratung bei einer Investition.
Gypsy: Na gut. Was denn für eine Investition?

Bitcoins.
(Stille) OK. Was ist Ihr Sternzeichen?

Waage.
Gut. Dann konzentrieren Sie sich bitte auf die Frage, und ich lege die Karten. Sagen Sie einfach "Stopp".

(Nach elf Sekunden voller Konzentration) Stopp.
Hm-hm. Von wem haben Sie denn von dieser Gelegenheit gehört? Wer hat Ihnen das angeboten?

Ach, da reden gerade alle drüber, dass man da toll investieren kann.
Aha. Also, ich kann Ihnen davon abraten. Es hört sich besser an, als es ist, das sehe ich ganz klar. Das wird nicht gut ausgehen.

Oh.
Ja. Also, ich rate Ihnen nicht davon ab, die Karten tun es. Wollen Sie sonst noch was wissen

Nein, äh, danke.
Gut, tschüss.

Also nein. Das bedeutet, dass ich die 100 Euro erstmal liegen lasse. Mal schauen, ob sie Recht hat! Die Bilanz meines ersten Tages als magischer Bitcoin-Trader:

Bitcoin-Kurs: € 8.704,99
Portfolio-Wert: € 100,00
Telefonkosten: € 5,97 (3 Minuten)
Gesamt: € 94,03

2. Tag

Als ich am nächsten Tag auf den Kurs schaue, fliegt mir fast der Zylinder vom Kopf (seit ich Spekulant bin, trage ich natürlich nur noch Zylinder). Der Kurs ist um fast 8 Prozent auf 9.125 Euro gestiegen! Und ich war nicht drin! Innerlich kochend rufe ich wieder bei Gipsy an.

Ich (noch ruhig): Ich bräuchte wieder Hilfe bei der Frage, ob ich in Bitcoins investieren soll.
Gypsy: Nochmal bitte, in was?

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(Mit unterdrückter Wut) In Bitcoins.
Mh-m, OK, dann geben Sie mir bitte ein "Stopp". (…) Also, im Moment wäre das nicht angebracht, das ist nicht der richtige Zeitpunkt. Es wird sich nicht rentieren, warten Sie noch ein bisschen.

(Offen wütend) Das haben Sie mir gestern aber auch gesagt, und dann ist der Kurs hochgegangen!
(Verwirrt) Ja, aber das ist nur vorübergehend. Sie wollen ja langfristig investieren, oder?

Nein! Eigentlich immer nur für einen Tag.
Nur für einen Tag? Ja, das ist was anderes. Langfristig aber nicht, weil der Kurs so schnell wieder fallen wird, wie er hochgegangen ist. Aber für einen Tag lohnt sich das auf jeden Fall!

Gypsy bekommt noch eine Chance. Vielleicht habe ich mich gestern wirklich nicht klar genug ausgedrückt. Ich kaufe endlich meine erste Bitcoin. Beziehungsweise, meine ersten Bitcoin-Bruchteile. Für 100 Euro bekomme ich nämlich genau 0,01101224 Bitcoin.

Bitcoin-Kurs: € 9.125,00
Portfolio-Wert: € 100,00
Telefonkosten: € 5,97 (3 Minuten)
Gesamt: € 88,06

3. Tag

Wenns läuft, dann läuft’s! Gipsy hatte Recht, der Kurs ist weiter gestiegen, auf 9.196,29 Euro. Ich sehe die Zukunft als Krypto-Millionär schon vor mir. Allerdings ist mir auch bewusst geworden, dass diese Hotline-Anruferei auf die Dauer zu teuer ist. Also schaue ich mich online nach billigeren Alternativen um und finde schließlich eine Möglichkeit, mich per SMS (1,99 Euro/SMS) beraten zu lassen. Der erste Versuch geht leider in die Hose, weil "Maylin" sich einfach weigert, mir Auskunft zu geben:

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Danke, meine 1,99 behaltet ihr aber, oder? Bei der nächsten Nummer, "Wahrsagerin Cosma", gehe ich etwas subtiler vor:

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Also gut, wir bleiben drin.

Bitcoin-Kurs: € 9.196,29
Portfolio-Wert: € 101,81
Telefonkosten: € 3,98 (2x SMS)
Gesamt: € 85,89

4. Tag

Oh, mich verfolgt ein grimmig wütend Schicksal! Hacker haben heute bei der japanischen Krypto-Börse Coincheck (noch nie gehört) 500 Millionen Einheiten der Krypto-Währung NEM (noch nie gehört) im Wert von 400 Millionen Dollar geklaut, und der Bitcoin-Kurs ist seit gestern um mehr als 600 Euro eingebrochen, auf 8.558,90 Euro. Eigentlich sollte ich Cosma nie wieder glauben, aber ich habe heute einen ziemlich vollen Tag, und da geht die SMS-Option nun mal am schnellsten. Und sie ist wieder zuversichtlich, trotz Hacker:

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Na dann. Ich bleibe drin.

Bitcoin-Kurs: € 8.558,90
Portfolio-Wert: € 94,25
Telefonkosten: € 1,99 (1x SMS)
Gesamt: € 76,34

7. Tag

Über das Wochenende habe ich ausgesetzt. Zum Glück lag Cosma diesmal mehr oder weniger richtig, denn in den vergangenen Tagen ist der Kurs wieder etwas gestiegen. Außerdem haben die Japaner harte Strafen für die Coincheck-Hacker angekündigt, und der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff hat sich im Spiegel wohlwollend über digitale Währungen geäußert. Mein SMS-Orakel Cosma ist immer noch überzeugt, dass alles "stabil" bleibt. Aber gut, ich vertraue ihr.

Bitcoin-Kurs: € 9.120,00
Portfolio-Wert: € 100,43
Telefonkosten: € 1,99 (1x SMS)
Gesamt: € 80,53

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8. Tag

Cosma hat sich schon wieder geirrt, der Kurs ist gefallen, und mein Vertrauen in sie ist auch im Keller. Außerdem habe ich Lust auf Abwechslung, also rufe ich bei Elladora an, einer Kollegin von Gypsy (1,99 Euro/Minute aus dem Mobilnetz).

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Auch sie will, dass ich mich konzentriere, während sie die Karten mischt, und dann "Stopp" sage. Sobald ich das gesagt habe, ist sie sehr entschieden: "Jetzt ist kein guter Zeitpunkt, das ist auf jeden Fall klar", sagt sie. "Verkauf das, solange es noch etwas bringt." Ich frage sie, ob sie auch sehen kann, wie es denn langfristig um Bitcoins steht. Auch das weiß sie: "Das fängt erst in zwei Jahren richtig an." Alles klar, ich bin raus. Ich verkaufe meine Bitcoin-Anteile (0,01101224) und bekomme dafür 96,80 Euro zurück.

Bitcoin-Kurs: € 8.789,99
Portfolio-Wert: € 96,80
Telefonkosten: € 5,97 (3 Minuten)
Gesamt: € 70,93

9. Tag

Elladora hatte Recht, der Kurs ist schon wieder gefallen. Zum Finale meines Experiments rufe ich doch noch einmal bei Gypsy an, einfach weil mir ihre Stimme (balkan-kratzig, aber zärtlich) am besten gefallen hat. Gypsy ist mittlerweile voll auf den Krypto-Hype aufgesprungen, sie gibt mir wieder das Go, mein Geld "nur kurzfristig" in Bitcoin zu investieren.

Ich will jetzt endlich mal wissen, wie ihre Vorhersagen eigentlich funktionieren. "Sagen Ihre Tarot-Karten Ihnen wirklich voraus, ob ich investieren soll oder nicht? Wie funktioniert das?", frage ich. "Erstens: Das sind keine Tarot-, sondern peruanische Skatkarten", erklärt sie streng. "Und zweitens darf ich dir nicht erklären, wie sie funktionieren." Trotzdem wünscht sie mir in herzlichem Ton "Viel Erfolg!".

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Bitcoin-Kurs: € 8.140,19
Portfolio-Wert: € 96,80
Telefonkosten: € 5,97 (3 Minuten)
Gesamt: € 64,96

Fazit

Gypsy hat sich geirrt. Der Kurs ist am Donnerstag, den 1. Februar, weiter gesunken. Schweren Herzens verkaufe ich die Bitcoins wieder.

Das Ergebnis des Experiments ist ernüchternd: Wofür ich vor 10 Tagen 100 Euro ausgegeben habe, ist heute nur noch 90,80 Euro wert. Außerdem habe ich insgesamt 31,84 Euro für Wahrsager-Hotlines und SMS-Dienste ausgegeben. Am Ende bleiben mir also 58,96 Euro – eine Bilanz, mit der ich mich nicht unbedingt bei Goldman Sachs bewerben sollte.

Die Bilanz der Wahrsagerinnen: Von sieben Prognosen waren nur drei richtig. Viermal lagen sie daneben. Bitcoin ist es seitdem aber noch schlechter gegangen: Am Donnerstagnachmittag ist die Krypto-Währung zum ersten Mal seit zwei Monaten wieder unter 10.000 Dollar gefallen. Am Freitag geht die Talfahrt weiter, im Moment (Freitagvormittag) steht er bei knapp über 8.000 Dollar. Und natürlich kommen jetzt die Experten aus ihren Löchern, die genüsslich erklären, warum das nicht anders sein konnte – auch wenn keiner sich mit den anderen einig ist, warum es gerade jetzt passiert: Der eine glaubt, es liegt am Verbot für Bitcoin-Werbung auf Facebook, der andere spekuliert, dass es mit Regulierungsmaßnahmen der indischen Regierung zu tun hat, der dritte hat eh schon immer gewusst, dass die Blase platzen würde. Nur die ehrlichsten Experten geben zu, was eigentlich alle wissen: Keiner hat irgendeine Ahnung, warum der Bitcoin-Kurs macht, was er macht. Im Grunde stehen gerade Millionen Menschen aus der ganzen Welt zusammen an einem Roulette-Tisch und schreien die Kugel und sich gegenseitig an, so laut sie können.

Deshalb kann auch der aktuelle Crash nur eine vorübergehende Flaute sein, wie Bitcoin sie in seiner kurzen Geschichte schon einige Male erlebt hat. Eines aber ist sicher: Was auch immer aus den Krypto-Währungen in der Zukunft wird – die Wahrsager werden immer da sein. Die menschlichste Dummheit ist das sicherste Investment, das es gibt.

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