Mörder versteckte sein Opfer zehn Jahre in einer Tiefkühltruhe
Collage: Hakki Topcu

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Kriminalfall

Mörder versteckte sein Opfer zehn Jahre in einer Tiefkühltruhe

Der Täter gaukelte vor, der Rentner Heinz N. würde noch leben. Der Staatsanwalt nennt den Mord "eines der grausamsten und abscheulichsten Tötungsverbrechen Berlins".

Es gibt in vielen Mietshäusern den einen Typen, der etwas zu aufdringlich freundlich grüßt, der sich als selbsternannter Hausmeister aufspielt, der sich überall einmischt: einen Typen, der nervt. Wenn ein solcher Querulant eines Tages behauptet, aus einer der Wohnungen würde es unerträglich stinken, halten sich viele nicht die Nase, sondern die Ohren zu.

Niemand wollte zuhören, als Dirk Britschin 2006 in einem Mietshaus im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg Alarm schlug. Er beschwerte sich wegen des Gestanks – und weil er den Verdacht hatte, etwas Schlimmes sei passiert. Er bekam einen Nachbarn nicht mehr zu Gesicht, der angeblich weiterhin in seiner Wohnung wohnte. Ganze zehn Jahre beschwerte sich Britschin: bei der Hausverwaltung, der Polizei, sogar bei Lokalpolitikern wurde er vorstellig. Bis er im Januar 2017 an einen Polizisten geriet, der sich seiner erbarmte. Dieser Polizist fand in der fraglichen Wohnung in einer Kühltruhe eine Leiche. Sie war in vier Teile zersägt.

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Dirk Britschin hat einen Fall ins Rollen gebracht, den der zuständige Staatsanwalt am letzten Verhandlungstag vor Gericht "eines der grausamsten und abscheulichsten Tötungsverbrechen Berlins" nennt. Ein Mann erschießt einen Rentner, gaukelt den Behörden vor, dieser wäre noch am Leben, erledigt dessen Post, kümmert sich um die Wohnung – und kassiert so die Rente ab.

Dieser Fall endete nun mit der Verurteilung von Josef S. wegen Mordes. Das Gericht stellte außerdem die besondere Schwere der Schuld fest, Josef S. wird also höchstwahrscheinlich nie wieder freikommen. Trotzdem ist die Angelegenheit noch nicht vorbei – denn die Ermittlungen brachten ein weiteres schauriges Verbrechen ans Licht.

Plötzlich verschwindet der Rentner Heinz N.

Am letzten Prozesstag steht Dirk Britschin, 55, kurze Haare, dunkles Jackett, auf dem Flur des Moabiter Kriminalgerichts und tritt – so kurz vor dem Urteil – sichtlich nervös von einem Bein aufs andere. "Es ist schon unschön, wenn man die ganze Zeit als Blödmann hingestellt wird", sagt er. "Vor einigen Jahren habe ich noch zum Spaß gesagt: 'Was ist, wenn der in seiner Bude tot in einer Kühltruhe liegt?'" Er meint den damals 80-jährigen Rentner Heinz N.

Britschin erzählt seine Geschichte in einer Pause, im Flur vor dem Verhandlungssaal, mit kaum unterdrücktem Ärger. Wie er 2006 ins Haus zog, wie er Heinz N. kennenlernte, der immer gut beisammen wirkte und mit ihm gerne übers Radfahren sprach, dieses Hobby hatten sie gemeinsam. Wie Heinz N. dann einige Monate später plötzlich verschwand. Wie er, Britschin, anfing, andere Hausbewohner darauf aufmerksam zu machen und wie niemand seinen Verdacht, etwas sei vorgefallen, für angebracht hielt. Wie es im Hausflur bisweilen müffelte – und wie dieser Geruch plötzlich weg war, als er endlich die Behörden überzeugt hatte, doch einmal vorbeizukommen. Der Geruch kam nicht von der Leiche, sondern aus den nicht benutzten Abflussrohren der Wohnung. Und weg war er wohl zwischenzeitlich deshalb, weil der Mörder Josef S. hin und wieder doch das Wasser anmachte und spülte. Glaubt zumindest Dirk Britschin.

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Auch mit dem Mörder Josef S. sprach er während der vielen Jahre im Flur des Mietshauses in der Hosemannstraße. Ihn hatte er als guten Bekannten des Rentners kennengelernt. "Wenn ich daran denke, dass wir im Hausflur standen und die Leiche nur wenige Meter entfernt war, da wird mir heute noch schlecht", sagt Britschin. Er glaubt gar, dass jemand bei den Behörden oder der Hausverwaltung Josef S. über diese Jahre gewarnt hat, damit der rechtzeitig lüften und spülen konnte, bevor die Polizei oder das Bezirksamt kam. Nun ja.

Josef S., 56 Jahre alt, verfolgt den letzten Verhandlungstag in seiner Glasbox hinter seinen Verteidigern. Er trägt eine Brille, die er immer wieder von seiner Nase holt, wenn er seinen Kopf schüttelt. Mit seinem angegrauten Vollbart und dem schwarzen Jackett wirkt Josef S. wie ein Baumarktverkäufer. Er schweigt an diesem Tag lange, nur zum Ende hin, als die Plädoyers schon gesprochen sind, ergreift er einmal das Wort und sagt mit leicht bebender Stimme: "Was geschehen ist, kann ich nicht vergessen machen, aber ich habe den Heinz nicht umgebracht, und auch niemanden sonst."

Josef S. spricht weiter von Suizid

Damit bleibt Josef S. bis zum bitteren Ende bei seiner Aussage, wonach er Heinz N. tot aufgefunden und dann entschieden hätte, ihn zu zersägen, in die Kühltruhe zu packen und dessen Rente zu kassieren, 2.000 Euro pro Monat. Es sei Selbstmord gewesen. Die Tatwaffe, eine Kleinkaliber-Pistole, ist bis heute verschollen. Sein Mandant habe seine Spielschulden tilgen wollen, führt der Verteidiger aus. Der Staatsanwalt aber nimmt dessen brüchige Argumentation auseinander, alleine schon der wahrscheinliche Schusswinkel und die Entfernung zwischen Waffe und Kopf lassen einen Selbstmord nahezu unmöglich erscheinen. "Der Schusskanalverlauf wäre ausgesprochen seltsam", sagt der Staatsanwalt.

Josef S. wird in dem Prozess weitgehend als Mann ohne Eigenschaften geschildert. Er ist in Lübben aufgewachsen, einer Kleinstadt südlich von Berlin, hat nie eine Ausbildung abgeschlossen, aber mit Gelegenheitsjobs meistens ein ausreichendes Auskommen gehabt. Er soll gespielt haben, aber Experten und Freunde lassen die These von der "Spielsucht", die sein Verteidiger dem Gericht weismachen will, als arg weit hergeholt erscheinen. Josef S. ist handwerklich begabt, soll immer wieder Nachbarn mit der Reparatur von Alltagsgegenständen geholfen haben. Zuletzt war er Trödelhändler.

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Sein späteres Opfer lernte Josef S. nach einem Umzug in die Hosemannstraße in Prenzlauer Berg kennen, einer schönen Wohngegend. Damals war die Ehefrau von Heinz N. noch am Leben, nach ihrem Tod entwickelte sich Josef S. zur wichtigsten Bezugsperson des alten Mannes. Auch deshalb wirkt seine Tat besonders perfide. Hin und wieder schüttelt Josef S., als es vor Gericht um seine Persönlichkeit geht, energisch seinen Kopf. Als wäre nicht wahr, was dort gesagt wird. Oder als würde er es nicht wahr haben wollen.

Eine zusätzliche Dimension bekommt die Tat von Josef S., als die Ermittler im Rahmen der Durchsuchung bei ihm nicht nur Unterlagen von Heinz N. finden – Personalausweis, Bankkarte, Kontoauszüge –, sondern auch die einer weiteren Rentnerin. Irma Kurowski war 2000 verschwunden, von ihr fehlt nach wie vor jede Spur. Ihre Rente wanderte seither auf das Konto von Josef S., der damit den Verdacht nahelegt, ein Doppelmörder zu sein. Der Richter sagt dazu: "Irma Kurowski war eine Blaupause für den Mord an Heinz N." Die Behörden wüssten nicht, wo die Leiche von Irma Kurowski sei, aber der Richter ist sich sicher, dass Josef S. das weiß. Beide Renten zusammen brachten Josef S. über die Jahre etwa 385.000 Euro ein. Der Richter spricht sein Urteil ruhig und kühl: "Der Angeklagte wird zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht erkennt zudem eine besondere Schwere der Schuld."

Dirk Britschin wirkt am Ende zufrieden mit dem Urteil. Aber es gibt da etwas, das ihn weiter umtreibt. "Der Gestank", sagt er eindringlich, "der Gestank im Hausflur ist noch da. Schreiben Sie das! Jemand muss doch etwas dagegen tun!"

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