Dieser Fotograf zeigt seinen Motiven, wer sie wirklich sind
Pips Bunce in "Untitled" ["Ohne Titel"]. Foto: Diogo Duarte, Bildbearbeitung: Recom Farmhouse

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Dieser Fotograf zeigt seinen Motiven, wer sie wirklich sind

Diogo Duarte ist nicht nur Fotograf, sondern auch Psychologe – und schafft so "psychologische Porträts" abseits bloßer Äußerlichkeiten.

Es heißt: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Wie viel kann ein einzelnes Foto aber überhaupt noch über uns aussagen, wenn tagtäglich weltweit mehr als 93 Millionen neue Selfies aufgenommen werden?

Für den 29-jährigen Londoner Psychologen Diogo Duarte ist die Antwort klar. Er ist der kreative Kopf von PhotoBard – einem Unternehmen, das "psychologische Porträts" von seiner überwiegend weiblichen Kundschaft macht und ihnen dadurch einen intimen Einblicke in ihr Innerstes bieten möchte. Wie tiefschürfend das werden kann, musste auch Psychotherapeutin Jessica Mitchell feststellen.

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"Ich stand an einem Scheideweg in meinem Leben, als ich mich an Diogo gewandt habe: Ich wurde damals 50, war seit 30 Jahren mit meinem Partner zusammen und war gelangweilt. Meine Kinder waren 18 und 20 und ich wollte endlich mal wieder, ein Risiko eingehen und ich selbst sein, nachdem ich jahrelang immer nur Mutter und Partnerin war", sagt sie. "Als Psychotherapeutin fand ich die Vorstellung toll, dass mich die Fotos meiner Selbsterkenntnis näherbringen könnten. Außerdem hatte Diogos Arbeit etwas an sich, das mich zutiefst bewegt hat."

Bevor auch nur ein Bild aufgenommen wurde, fanden mehrere Gespräche zwischen dem Fotografen und seinem Motiv statt. Das Ergebnis: ein eindrucksvolles Nacktporträt in den Höhlen von Winspit auf der englischen Halbinsel Purbeck. "Das ist einer meiner Lieblingsplätze und einer der ersten Orte, an den mich mein Partner mitgenommen hat, als wir uns kennengelernt haben", erklärt Jessica. "Wir sind so oft durch diese Höhlen gewandert und waren auch regelmäßig mit unseren Kindern hier, als sie noch kleiner waren."

Ihr Porträt stellt für sie "das fortwährende Gespräch mit mir selbst" dar. Gleichzeitig ist Diogo aber auch auf den inneren Zwiespalt eingegangen, von dem sie ihm erzählt hat. "Ich fühlte mich, als hätte ich zwei Seiten in mir: eine helle Flamme und eine dunkle Wolke. Er hat die Vorstellung mit der hellen Flamme mit in das Foto aufgenommen und hat damit das Feuer in mir am Leben gehalten."

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Jessica Mitchell in "Rage, rage against the dying of the light." ["Wut, Wut auf das sterbende Licht"] Foto: Diogo Duarte

Diogos Ansatz hat nichts mit den glattpolierten Hochglanzfotos zu tun, die man sonst zu sehen bekommt. Stattdessen möchte er das Innerste seiner Motive zum Vorschein bringen. Die Idee selbst hat meist auch mit seiner eigenen Persönlichkeit und Vergangenheit zu tun. Diogo wurde in einer kleinen Stadt in Portugal geboren und hat sich mit 18 Jahren als homosexuell geoutet. Die kreativen Selbstporträts haben ihm in den vergangenen sieben Jahren die Möglichkeit gegeben, Geschlechterrollen und Sexualität zu erforschen und zu herauszufinden, welche Bedeutung sie in seinem eigenen Leben spielen.

"Ich wuchs mit dem ständigen Gefühl auf, dass etwas mit mir nicht stimmt. Ich hatte nie das Gefühl, einfach ich selbst sein zu können", sagt er. "In meinen prägenden Jahren haben Frauen immer eine große Rolle in meinem Leben gespielt. Meine Mutter und meine Großmutter haben mich immer akzeptiert und vor denjenigen in Schutz genommen, die das nicht getan haben."

Im Jahr 2010 zog er dann nach Großbritannien, um Psychologie zu studieren. Dort hat Diogo seine Liebe zur Fotografie wiederentdeckt, die ihn schon in seiner Jugend begleitet hat. "Ich begann, unter einer schweren Angststörung zu leiden und habe angefangen zu fotografieren, um den Schmerz zu linden", sagt er. "Meine Selbstporträts dokumentieren, wie ich nach und nach mit meinen Gefühlen und Erfahrungen ins Reine gekommen bin und gelernt habe, diese Gefühle und Erfahrungen in einem anderen Licht zu sehen", erklärt er.

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Penelope in "A Oliveira Azul (The Blue Olive Tree)." ["Der blaue Olivenbaum"] Foto: Diogo Duarte

Gleichzeitig war das auch die Geburtsstunde von PhotoBard. "Eine gute Freundin von mir fragte sich, wie wohl ihr Porträt aussehen würde. In dem Moment hatte ich den entscheidenden Einfall. Ich wollte schon immer die innersten Welten meiner Mitmenschen erforschen. PhotoBard war die Gelegenheit, um meine beiden Leidenschaften – die Fotografie und die Psychologie – miteinander zu verbinden", sagt Diogo.

Jedes Foto-Shooting ist laut Diogo ein einzigartiger und kollaborativer Prozess, der ihn seinen Motiven näher bringt und ihm zeigt, wer sie sind. Penelope war eine seiner ersten Klientinnen. Sie ist auf einem Bauernhof groß geworden und wurde deswegen als Kind oft gehänselt. Ziel ihres Porträts war es deshalb, sich mit ihrer Vergangenheit zu versöhnen. "Die Kinder in der Schule nannten sie 'Penelope die Pute'. Ihr Porträt sollte ihr dabei helfen, ihre Kindheit zu akzeptieren und zu erkennen, dass sie ihre Erfahrungen zu dem Menschen gemacht hat, der sie heute ist", erklärt Diogo.

Olivia in "Of her heart's ocean, sagely dark, that holds my heaven and holds my hell." ["Aus dem Ozean ihres Herzens, der weisen Dunkelheit, meinem Himmel und meiner Hölle"] Foto: Diogo Duarte

In Olivias Fall war der Prozess ein ganz anderer. "Sie hatte eine ganz genaue Vorstellung davon, wie ihr Porträt aussehen sollte. Sie wollte sich selbst feiern", sagt er. "Ihre Stärke und Entschlossenheit haben mich von Anfang an begeistert. Also haben wir uns für eine fotografische Interpretation einer Tarot-Karte entschieden. Olivia hat dabei die Rolle des Magiers übernommen – einer Figur, die über heilige Kräfte verfügt und damit das Unmögliche vollbringt."

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Einer seiner letzten Klienten war Pips Bunce, der Direktor und leitende Angestellte von Credit Suissewho, der sich vor einiger Zeit offen zu seiner Genderfluidität bekannt hat und 2017 auch bei den britischen LGBT-Awards in die engere Auswahl kam. Bunce stellte in seinem Porträt, das im Dachgarten seines Büro bei Credit Suisse aufgenommen wurde, sowohl Phil als auch Pips dar.

Diogo Duarte und Pips Bunce am Set. Foto: Marian Alonso

"Pips' Porträt ist an dem Märchen von Hänsel und Gretel angelehnt", erklärt Diogo. "Die Geschäftswelt kann ein erschreckender Ort sein, um beide Geschlechter zum Ausdruck zu bringen. Der Weg, den man in dem Foto sieht, soll auch den Ausweg aus dem dunklen Wald symbolisieren. Phil hält Kristalle in der Hand, mit denen er eine Spur legt, um Pippa und Phil dabei zu helfen, sich wenn nötig in Sicherheit bringen zu können."

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Logistisch sei das eines der aufwendigsten Shootings gewesen, sagt Diodo. Das lag vor allem daran, dass so viele Menschen daran beteiligt waren. "Pips' Freunde waren immer eine große Stütze. Deswegen haben wir beschlossen, sie auch mit ins Bild zu nehmen. Sie sollen Pippa und Phil beschützen – genau das haben sie nämlich auch nach Pips' Coming-out getan", sagt Diogo.

Obwohl PhotoBard nach wie vor nur ein Nebenprojekt neben seiner Arbeit als Psychologe ist, möchte Diogo die ausdrucksstarken Möglichkeiten weiter erforschen, um die Fotografie zur Selbstentfaltung zu nutzen. "Alle meine Klienten ziehen etwas anderes aus PhotoBard – eine Transition, ein Coming-out, Stärke oder Akzeptanz", sagt er. "Für mich ist es eine Ehre, ein Teil davon zu sein und die Gelegenheit zu bekommen, die innersten Welten der anderen entdecken zu können."

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